Forscherteam enthüllt unermessliche Schätze im Königreich der Mumien

Im Schatten der ältesten Pyramiden der Welt könnte eine unglaubliche Entdeckung die Geschichte der Mumifizierung neu schreiben. Grabungsleiter Dr. Ramadan Hussein über eine unterirdische Nekropole und das Geschäft mit dem Tod.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 19. Juni 2020, 16:11 MESZ

Zeugen der Vergangenheit: Tief unter dem Wüstensand von Sakkara haben Archäologen eine altägyptische Grabanlage mit einer unterirdischen Mumifizierungswerkstatt entdeckt. Diese Mumie ist 2600 Jahre alt.

Foto von National Geographic

Unweit des ägyptischen Dorfes Sakkara erheben sich über der Wüste die ältesten Pyramiden der Welt. In deren Schatten haben der an der Universität Tübingen lehrende Ägyptologe Dr. Ramadan Hussein und sein deutsch-ägyptisches Team ein vollkommen erhaltenes antikes Gräberfeld entdeckt. Mit Hilfe neuster Technologie gelangen nun nach Jahrtausenden nicht nur unermessliche Schätze ans Tageslicht, sondern auch zahlreiche Geheimnisse. Dazu gehört, dass womöglich vieles von dem, was man bislang über die Mumifizierungstechniken der alten Ägypter zu wissen glaubte, neu überdacht werden muss. Die Serie KÖNIGREICH DER MUMIEN auf National Geographic gewährt tiefe Einblicke in die spannende Arbeit der Archäologen vor Ort.

Herr Hussein, bei Ihren Grabungen im ägyptischen Sakkara sind Sie auf eine Mumifizierungswerkstatt mit einer Grabanlage aus dem Zeitraum um 600 v. Chr. gestoßen. Was macht ihre Funde so einzigartig?

Seit 2016 erforscht unser Team die altägyptische Totenstadt von Sakkara. 2018 entdeckten wir bei unseren Grabungen einen verschütteten Schacht. Er liegt nur einen Meter von jener Position entfernt, an der frühere Ausgräber im Jahr 1899 ihre Suche abgebrochen hatten. Der Schacht führt zu einer unterirdischen Mumifizierungswerkstatt mit einer Grabanlage aus der 26. Dynastie, ca. 664-525 v. Chr. Unter anderem fanden wir 30 Meter unter der Erdoberfläche sechs unberührte Grabkammern mit 17 Mumien. Wir stießen auf steinerne Sarkophage, Holzsärge, Kanopenkrüge, also Gefäße, in denen die Organe der Verstorbenen aufbewahrt wurden, zahlreiche Figuren und viele weitere wertvolle Grabbeigaben. Insgesamt konnten wir 54 Mumien bergen. Die gesamte Anlage mit ihren unterirdischen Gängen und Kammern erscheint wie eine Stadt unter der Erde. Wir erfassen sie mit Laserscanning und bildbasierten 3D-Verfahren. Damit erhalten wir eine präzise dreidimensionale Karte.

Grabungsleiter Dr. Ramadan Hussein mit der Mumie des Priesters Tjanimit. Der Ägyptologe von der Universität Tübingen beschreibt sie als eine der schönsten Mumien, die er je gesehen habe.

Foto von National Geographic

Welche Entdeckung hat Sie am meisten überrascht?

Es gab viele Überraschungen. Eine der erstaunlichsten Entdeckungen war sicher die vergoldete Silbermaske, die das Gesicht einer Priesterinnen-Mumie bedeckte. Es ist die erste Maske ihrer Art, die seit 1939 entdeckt wurde. Insgesamt gibt es nur drei erhaltene Exemplare. Silber war damals doppelt so viel wert wie Gold. Die Ägypter glaubten, dass die Knochen der Götter aus Silber bestanden und das Fleisch und Gesicht aus Gold. Doch nicht nur die Gräber mit ihren Mumien und Grabbeigaben sind für die Archäologie von unschätzbarem Wert. Indem wir erstmals eine umfassende Mumifizierungsanlage entdecken konnten, bekommen wir detaillierte Einblicke in die Bestattungspraktiken im Alten Ägypten.

Wie sahen diese Bestattungspraktiken aus? Welche Geheimnisse konnten Sie lüften?

Die Funde liefern uns genaue Hinweise auf die damaligen Balsamierungstechniken. Die unterirdische Mumifizierungswerkstatt enthielt unter anderem einen großen Weihrauchbrenner, Ablaufrinnen für die Körperflüssigkeiten und ein eigenes Belüftungssystem – auch um Insekten zu vertreiben. Schriftzeichen auf den Tongefäßen zeigen wie eine Gebrauchsanweisung, welche Öle, Harze und sonstige Substanzen im Rahmen der Balsamierung eingesetzt wurden. Die Bestattung hatte nicht nur eine rituelle Bedeutung. Sie war auch ein großes Geschäft.

BELIEBT

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    Inwieweit bestimmte das Geschäft mit dem Tod den Alltag der Menschen?

    Ob arm oder reich, Mann, Frau oder Kind: Jede verstorbene Person wurde im Zuge des 70-tägigen Bestattungsrituals zu einer Gottheit. Hierzu gab es genaue Abläufe und Riten, die vor dem Tod mit den Einbalsamierern definiert wurden. Wie genau dies geschah, war letztendlich eine Frage des Geldes. Es gibt Papyrusschriften, die vertragliche Streitereien zwischen zwei Bestattern dokumentieren. Die Einbalsamierer waren nicht nur Priester und Bestatter, sondern erfolgreiche Geschäftsleute.

    Erlauben die Funde in Sakkara auch Rückschlüsse auf die Klassenunterschiede der Verstorbenen?

    Durch Hieroglyphen auf den Sarkophagen und Särgen fanden wir zum Beispiel heraus, dass es sich bei den 17 Mumien um Priesterinnen und Priester einer Schlangengöttin namens Niut-schies handelte. Doch nicht nur Pharaonen, Priester und andere höher gestellte Persönlichkeiten wurden so bestattet. Die Ägypter waren sehr innovativ darin, Alternativen für jede Bevölkerungsschicht bereitzuhalten.

    Galerie: Forscherteam enthüllt unermessliche Schätze im Königreich der Mumien

    So konnte man also auch als armer Schlucker nach dem Tod zur Gottheit werden?

    Ja. Wer viel Geld hatte, konnte sich vielleicht eine vergoldete Totenmaske aus Silber leisten. War man weniger gut betucht, musste womöglich eine Gipsmaske reichen. Holzsärge waren meist teurer als Sarkophage aus Stein, denn Holz war rar in Ägypten und musste meist importiert werden. Auch Öle und andere Substanzen zur Balsamierung kamen oft aus anderen Ländern. Die Gräber, die am tiefsten unter der Erde lagen, waren teurer, weil sie der Unterwelt besonders nah waren. Anhand der unterschiedlichen Bestattungspraktiken lassen sich die Klassenunterschiede ablesen.

    Ihre Arbeit wird in der vierteiligen National Geographic-Serie KÖNIGREICH DER MUMIEN vorgestellt. Was erwartet die Zuschauer?

    Die Zuschauer können sich auf Archäologie in Echtzeit freuen. Das Filmteam hat uns bei unserer täglichen Arbeit begleitet, ohne sie zu beeinflussen, es gab also kein Drehbuch im klassischen Sinne. Wir erzählen die Geschichte von Priesterinnen und Priestern, Göttinnen und Göttern und ganz gewöhnlichen Menschen – und die Geschichte über das Geschäft mit dem Tod vor 2600 Jahren. Die Zuschauer dürfen wirklich gespannt sein.

    Ägypten

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