Wie die Zeitumstellung unsere innere Uhr beeinträchtigt – und was dagegen hilft

Von Sommerzeit auf Winterzeit und wieder zurück: Ein Hin und Her, das nicht ohne Folgen bleibt. Was das mit uns macht, wer darunter besonders leidet und wie sich die Effekte abfedern lassen – ein Interview mit Chronobiologe Henrik Oster.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 23. März 2023, 09:13 MEZ
Eine Frau sitzt im Bett und gähnt.

Manchen macht die Umstellung auf Sommerzeit wenig aus, andere leiden tagelang unter dem dadurch entstandenen Schlafdefizit. Doch es gibt Tricks, mit denen man den körperlichen Folgen der Zeitumstellung entgegenwirken kann.

Foto von Ivan Kruk / adobe Stock

Menschen, Tiere, Pflanzen und sogar Pilze: Die meisten Lebewesen haben eine innere Uhr. Sie beeinflusst Funktionen des Organismus und chemische Prozesse in den Zellen. Dem zirkadianen Rhythmus, der im Schnitt eine Periodenlänge von 22 bis 25 Stunden hat, folgen Tiere und Pflanzen ganz natürlich. Menschen sind hingegen Meister darin, ihr fein abgestimmtes inneres Uhrwerk immer wieder absichtlich zu stören. Ob durch Schichtarbeit, durchfeierte Nächte, Fernreisen in andere Zeitzonen – oder durch die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit und zurück.

Dabei ist die Umstellung auf die Sommerzeit im Frühjahr besonders unbeliebt: Hier verlieren wir eine Stunde. Manche Menschen kommen mit dieser Manipulation ihres Rhythmus gut klar, andere brauchen viele Tage, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Das ist keine Überraschung: Unsere innere Uhr steuert unter anderem den Schlaf-Wach-Rhythmus, den Hormonspiegel, Blutdruck, Körpertemperatur und den Stoffwechsel. Schon leichte Verschiebungen schlagen sich auf das körperliche Wohlbefinden und die geistige Leistungsfähigkeit nieder.

Obwohl immer wieder über die Abschaffung der Zeitumstellung diskutiert wird, gibt es sie nach wie vor. Für alle Teile der Bevölkerung ist also zweimal im Jahr eine Störung der inneren Uhr so absehbar wie unausweichlich. Doch gibt es eventuell Wege, die negativen Folgen der Zeitumstellung abzumildern oder sogar ganz zu vermeiden? Dr. Henrik Oster, Direktor des Instituts für Neurobiologie an der Universität Lübeck, gibt Antworten.

Wissen kompakt: Zeitumstellung
Weltweit gibt es in etwa 70 Ländern eine Sommer- und Winterzeit. Aber wer hat das Konzept der Zeitumstellung eigentlich erfunden und welches Land setzte es als erstes um?

Herr Oster, warum macht die Zeitumstellung so müde?

Bei der Zeitumstellung verschiebt sich die äußere Zeit gegen unsere innere Zeit. Alle Tagesprozesse werden um eine Stunde nach vorne oder hinten verschoben und daran müssen wir uns erst einmal anpassen. Bei der Umstellung auf die Sommerzeit im Frühjahr, bei der wir eine Stunde verlieren, führt das dazu, dass wir rund um die Umstellung zu wenig schlafen. Am Sonntag nach der Umstellung nimmt man sie meist noch gar nicht richtig wahr und geht zu gewohnter Zeit schlafen. Am Montag muss man dann aber plötzlich eine Stunde früher raus. Das führt bei einigen Menschen dazu, dass sie über die erste Woche ein Schlafdefizit akkumulieren. Das schlägt sich auf Gesundheit, Wohlergehen, Leistungsfähigkeit und Stimmung nieder.

Wie lange dauert die Anpassung an die Sommerzeit?

In der Regel wenige Tage, es sei denn, man ist aus irgendeinem Grund beeinträchtigt. Es gibt noch eine andere Situation, in der innere und äußere Zeit nicht zusammenpassen: der klassische Jetlag, bei dem man in eine andere Zeitzone verreist. Auch hier muss man die Uhr umstellen und die innere Uhr muss sich adaptieren. Hier sagen wir normalerweise, dass man ungefähr eine Stunde am Tag verschieben kann. Das heißt, bei sieben Stunden Zeitverschiebung ist meine innere Uhr etwa nach einer Woche am Reiseziel angekommen. Der Unterschied zwischen Jetlag und Zeitumstellung ist aber: Am Urlaubsort haben wir andere Lichtbedingungen, andere soziale Zyklen, eine andere äußere Umgebung als zu Hause. Das ist bei der Zeitumstellung nicht der Fall. Die Sonne geht ja nicht plötzlich eine Stunde früher auf, das ist ein ganz gradueller Prozess. Darum dauert die Anpassung an die Sommer- oder Winterzeit etwas länger. Wenn wir gesund sind und relativ viel Zeit draußen verbringen, geht es schneller. Wenn das nicht möglich ist oder unser System nicht gut adaptiert, kann es länger dauern.

BELIEBT

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    “Mit zunehmendem Alter können wir uns besser an die Sommerzeit anpassen.”

    von Dr. Henrik Oster
    Direktor des Instituts für Neurobiologie an der Universität Lübeck

    Warum leiden manche Menschen stärker unter der Umstellung als andere?

    Der Hauptfaktor ist ein individueller: Was für ein Chronotyp bin ich, Eule oder Lerche, und passe ich mich eher leichter oder schwerer an? Studien haben gezeigt, dass insbesondere die Eulen, also die klassischen späten Chronotypen, die erst am Nachmittag so richtig in die Gänge kommen, häufig auch eine Woche nach der Zeitumstellung noch nicht wieder angepasst sind. Die gehen weiter spät zu Bett, müssen aber früher aufstehen und so wächst das Schlafdefizit jeden Tag um ein paar Minuten. Im Herbst ist dieser Effekt weitaus weniger ausgeprägt, weil durch die gewonnene Stunde das Schlafdefizit wegfällt.

    Ist das Alter in dieser Hinsicht auch ein Faktor?

    Das Lebensalter kann durchaus einen Einfluss haben. Bei Teenagern sehen wir eine starke Verschiebung des Chronotyps nach hinten: Viele kommen morgens nicht aus den Federn, können aber nachts bis in die Puppen wach und aktiv sein. Das kippt Anfang der Zwanziger und geht dann ganz langsam Richtung Lerche. Dementsprechend können wir uns mit zunehmendem Alter besser an die Sommerzeit anpassen. Auch weil dann die innere Rhythmik nicht mehr so stark ist, was bedeutet, dass wir leichter auf äußere Reize reagieren können. Bei älteren Menschen kann dieser Effekt aber aufgeweicht werden, wenn sie nicht mehr ganz gesund oder mobil sind und deswegen weniger Zeit draußen verbringen. Das Licht ist das wichtigste Signal, um die Uhr zu verstellen. Je mehr man sich in Innenräumen aufhält, desto weniger ist man dem Tageslicht ausgesetzt und dementsprechend schwerer fällt es einem, sich nach einer Zeitumstellung zu adaptieren.

    Kann man den körperlichen Folgen der Zeitumstellung durch Vorschlafen vorbeugen?

    Im Frühjahr könnte es helfen, eine Stunde früher einzuschlafen, damit das potenzielle Schlafdefizit am Montag etwas geringer ausfällt. Man hat aber festgestellt, dass das nicht so richtig funktioniert, weil für einen tiefen Schlaf der Schlafdruck fehlt. Normalerweise gehen wir ja zu Bett, wenn wir müde werden. Wenn man das eine Stunde vorverlegt, ist es nicht so einfach, in den Schlaf zu finden. Den meisten wird es also nicht gelingen – es sei denn, sie sind sowieso schon chronisch schlafdeprimiert, also nicht ausgeschlafen. Es schadet aber auch nicht, es zu probieren.

    Gibt es andere Tricks, um besser in die Sommerzeit zu kommen?

    Im Vorfeld der Zeitumstellung kann man relativ wenig tun. Was man aber direkt danach machen kann, ist möglichst sofort den Ernährungsrhythmus umzustellen. Also am besten schon ab Sonntag das Frühstück, Mittag- und Abendessen entsprechend um eine Stunde nach vorne zu verschieben. Der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme ist ein wichtiger Faktor für die Uhren in den peripheren Körperorganen – also zum Beispiel Magen, Darm, Muskeln, Herz, die natürlich auch sehr starke Tagesrhythmen haben. Leider erreichen wir mit der Nahrung nicht die zentrale Uhr im Gehirn. Die braucht das Licht. 

    Haben Sie da auch einen Tipp?

    Will man die innere Uhr nach vorne verstellen, sollte man morgens viel Licht bekommen. Im Idealfall also morgens früh rausgehen und Licht tanken. Alternativ helfen auch Tageslichtlampen. Wenn umgekehrt die Uhr auf Winterzeit gestellt wird, muss man am Abend mehr Licht bekommen. Das heißt also: Im Frühjahr viel Licht am Morgen und möglichst wenig Licht am Abend – sonst heben sich die Effekte gegenseitig auf. Im Herbst dann genau anders herum.

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    Wäre es aus chronobiologischer Sicht ratsam, die Zeitumstellung abzuschaffen?

    Ursprünglich wurde sie ja zu Energiesparzwecken eingeführt – unterdessen hat sich gezeigt, dass diese Effekte eher zu vernachlässigen sind. Der medizinische Aspekt ist zwar nicht dramatisch, aber messbar negativ. Außerdem gibt es noch den organisatorischen Aspekt, der vielleicht den größten Schaden verursacht. Zum Beispiel in der Landwirtschaft, wo die Milchkühe schon in der Woche vor der Umstellung langsam an die neue Zeit herangeführt werden müssen, weil sie punktgenau gemolken werden. Im Krankenhaus müssen die Medikamentenzeiten zum Teil angepasst werden. Im Einzelfall klappen Schichtübergaben nicht, wenn jemand nicht aufgepasst hat. Da ist immer einer, der vergessen hat, dass die Uhren umgestellt wurden, oder nicht weiß, in welche Richtung. Diese Diskussion, ob nun eigentlich nach vorn oder nach hinten umgestellt wird, erleben wir selbst hier in unserem Institut jedes Mal wieder. All das macht die Dinge grundlos kompliziert. Die Chronobiologen und Chronomediziner plädieren darum eigentlich alle für eine Abschaffung der Zeitumstellung.

    Wenn die Zeitumstellung abgeschafft wird, auf welche Zeit sollte man sich festlegen? Sommer- oder Winterzeit?

    Alles spricht dafür, dass die Winterzeit eigentlich die „Normalzeit“ ist. Die Sommerzeit im Sommer ist okay, dagegen ist nichts auszusetzen, aber würden wir die Sommerzeit im Winter weiter einhalten, müssten wir noch eine Stunde früher aufstehen – und das will eigentlich keiner. Sommerzeit wird ja mit gutem Wetter und viel Freizeit verbunden, und viele, mit denen ich spreche, sagen „Ach ja, ewige Sommerzeit, das wäre super, dann ist es abends länger hell“. Aber wenn sie sich die Kombination aus Sommerzeit und Winter genauer vor Augen führen, überlegen sich das viele noch einmal.

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