Citizen Science: Wenn Bürger für eine bessere Welt forschen

Sie spüren invasive Arten auf, kämpfen gegen Mikroplastik und machen Stadtviertel lebenswerter: Immer mehr Bürgerinnen und Bürger leisten Großes im Namen der Forschung. Das kann Ergebnisse bringen, die sonst kaum möglich wären.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 17. Apr. 2024, 10:00 MESZ
Ein Fuchs quert vor einem Auto eine Straße

Wildtiere in der Großstadt: Ein typisches Forschungsfeld der Bürgerwissenschaft

Foto von Aaron J Hill / Adobe Stock

Weit über 230.000 Wildtiere sterben Jahr für Jahr auf deutschen Straßen. Das hat der Deutsche Jagdverband errechnet. Wahrscheinlich sind es mehrere Millionen. Nicht nur, weil die Dunkelziffer hoch ist, wie der Verband erklärt. Sondern auch, weil in den Zahlen nur das so genannte Schalenwild auftaucht – also Rehe, Hirsche und Wildschweine. Überfahrene Füchse oder Hasen werden selten nach Unfällen gemeldet. Sie verursachen meist keine Schäden am Fahrzeug.

Ein neues Online-Register soll helfen, Wildunfälle in Deutschland genauer zu ermitteln: Das Tierfund-Kataster. Wer ein totes Wildtier entdeckt, kann den Fund über eine kostenlose App oder auf der Website melden. Der Jagdverband sammelt die Einträge in einer zentralen Datenbank. Forschende der Universität Kiel werten die Daten aus.

Auf diese Weise wollen die Projektverantwortlichen herausfinden, an welchen Orten sich besonders viele Wildunfälle ereignen und welche Arten betroffen sind. Das Ziel: mehr Verkehrssicherheit und ein besserer Tier- und Artenschutz. 

Galerie: Auf Safari in urbaner Natur

Bürgerwissenschaft ist Forschung für alle

Erste Auswertungen zeigen: An jedem zweiten Wildunfall ist ein Reh beteiligt. Fleischfresser wie Fuchs, Dachs, Marderhund und Waschbär machen etwa 15 Prozent aller Zusammenstöße aus. Bei jedem zehnten Unfall sind es Hasen und Kaninchen.

Das Tierfund-Kataster ist ein gelebtes Beispiel für Citizen Science, auf Deutsch Bürgerwissenschaft. Hobbyforschende fotografieren und kartieren, melden Beobachtungen, führen Messungen durch, werten Daten aus und veröffentlichen ihre Ergebnisse – gemeinsam mit Forschungseinrichtungen oder komplett aus eigenem Antrieb. Einen akademischen Abschluss braucht es nicht. Citizen Science ist Wissenschaft für alle. 

Möglicherweise kann sie die Forschung auf ein neues Level heben. Silke Voigt-Heucke zumindest ist davon überzeugt. Die Biologin leitet das Projekt „Bürger schaffen Wissen“ in Berlin. Es versteht sich als zentrales Forum für Citizen Science in Deutschland und wird vom Bundesforschungsministerium gefördert. Von A wie Ahnenforschung bis W wie Wetter: Auf der Internetplattform finden sich inzwischen fast 300 Citizen-Science-Projekte. 

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    Da forschen Bürgerinnen und Bürger über die Luftqualität in Großstädten, die ökologische Bedeutung privater Gärten oder den Nutzen von Balkonkraftwerken. Sie untersuchen, wie ein Stadtviertel lebenswerter werden kann, sammeln Daten über Wildtiere in Metropolen und engagieren sich für den Schutz des Grundwassers.

    Allen gemeinsam ist die Leidenschaft am Forschen und Entdecken. Zusätzliche Schubkraft gibt die Digitalisierung. So kann sich die Community noch besser untereinander vernetzen – und ihre Ergebnisse jederzeit und überall teilen.

    Neues Wissen dank Hobbyforschung 

    Silke Voigt-Heucke selbst hat unter anderem ein Bürgerforschungsprojekt über die Verbreitung der Nachtigall in Berlin ins Leben gerufen. Mithilfe einer App konnten die Teilnehmenden den markanten Gesang des Singvogels aufnehmen, um so neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Verbreitung der Art in der Hauptstadt gewinnen zu können.

    „Citizen Science als Forschungsansatz ist letztlich eine Möglichkeit, wie wir die Wissenschaft revolutionieren können“, sagt die Biologin. Mit Bürgerforschung will sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Menschen für die Wissenschaft begeistern und zugleich relevante Daten für unterschiedliche Forschungsfragen bereitstellen. „Wir sollten das Wissen, die Initiativen, die Neugier, die Fragen und die Offenheit aller nutzen, um Wissen zu generieren, es weiterzugeben und es dann zwischen Forschung und Gesellschaft hin und her zu spielen.“

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