Sind ältere Menschen konservativer?

Je älter, desto konservativer, heißt es. Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass sich die persönlichen Einstellungen mit dem Alter verschieben.

Von National Geographic
Veröffentlicht am 1. Feb. 2024, 10:44 MEZ
Ein älterer Mann mit weißem Vollbart und Marihuana-Zigarette

Manche Vorlieben ändern sich auch im Alter nicht.

Foto von deagreez / Adobe Stock

Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft. Familie, Gesundheit und Freiheit. Das sind die Werte und Wünsche, die jungen Menschen in Deutschland besonders am Herzen liegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Jugendstudie. Die Untersuchung dürfte einige überraschen. Denn sie deutet darauf hin, dass die Wertvorstellungen zwischen der jungen Generation Z und den älteren Babyboomern sich gar nicht so stark voneinander unterscheiden. Traditionelle Erwartungen spielen offenbar auch im Leben junger Menschen eine wichtige Rolle.

Oft heißt es, die Jugend sei eher progressiv und unangepasst, also auf Fortschritt und Veränderung aus. Ältere dagegen wollten vor allem bewahren. Sie strebten nach Sicherheit und Kontinuität. Damit seien sie eher konservativ. Doch stimmt diese Einschätzung überhaupt? Ein Blick auf die Bundestagswahl 2021 zeigt: Tatsächlich waren die als progressiv geltenden Grünen stärkste Partei bei der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen. Je älter dagegen die Wählerinnen und Wähler, umso größer die Stimmenanteile für die konservative CDU/CSU.

Hatte die Union mehr Erfolg bei den älteren Wählergruppen, weil diese im Laufe ihres Lebens womöglich konservativer geworden sind? Nicht unbedingt. Der Kohorteneffekt etwa besagt, dass Menschen, die in einer bestimmten Zeit politisch geprägt wurden, Parteivorlieben entwickeln, die oft ein Leben lang halten. Viele stimmen also im hohen Alter für dieselbe Partei, die sie schon in jungen Jahren gewählt haben.

Zu Beginn der Bundesrepublik sind viele Menschen beispielsweise von der Adenauer-Politik beeinflusst werden, die nachrückende Generation vor allem von der SPD unter Brandt. Bis heute spiegeln sich diese Prägungen in den Wahlstatistiken wider: Bei den über 80-Jährigen gibt es vergleichsweise viele Unionwähler, bei den 60- bis 80-Jährigen einen höheren SPD-Anteil. 

Progressiv in der Jugend, konservativ im Alter? 

Trotzdem deutet einiges darauf hin, dass die persönliche Haltung sich mit zunehmendem Alter verschiebt. Die Sozialwissenschaftler Klaus Birkelbach und Heiner Meulemann haben sich in einer Forschungsarbeit mit dem Thema befasst. Ihre Hypothese: Während die politische Einstellung junger Menschen stark von Idealen geprägt sei, ließen sich ältere Leute stärker von familiären und beruflichen Sachzwängen leiten. Tatsächlich stellten die Forscher fest, „dass ein Wechsel von links nach rechts häufiger ist als umgekehrt“.

Es scheint auf der Hand zu liegen: Junge Menschen müssen erst ihren Platz in der Welt finden. Um ihre Ziele zu erreichen, gilt es, flexibel und offen für neue Erfahrungen zu sein. Dafür braucht es häufig kreative und mutige Entscheidungen. Im Laufe des Lebens ändern sich die Prioritäten vieler Menschen. Beruf, Besitz und Gesundheit werden wichtiger. Wer etwas Erstrebenswertes erreicht hat, möchte es in der Regel behalten. Konservative Werte wie Stabilität und Sicherheit rücken in den Fokus.

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    Wenn sich die Lebensziele ändern

    „In der Jugend hat man viele Lebensziele, die man sich erfüllen möchte, als junger Mensch sucht man sich die Umwelt, die zu einem passt“, unterstreicht der Psychologe Christian Kandler. „Später dagegen wollen Menschen das Erreichte bewahren, sie passen sich eher den Umwelten an.“ 

    In den ersten 30 Lebensjahren seien viele Menschen also eher offener für Erfahrungen und damit progressiver, im mittleren Alter hingegen eher konservativer. In der späten Lebensphase vollziehe sich dann nochmals ein Wandel: Hochbetagte Menschen seien emotional wieder weniger stabil, introvertierter und weniger gewissenhaft. Die Persönlichkeit ändere sich im Laufe des Lebens gleich mehrfach. Ausnahmen bestätigten die Regel.

    Persönlichkeitsbildung: Auch die Gene entscheiden

    Kandler forscht seit Jahren intensiv zu dem Thema. In einer aktuellen Untersuchung kommt er zu dem Schluss, dass nicht nur Erfahrungen in Familie, Bekanntenkreis und Beruf unsere persönliche Einstellungen prägen. Auch die Gene entscheiden. Um den Einfluss des Erbguts auf den Charakter untersuchen zu können, hat Kandler über einen längeren Zeitraum die Persönlichkeitsentwicklung von Zwillingen miteinander verglichen.

    „Ob man nun eher ehrlich und bescheiden oder unehrlich und maßlos, emotional labil oder stabil, extravertiert oder introvertiert, hilfsbereit oder ichbezogen, zuverlässig oder nachlässig, offen oder intolerant ist, das hängt weniger von gemeinsamen Erfahrungen ab als bisher angenommen“, erklärt der Bremer Psychologe. Progressiv oder konservativ? Ein Teil der Antwort liegt offenbar schon in erheblichem Maß in unseren Genen.

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