Invasive Arten: Gibt es bald Krokodile in Deutschland?

Die Klimaerwärmung verändert die Tier- und Pflanzenwelt in Deutschland. Einige Reptilien und Amphibien dürften von steigenden Temperaturen profitieren. Kommen demnächst exotische Schlangen und Krokodile?

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 12. Okt. 2023, 12:38 MESZ
Alligator in den Everglades. Vor Jahrmillionen lebten Krokodile auch in Deutschland.

Alligator in den Everglades. Vor Jahrmillionen lebten Krokodile auch in Deutschland.

Foto von Adobe Stock

Ein lautes Grunzen verrät den tierischen Invasor. Es klingt wie das Gebrüll eines Ochsen. In den Rheinauen bei Karlsruhe kann man es seit einigen Jahren immer öfter hören. Der markante Balzruf stammt von einem riesigen Lurch, der mit ausgestreckten Beinen fast so lang wird wie ein neugeborenes Baby. Mehr als ein Kilo bringt ein solcher Koloss auf die Waage. Und er verschlingt fast alles, was ihm vors Maul schwimmt: Amphibien und Fische, Schlangen und Mäuse – sogar Küken von Wasservögeln. Der invasive Nordamerikanische Ochsenfrosch (Lithobates catesbeianus) übertrifft alle einheimischen Amphibienarten an Größe und Gefräßigkeit.

In der Region um Karlsruhe hat sich inzwischen eine stabile Population gebildet. Vermutlich waren die ersten Exemplare in den 1990-er Jahren aus Gartenteichen oder Terrarien entwischt oder wurden verbotenerweise einfach ausgesetzt. Seitdem entwickelt sich der Ochsenfrosch zunehmend zur Plage. Seit 2016 steht er auf der Liste der unerwünschten invasiven Arten der EU. Denn er verdrängt heimische Amphibien und andere Arten. Natürliche Feinde hat er kaum. Im vergangenen Jahr sind deshalb auf Anordnung des Regierungspräsidiums Karlsruhe fast 1.000 Tiere abgeschossen worden. Helfer sammeln Laich und Kaulquappen ein. 

Etwa 1.200 gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten haben sich im Laufe der vergangenen 500 Jahre dauerhaft in Deutschland angesiedelt, erklärt das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Etwa 170 Spezies gelten als invasiv, haben also negative Auswirkungen auf die heimische Flora und Fauna. Manche Arten, darunter auch der Waschbär, wurden gezielt vom Menschen ausgesetzt. Andere Neubürger wie die Asiatische Tigermücke wurden unabsichtlich eingeschleppt oder schafften es auf eigene Faust, weil sich zum Beispiel die Umweltbedingungen änderten. Klar ist: In vielen Fällen hilft Mensch tatkräftig mit.

Gefräßiger Eindringling: Der Nordamerikanische Ochsenfrosch steht auf der Liste der unerwünschten invasiven Arten.

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Gefahr durch tierische Invasoren

In seinem aktuellen Bericht warnt der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) vor zunehmenden Problemen durch die weltweite Ausbreitung gebietsfremder Arten. Die Invasoren bedrohen nicht nur die angestammte Tier- und Pflanzenwelt. Sie verursachen auch wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe – zumal die Klimaerwärmung die Ansiedlung neuer Arten erleichtern kann.

Aktuelle Auswertungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zeigen: Seit 27 Jahren war jeder Sommer in Deutschland zu warm. Im Sommer 2023 lag die Durchschnittstemperatur mit 18,6 Grad Celsius um 2,3 Grad über dem Wert der Referenzperiode 1961 bis 1990. 

Tropisch schwüle Sommer und milde Winter: Die Vermutung liegt nah, dass gerade Reptilien und Amphibien davon profitieren könnten. Als wechselwarme Tiere gewinnen sie ihre Körperwärme aus der Umgebungstemperatur. Wird Deutschland also zum Paradies für Schlangen und Frösche? Welche neuen Arten könnten im Zuge der Klimaerwärmung heimisch werden? Ist es sogar denkbar, dass irgendwann Krokodile oder Alligatoren Jagd auf die Ochsenfrösche in den Karlsruher Rheinauen machen?

Nachfrage bei Dr. Axel Kwet. Der 58-jährige Biologe ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT). Als Herpetologe beschäftigt er sich mit Amphibien und Reptilien. „Deutschland zeichnet sich durch eine vergleichsweise artenarme Herpetofauna aus“, erklärt er. Aktuell gebe es hierzulande 22 Amphibien- und 15 Reptilienarten. Drei davon habe der Mensch eingeschleppt: Ochsenfrosch, Rotwangen-Schmuckschildkröte und Kroatische Gebirgseidechse. 

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    Und es könnten neue Arten hinzukommen. Zum Beispiel der afrikanische Krallenfrosch, der sich bereits in Frankreich breit macht. Dort gefährdet der anpassungsfähige Lurch als Nahrungskonkurrent und Fressfeind die angestammte Tierwelt. Außerdem überträgt er den tödlichen Chytridpilz – eine der Hauptursachen für das weltweite Amphibiensterben. Auch exotische Schlangen wie die ungiftige Amurnatter könnten sich künftig in Deutschland wohlfühlen. In ihrer Heimat, dem Osten Russlands, Nordchina und Korea, findet man sie unter anderem an Wald- und Siedlungsrändern. Hierzulande wird sie gern in Terrarien gehalten.

    Einige heimische Arten scheinen ebenfalls vom zunehmend milderen Klima zu profitieren. Die Mauereidechsen-Population im Raum Stuttgart beispielsweise sei innerhalb weniger Jahre geradezu explosionsartig gewachsen, sagt Kwet. Auch wärmeliebende Schlangen wie Äskulap- und Würfelnatter zählen offenbar zu den Nutznießern. „Für die Ausbreitung wechselarmer Wirbeltiere wie Reptilien und Amphibien ist es natürlich grundsätzlich günstig, wenn es zunehmend wärmer wird“, betont der Herpetologe. „Aber es braucht dann immer auch weitere begünstigende Faktoren wie die geeignete Feuchtigkeit.“

    Amphibien etwa benötigen viel Feuchtigkeit. Sie können sich nur in Gewässern fortpflanzen. Einige der heimischen Arten leiden jetzt schon unter der zunehmenden Dürre. Nicht nur, weil ihre Laichgewässer austrocknen. „Viele Amphibien vertrocknen auch schlichtweg im Frühsommer in irgendwelchen Erdspalten im Boden“, sagt Kwet. Seine Prognose klingt alles andere als rosig: „Amphibien dürften bei uns generell zu den Verlierern einer Klimaerwärmung gehören.“ Ähnlich könnte es kälteliebenden heimischen Reptilien wie Kreuzotter oder Waldeidechse ergehen.

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    Krokodile im Rhein?

    Weltweit gibt es fast 8.700 Amphibienarten und 12.000 Reptilien. Kwet ist sicher: Nur ein Bruchteil hätte überhaupt eine reelle Chance, sich in den nächsten Jahrzehnten dauerhaft in Deutschland anzusiedeln. Zu verschieden seien die Lebensräume und klimatischen Verhältnisse: „Die meisten Reptilien- und Amphibienarten leben ja überwiegend in den feuchtwarmen Tropen.“

    Keine Frage, es wird noch wärmer werden in Deutschland. Tropische Verhältnisse wie in den Everglades oder im brasilianischen Pantanal sind aber nicht zu erwarten. Kwet hält es deshalb auch für extrem unrealistisch, dass sich große, wärmeliebende Reptilien wie etwa Krokodile eines Tages wieder in Deutschland ansiedeln werden. Wieder? Tatsächlich lebten Krokodile einst auch in Deutschland. Doch das ist viele Millionen Jahre her. Damals herrschte ein feuchtwarmes Klima. 

    Krokodile in Deutschland bleiben also ein Fall für die jährlichen Sommerloch-Geschichten. Die Ochsenfrösche in den Karlsruher Rheinauen dürfte das freuen, sofern sie denn dazu imstande wären. Sie müssen sich nicht vor den gefräßigen Panzerechsen fürchten.

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