Digitaler Stress: Wie wir die Flut an negativen Nachrichten besser bewältigen
Die ständigen Krisenmeldungen belasten viele Menschen. Forschende empfehlen kritisches Ignorieren, um den Medienkonsum in gesunde Bahnen zu lenken.
Die tägliche Nachrichtenflut versetzt uns in Stress.
Krieg, Klimakrise, Pandemie: Die Flut an negativen Nachrichten trifft uns mit voller Wucht. Viele Menschen fühlen sich davon belastet und überfordert – und legen das Smartphone doch nicht aus der Hand. Der Drang nach der nächsten Horrormeldung ist offenbar groß. Und so verbringen wir unsere Freizeit mit Doomscrolling – dem schier endlosen Lesen von schlechten Nachrichten am Smartphone oder Computer.
Laut einer aktuellen Studie über digitale Resilienz in der Mediennutzung empfinden 60 Prozent der befragten Nutzerinnen und Nutzer negative Gefühle beim Scrollen durch Instagram. Warum aber verbringen wir so viel Zeit mit schlechten News, wenn sie uns nicht guttun? Wie lenken wir unseren Onlinekonsum in gesunde Bahnen? Und wie erhöhen wir unsere digitale Kompetenz?
Anastasia Kozyreva forscht am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin an Strategien zum Umgang mit Onlinemedien. Nach ihrer Auffassung erfüllen negative und besonders emotionale Neuigkeiten grundsätzlich einen wichtigen sozialen Zweck: Sie warnen uns vor potenziellen Gefahren. Das habe Jahrtausende lang gut funktioniert. Die Evolution hat uns diesen Schutzmechanismus mit auf den Weg gegeben.
Gewolltes Nichtwissen: Ignoranz hilft gegen Stress
Seit dem Internetzeitalter kehrt sich dieser evolutionäre Vorteil aber offenbar immer häufiger ins Gegenteil. Kozyreva: „Wir hatten ja keine Zeit, uns an die digitale Umwelt anzupassen.“ Ein gutes Beispiel seien die sozialen Medien. Sie „binden unsere Aufmerksamkeit, indem sie Neugier, Empörung oder Wut wecken“. Die Aufmerksamkeitsfähigkeit des Menschen sei aber begrenzt.
Kozyrevas Appell: „Wir brauchen dringend Strategien, um zumindest ein gewisses Maß an Kontrolle zurückzugewinnen.“ Als Rezept gegen digitalen Stress empfiehlt sie die Methode des kritischen Ignorierens. Im Klartext: Gewolltes Nichtwissen. Wer bestimmte Informationen bewusst ausblende, könne negative Emotionen besser verarbeiten. Kritisches Ignorieren sei im digitalen Zeitalter ebenso wichtig wie kritisches Denken.
Die Forscherin schlägt unter anderem vor, Apps stumm zu schalten und den Startbildschirm des Smartphones aufzuräumen, so dass nur wirklich wichtige Anwendungen sichtbar sind. Alles, was zu sehr ablenkt, sollte besser komplett gelöscht werden. Klar begrenzte Bildschirmzeiten seien nicht nur für Jugendliche ratsam.
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Fake News und fragwürdige Quellen entlarven
Um sich vor Fake News und fragwürdigen Inhalten zu schützen, rät Kozyreva zum sogenannten lateralen Lesen oder Seitwärtslesen. Hierzu öffnet man einen weiteren Tab im Browser und prüft dort über die Suchmaschine, wer hinter den Informationen steckt. Auf diese Weise lässt sich innerhalb kurzer Zeit checken, ob Quellen vertrauenswürdig sind.
Ziel des kritischen Ignorierens ist es also nicht, generell Nachrichten zu meiden. Vielmehr geht es darum, qualitätsvolle Nachrichten überlegt auszuwählen. Kozyreva ist überzeugt: „Ohne die Fähigkeit, bewusst zu entscheiden, was wir im Netz ignorieren […], lassen wir zu, dass andere die Kontrolle über unsere Augen und unseren Verstand übernehmen.“