Radioblitze aus der Milchstraße führen zum Ursprung des kosmischen Phänomens

2007 wurde der erste schnelle Radioblitz entdeckt. Seither rätseln Forscher, was diese Energieausbrüche auslösen könnte. Nun scheint eine Antwort gefunden.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 5. Nov. 2020, 14:57 MEZ
Im April trug Chinas Radioteleskop FAST (Spherical Aperture Telescope) dazu dabei, die Eigenschaften des Magnetars SGR ...

Im April trug Chinas Radioteleskop FAST (Spherical Aperture Telescope) dazu dabei, die Eigenschaften des Magnetars SGR 1935+2154 zu untersuchen. Das Objekt erzeugte den ersten schnellen Radioblitz, der je in der Milchstraße entdeckt wurde. Mit stattlichen 500 Metern Durchmesser ist FAST das größte Radioteleskop der Erde.

Foto von Bojun Wang, Jinchen Jiang, Qisheng Cui.

In einer Tausendstelsekunde brach am 28. April ein gewaltiger Ausbruch von Radiowellen über die Erde herein und ließ Radioteleskope in ganz Nordamerika aufleuchten. Nun haben Astronomen die Quelle dieses seltsamen Signals ausfindig gemacht. Die Ergebnisse könnten den lang gesuchte Ursprung einiger der geheimnisvollsten kosmischen Signale offenbaren, die je aufgezeichnet wurden.

In drei Studien, die im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht wurden, identifizierte eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern die Explosion als einen Fast Radio Burst (FRB) oder schnellen Radioblitz: einen kurzen und intensiven Ausbruch von Radiowellen, der nicht länger als einige Millisekunden andauert. Teleskope haben solche Ausbrüche schon früher aufgezeichnet, aber immer von außerhalb unserer Galaxie. Jahrelang haben sich Forschende gefragt, was diese kurzlebigen, aber starken Energieblitze verursachen könnte. Die Spekulationen reichten von explodierenden Sternen bis hin zu außerirdischen Technologien.

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Jetzt wissen wir, dass mindestens eine FRB-Quelle wahrscheinlich ein exotisches stellares Objekt ist, das man als Magnetar bezeichnet: eine Art junger Neutronenstern, der nach der Explosion eines großen Sterns übrigbleibt und ein extrem starkes Magnetfeld besitzt.

„Als ich die Daten zum ersten Mal sah, erstarrte ich und war im Grunde vor Aufregung wie gelähmt“, erzählte der Caltech-Absolvent Christopher Bochenek in einer Pressekonferenz am Montag. Er ist einer der Hauptautoren einer der Studien.

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    Das kanadische CHIME-Teleskop war das erste, das den Radioblitz am 28. April 2020 entdeckte.

    Foto von Andre Renard, Chime Collaboration

    Bei dem neuen Signal handelt es sich um den ersten schnellen Radioblitz, dessen spezifische Quelle ausfindig gemacht werden konnte. Das bietet eine einzigartige Gelegenheit, endlich einen dieser kosmischen Blitze im Detail zu untersuchen. „Das gibt uns einen ganz neuen Zugang zu Theorien darüber, wie [schnelle Radioblitze] entstehen“, schrieb die Astrophysikerin Amanda Weltman von der Universität Kapstadt in einer E-Mail. Sie selbst war an den Studien nicht beteiligt.

    Die Suche nach Radioblitzen

    Schnelle Radioblitze wurden erstmals 2007 entdeckt und lassen sich nur sehr schwer untersuchen, weil sie so schnell vorbei sind. Zu Beginn waren einige Wissenschaftler skeptisch, dass sie wirklich aus dem Weltraum kommen und nicht einfach auf ein falsch identifiziertes Signal von einer irdischen Quelle zurückzuführen sind, beispielsweise von Mikrowellenöfen.

    Bis 2013 kam es zu vier weiteren Radioblitzen, was ihren kosmischen Ursprung bestätigte – aber auch das Mysterium um dieses Phänomen vertiefte. Drei Jahre später gaben die Astronomen die Entdeckung eines sogenannten Repeaters bekannt – also schnelle Radioblitze, die wiederholt auftraten und aus derselben Quelle zu stammen schienen. Sie verfolgten sie zu einer Galaxie zurück, die mehr als 2,6 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt ist.

    Nun haben die Astronomen mehr als hundert schnelle Radioblitze entdeckt – etwa 20 davon sind Repeater.

    Weil die Ausbrüche so kurz und ihre Quellen so weit weg sind, haben sich Astrophysiker schwer damit getan, herauszufinden, was diese intensiven Strahlungsblitze auslöst. Doch am 27. April zeichneten zwei Weltraumteleskope der NASA Röntgen- und Gammastrahlenausbrüche auf, die von einem Magnetar in der Milchstraße namens SGR 1935+2154 ausgingen. Am nächsten Tag fingen Radioteleskope in der westlichen Hemisphäre ein Signal von demselben Objekt auf.

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    Das kanadische CHIME-Teleskop – das aus mehr als tausend Radioantennen besteht – war das erste, das den Radioblitz entdeckte, der aus derselben Himmelsregion wie der Magnetar zu kommen schien. Das CHIME-Personal schickte sofort eine Nachricht an Astronomen auf der ganzen Welt und ermutigte sie, ihre Teleskope auf das Objekt auszurichten.

    Das Signal wurde auch von STARE2 aufgefangen, drei Radioteleskopstationen in Kalifornien und Utah. Laut Bochenek, der STARE2 entworfen und die Analyse durchgeführt hat, war der Radioblitz so intensiv, dass ein 4G-Handy ihn theoretisch hätte empfangen können.

    Dass die Röntgen- und Radioblitze in demselben winzigen Abschnitt des Himmels auftauchten, stellte erstmals einen starken Zusammenhang zwischen Radioblitzen und Magnetar her.

    Magnetare als Quelle der Ausbrüche

    Das Signal des Magnetars ist der energiereichste Radioblitz, der je in unserer Galaxie aufgezeichnet wurde. Aber im Vergleich zu anderen schnellen Radioblitzen war dieser eher schwach: Er hatte nur etwa ein Tausendstel der Energie eines typischen Radioblitzes von außerhalb der Milchstraße.

    Forscher vermuten, dass es häufiger zu schwächeren Radioblitzen kommt als zu starken. Wir können sie nur nicht entdecken, wenn sie zu weit weg sind. Zusammengenommen deuten die neuen Studien stark darauf hin, dass zumindest einige der weit entfernten Ausbrüche auch von Magnetaren herrühren.

    „Ich glaube nicht, dass wir schlussfolgern können, dass alle schnellen Radioblitze von Magnetaren stammen. Aber unsere Modelle, die Magnetare als Ursprung schneller Radioblitze angeben, sind sehr wahrscheinlich korrekt“, sagte Daniele Michilli von CHIME auf der Pressekonferenz, ein Postdoktorand an der McGill University in Montreal. Die hellsten Radioblitze könnten zum Beispiel von anderen Objekten als Magnetaren erzeugt werden, fügt Weltman hinzu.

    Mit Hilfe dieser Daten können auch Theorien darüber verbessert werden, auf welche Weise Magnetare schnelle Radioblitze erzeugen könnten. In einem begleitenden Bericht, der ebenfalls in „Nature“ veröffentlicht wurde, stellte der Astrophysiker Bing Zhang von der University of Nevada, Las Vegas, die beiden überzeugendsten Szenarien vor. In dem einen kollidieren Partikelströme, die von der Oberfläche des Magnetars geschleudert werden, mit extremer Geschwindigkeit mit der Materie in ihrer Umgebung und erzeugen einen heißen, stark magnetisierten Sog, der sowohl Röntgenstrahlen als auch Radiowellen aussenden könnte. In dem anderen Szenario entstehen schnelle Radioblitze, wenn sich die starken Magnetfeldlinien des Magnetars kreuzen und abreißen und dabei riesige Energiemengen freisetzen.

    Zhang und seine Kollegen stellten jedoch auch fest, dass die Bedingungen für einen schnellen Radioblitz eher selten auftreten. Stunden vor dem Ausbruch am 28. April beobachtete das Team den Magnetar mit dem chinesischen Radioteleskop FAST – dem größten der Welt. FAST sah jedoch keine schnellen Radioblitze vom Magnetar kommen, obwohl das Objekt während der Beobachtung 29 Röntgenblitze abgab.

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    In der Pressekonferenz wies Zhang darauf hin, dass es einleuchtend wäre, wenn Magnetare nur selten schnelle Radioblitze auslösen. Wenn jedes Magnetar-Flackern, das Röntgenstrahlen freisetzt, auch Radioblitze auslöst, würden Astronomen mit hundert- bis tausendmal mehr von ihnen rechnen, als sie bisher gesehen haben.

    Für Weltman strahlt die Zukunft des Forschungsgebiets ebenso hell wie die Radioblitze selbst. Globale Netzwerke von Teleskopen stehen bereit, um mehr von diesen intensiven Ausbrüchen aufzufangen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Milchstraße. Und während die Radiowellen weiterhin periodisch über die Erde schwappen, werden Wissenschaftler sie nutzen, um viele der aktuellen Theorien über die Herkunft dieser kosmischen Energieblitze auszuschließen. So werden nach und nach die zahlreichen Ideen ausgedünnt, die sich als nicht haltbar erweisen – ein Prozess, den Weltman beschreibt als „die wahre Schönheit der guten, ehrlichen Wissenschaft!“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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