Erbgut eines Genies: Beethovens Genom entschlüsselt

Woran starb der Komponist und an welchen Krankheiten litt er? Mithilfe von fünf Haarlocken fand ein internationales Forschungsteam Antworten – und deckte ganz nebenbei ein skandalöses Familiengeheimnis auf.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 23. März 2023, 15:26 MEZ
Porträt Beethovens, auf dem er einen Stift hält und nachdenklich in unsere Richtung blickt.

Pianist, Komponist, Ausnahmetalent: Ludwig van Beethoven und seine Werke sind weltberühmt. Dieses Porträt, eine Kreation des deutschen Hofmalers Joseph Karl Stieler, zeigt ihn im Jahr 1820, sieben Jahre vor seinem Tod.

Foto von Karl Joseph Stieler, 1781–1858 / Wikimedia Commons

Ludwig van Beethoven ist einer der berühmtesten und einflussreichsten Komponisten der Menschheitsgeschichte. Bekannt ist er aber auch für die unzähligen gesundheitlichen Probleme, die ihn ein Leben lang begleiteten. In einem Brief, den er im Jahr 1802 an seine Brüder schrieb, bat er darum, nach seinem Tod seine Krankheiten durch einen Arzt untersuchen zu lassen und die Ergebnisse zu veröffentlichen – doch diese Aufzeichnungen wurden nie gefunden.

Klarheit über den Gesundheitszustand des Genies bringt jetzt die Studie eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung von Tristan Begg, biologischer Anthropologe an der Cambridge University, an der mehrere Institute seiner Geburtsstadt Bonn und das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie beteiligt waren. Bei der Erforschung von Beethovens Krankheiten und den Gründen für seinen Tod halfen archäogenetische Untersuchungsmethoden.

Eine Locke von Beethovens Haar

Im ersten Schritt mussten die Forschenden authentische DNA-Proben finden, die sich für die Analyse des Erbguts des Komponisten eigneten. Glücklicherweise haben einige Strähnen des ikonischen Haars Beethovens in öffentlichen und privaten Sammlungen die Zeit überdauert. Von den acht Locken, die für die Studie getestet wurden, stammen fünf von ein und derselben Person, deren genetische Daten mit der gut erforschten Herkunft Beethovens übereinstimmen. Diese Proben sind den Forschenden zufolge „mit ziemlicher Sicherheit authentisch“ und stammen alle aus den letzten sieben Lebensjahren des Komponisten.

Bei der am besten erhaltenen Probe handelt es sich um die sogenannte Stumpff-Locke, mit der es dem Forschungsteam gelang, das gesamte Genom des musikalischen Genies zu sequenzieren. Nachdem die DNA vollständig extrahiert war, begann die Suche nach Gründen für Beethovens gut dokumentierte gesundheitliche Probleme.

Die „Stumpff-Locke“ ist die am besten erhaltene Haarprobe von Ludwig van Beethoven und befindet sich in der Sammlung von Kevin Brown, einem Mitglied der American Beethoven Society. 
 

Foto von Kevin Brown

Taubheit und Bauchweh

Bekannt ist, dass bei dem Komponisten im Alter zwischen 25 und 29 Jahren ein fortschreitender Hörverlust einsetzte, der dazu führte, dass er im Jahr 1818 so gut wie taub wurde. Außerdem klagte Beethoven über chronische Magen-Darm-Beschwerden, die sich mit zunehmendem Alter verschlimmerten. Mehrmals erkrankte er zudem an Gelbsucht – ein Symptom für eine Lebererkrankung. Eine Leberzirrhose gilt demnach seit Langem als wahrscheinlichste Todesursache.

Obwohl zuvor genetische Ursachen in Betracht gezogen wurden, konnte für Beethovens Taubheit im Rahmen der Studie nichts dergleichen belegt werden. Ausschließen möchten die Forschenden einen Zusammenhang jedoch nicht. „Die Referenzdaten, die für die Interpretation individueller Genome notwendig sind, werden stetig besser“, erklärt Axel Schmidt, Arzt am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn. „Es ist daher möglich, dass Beethovens Genom in Zukunft Hinweise auf den Ursprung seiner Schwerhörigkeit liefern wird.“

Auch für die Magen-Darm-Beschwerden des Komponisten fanden die Forschenden keine genetische Erklärung. Anhand ihrer Analyse konnten sie aber eine Gluten- oder Laktoseintoleranz als Ursache ausschließen. Gleiches gilt für das Reizdarmsyndrom (IBS), gegen das Beethoven sogar über einen gewissen genetischen Schutz verfügte.

Alkoholmissbrauch hatte Anteil am Tod

Hinsichtlich der Lebererkrankung des Komponisten machten die Forschenden jedoch mehrere wichtige Entdeckungen: Zum einen fanden sie in seinem Erbgut Risikofaktoren für Lebererkrankungen, zum anderen Hinweise auf eine Hepatitis-B-Infektion.

„Beethovens ‚Konversationshefte‘ aus seinem letzten Lebensjahrzehnt legen nahe, dass er sehr regelmäßig Alkohol konsumierte“, sagt Tristan Begg. Ob der Konsum übermäßig war, könne heute allerdings nicht nachvollzogen werden, weil es dazu widersprüchliche Überlieferungen gebe. Das Studienteam vermutet jedoch, dass der Komponist so viel trank, dass es leberschädigend war. „Wenn Beethovens Alkoholkonsum über einen ausreichend langen Zeitraum hoch genug war, stellt die Wechselwirkung mit seinen genetischen Risikofaktoren eine mögliche Erklärung für seine Leberzirrhose dar“, so Begg.

BELIEBT

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    Woran der Komponist letztendlich gestorben sei, könne man nicht abschließend sagen. „In Anbetracht der bekannten Krankengeschichte ist es aber sehr wahrscheinlich, dass eine Mischung aus genetischer Veranlagung, Hepatitis-B-Infektion und Alkoholkonsum zu seinem Tod geführt hat“, sagt Begg. Wie stark sich jeder einzelne dieser Faktoren ausgewirkt hat, müsse aber noch erforscht werden.

    Familienskandal im Hause Beethoven

    Ein unerwarteter, aber spannender Aspekt der Genanalyse Beethovens sind Unstimmigkeiten, die die genetische Abstammung des Komponisten betreffen. Im Rahmen der Studie wurde auch das Erbgut von fünf lebenden Angehörigen der belgischen Beethoven-Linie untersucht, die nachweislich einen väterlichen Vorfahren mit dem deutschen Komponisten gemein haben. Allerdings stimmt das Y-chromosomale Erbgut aus der Locke Beethovens nicht mit deren Erbgut überein – es besteht also keine direkte Verwandtschaft.

    Den Forschenden zufolge lässt das den Schluss zu, dass in Beethovens direkter väterlicher Linie mindestens ein Kind bei einem Seitensprung gezeugt worden sein muss. Der Zeitpunkt des außerehelichen Ereignisses lässt sich nur vage eingrenzen: Irgendwann zwischen der Zeugung von Hendrik van Beethoven um 1572 und der Zeugung des Ausnahmekomponisten Ludwig van Beethoven sieben Generationen später ging in der Familie jemand fremd – was bedeutet, dass Ludwig van Beethoven eigentlich gar kein „echter“ Beethoven ist.

    Sein Genom wurde jetzt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und kann weiter erforscht werden. „Vielleicht können wir der ursprünglichen chronologischen Abfolge weitere authentische Haarproben hinzuzufügen“, sagt Begg. Damit bestünde die Möglichkeit, noch offene Fragen zu Beethovens Krankheiten und Tod zu beantworten – und zu klären, an welcher Stelle sein Stammbaum eine unbemerkte Abzweigung genommen hat.

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