Herzen von Konzertbesuchern schlagen im selben Takt
Konzerte verbinden Menschen – und das nicht nur emotional. Auch körperlich scheinen sich die Zuhörerinnen und Zuhörer bei dem Musikerlebnis anzugleichen. Eine Chance für die Zukunft der klassischen Musik?
Das klassische Konzert befindet sich in der Krise – dabei hat es großes Potenzial, Gemeinschaft zu fördern.
Das Orchester beendet das Stück mit einem fulminanten Finale, im Konzertsaal herrscht noch ein letztes Mal konzentrierte Spannung, kurz darauf ertönt ein begeisterter Applaus. Der Besuch eines klassischen Konzerts ist ein emotionales Erlebnis, das Menschen verbindet – und das nicht nur geistig.
Auch körperlich scheinen sich Konzertbesucher*innen während des Abends anzugleichen. Das konnten Forschende der Universität Bern, des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main sowie der Zeppelin Universität in Friedrichshafen nun zeigen. Im Laufe eines Konzertes synchronisierten sich verschiedene Körperfunktionen der Besucher*innen – und das, obwohl alle mit unterschiedlichen Erwartungen und Einstellungen in den Konzertabend gegangen waren.
132 Herzen schlagen synchron
An der Studie, die in der Zeitschrift Scientific Reports erschien, nahmen 132 Menschen teil. Zuerst wurden sie zu ihrer Motivation und ihren Erwartungen in Bezug auf das Konzert und zu ihrem Hintergrund befragt. Zusätzlich analysierten die Forschenden die Persönlichkeitsmerkmale der Teilnehmenden mithilfe des Big Five-Persönlichkeitsmodells. Daraufhin nahmen die Testpersonen an jeweils drei Konzerten teil: Auf dem Programm stand Kammermusik von Ludwig van Beethoven, Brett Dean und Johannes Brahms, gespielt von einem Streichquintett.
Ziel der Studie war es, die physiologischen und motorischen Reaktionen des Testpublikums auf die dargebotene Musik zu untersuchen. Dafür wurden die Studienteilnehmer*innen während der klassischen Konzerte mit Sensoren ausgestattet und gefilmt.
Das Ergebnis war erstaunlich: Obwohl die Testpersonen aus unterschiedlichen Altersgruppen stammten und mit verschiedenen Erwartungen ins Konzert gegangen waren, synchronisierten sich ihre Körper beim gemeinsamen Hörerlebnis – darunter ihre Herz- und Atemfrequenz sowie ihre Bewegungen. Sogar die Leitfähigkeit der Haut hatte sich unter den Konzertbesucher*innen angeglichen.
Offene und empathische Menschen fördern Synchronisationseffekt
„Wenn Menschen gemeinsam Musik im Konzert hören, schafft das auch eine körperliche Verbindung zwischen ihnen, Synchronisation ist ein Bestandteil des Konzerterlebnisses“, sagt Wolfgang Tschacher, emeritierter Professor an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bern und Erstautor der Studie.
Allerdings gab es auch Abstufungen bei der Synchronisation: „Vor allem die Synchronisation der Herzfrequenz war höher, wenn Zuhörende emotional bewegt waren, sich von einem Stück inspiriert fühlten und ein immersives Musikerlebnis hatten“, heißt es in der Studie.
Auch die jeweiligen Persönlichkeitseigenschaften der Teilnehmenden machten einen Unterschied: Durch sie ließ sich der individuelle Beitrag zur Gruppensynchronie vorhersagen. „Offenheit für Erfahrungen“ und „Verträglichkeit“ förderten die Synchronität der Teilnehmenden stärker, während „Neurotizismus“ und „Extraversion“ diese negativ beeinflussten.
Das klassische Konzert in der Krise
Laut der Studie zeigen die Ergebnisse, dass das klassische Konzert – als Ort des gemeinsamen Hörens – gemeinschaftsbildend wirkt. Doch die Konzertform befindet sich in der Krise: Das Publikum wird immer älter, die strenge Etikette immer unbeliebter. Um den gemeinschaftsfördernden Aspekt des Erlebnisses aufrechtzuerhalten oder sogar zu verstärken und das Konzert für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen wieder attraktiver zu machen, muss also eine Veränderung her.
Aus diesem Grund beschäftigt sich das mehrjährige Forschungsprojekts ECR – Experimental Concert Research, in dessen Rahmen die Studie stattfand, mit der Frage, wie genau klassische Konzerte gestaltet sein müssten, um für ein Publikum im 21. Jahrhundert eine angemessene Ausdrucks- und Lebensform darzustellen. Die aktuelle Studie kann dafür einen Ausgangspunkt bilden.