Superwahljahr 2024: Wie die Jahreszeit das Wahlergebnis beeinflusst
Ob im Sommer oder im Herbst gewählt wird, macht einen großen Unterschied. Wann Menschen eher konservativ wählen und welchen Einfluss die Jahreszeit auf politische und rechtliche Entscheidungen hat, haben Forschende aus Kanada herausgefunden.
In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen die Landtagswahlen vor der Tür. Welcher Partei sich Menschen nahe fühlen, hängt laut einer neuen Studie auch von der Jahreszeit ab. Das könnte die Wahlen weltweit beeinflussen.
Ob US-Präsidentschaftswahl, Europawahl oder Landtagswahl in Thüringen, Sachsen und Brandenburg: In mehr als 60 Staaten auf der ganzen Welt wird in diesem Jahr gewählt. Damit ist 2024 ein sogenanntes Superwahljahr.
Um alle wahlberechtigten Personen zu inkludieren, gibt es diverse politische Angebote zur eigenen Meinungsbildung – von Escape-Games für Erstwähler*innen bis zu Wahlprogrammen in leichter Sprache. Laut einer neuen Studie aus Kanada könnte allerdings etwas weitaus Größeres die weltweiten Wahlergebnisse beeinflussen: die Jahreszeit. Ob im Sommer oder im Herbst gewählt werde, sei ausschlaggebend dafür, wie eine Wahl ausfalle, so die Forschenden von der University of British Columbia (UBC). Unser Wahlzyklus im Frühjahr und Herbst könnte zum Beispiel dafür sorgen, dass die Wahlen eher zugunsten konservativer Parteien ausfallen.
Moralische Werte beeinflussen Entscheidungen und Urteile
Für ihre Studie, die in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht wurde, analysierten die Forschenden Umfragewerte von 230.000 US-Amerikaner*innen. Über einen Zeitraum von 10 Jahren wurden die Studienteilnehmenden zu ihren moralischen Werten befragt. „Moralische Werte sind ein grundlegender Teil davon, wie Menschen Entscheidungen treffen und Urteile fällen“, sagt Ian Hohm, Hauptautor der Studie und Doktorand im Fachbereich Psychologie an der UBC.
In der Umfrage maßen die Wissenschaftler*innen die fünf Werte Loyalität, Autorität, Reinheit, Fürsorge und Gerechtigkeit in verschiedenen Jahreszeiten. Diese Werte werden in der Forschung als entscheidend dafür angesehen, wie Menschen darüber urteilen, was ‚richtig‘ und was ‚falsch‘ ist. Gleichermaßen kann man anhand von ihnen messen, wie konservativ oder liberal eine Person eingestellt ist.
Die Loyalität zur eigenen Gruppe und die Aufrechterhaltung von Bindungen innerhalb dieser Gruppe, das Respektieren von Autoritäten und Befolgen von etablierten Regeln (Autorität) sowie das Erhalten von Traditionen und die Betonung von Sauberkeit (Reinheit) werden als ‚bindende‘ oder auch als konservative Werte bezeichnet, weil sie die Konformität mit den Normen einer Gruppe fördern und mit den Werten des modernen politischen Konservatismus übereinstimmen. Die Fürsorge gegenüber anderen Personen und das Sicherstellen einer gleichen Behandlung für alle (Gerechtigkeit) werden dagegen als liberale Werte eingeordnet, die sich auf individuelle Rechte und Wohlergehen konzentrieren.
Im Frühling und im Herbst sind Menschen konservativer
Das Ergebnis der Analyse fiel überraschend eindeutig aus. Je nach Jahreszeit schwankten die moralischen Werte – doch ein Muster blieb über zehn Jahre hinweg bemerkenswert konstant: Im Frühling und im Herbst unterstützten die Befragten die ‚bindenden‘, konservativen Werte stärker als im Sommer und im Winter. Bedeutet: Die Menschen sind in diesen Jahreszeiten allgemein konservativer eingestellt – und wählen mit größerer Wahrscheinlichkeit konservative Parteien. Da unsere Wahlen größtenteils im Frühjahr und im Herbst stattfinden, könnten diese also häufiger zugunsten konservativer Parteien ausfallen.
Eine Erklärung für dieses Phänomen konnten die Forschenden ebenfalls finden: „Wir haben festgestellt, dass die Angstniveaus im Frühling und Herbst ihren Höhepunkt erreichen, was mit den Perioden übereinstimmt, in denen die Menschen die bindenden Werte stärker unterstützen“, sagte Mark Schaller, Seniorautor der Studie und Professor für Psychologie an der UBC. Diese Korrelation deute darauf hin, dass stärkere Ängste dazu führen könnten, dass Menschen Trost in Gruppennormen und Traditionen suchen – und womöglich Halt bei konservativen Parteien, die solche ‚bindenden‘ Werte unterstützen.
Auswirkungen auf Rechtsprechung und Pandemiebekämpfung
Die Forschenden geben zu bedenken, dass dieses Muster weitreichende Auswirkungen haben kann. So könnten die jahreszeitlichen Schwankungen der moralischen Werte nicht nur Einfluss auf Wahlergebnisse haben, sondern auch auf Gerichtsverfahren und rechtliche Entscheidungen. So könnten Richter*innen, die ‚bindende‘ Werte unterstützen, härtere Urteile bei Normverletzer*innen fällen. Auch bei der Bekämpfung einer potenziellen kommenden Pandemie könnte das Wissen über die Jahreszeiten wichtig werden: Wie bereitwillig sich Menschen während der Corona-Pandemie an Richtlinien hielten oder sich impfen ließen, wurde von ihren moralischen Werten beeinflusst. Zu wissen, dass sich diese Werte saisonal ändern, könnte helfen, effektivere Gesundheitskampagnen zu entwickeln.