Motivation: Warum zu viel Lob schadet

Viele Eltern überschütten ihre Kinder mit Lob. Was gut gemeint ist, geht oft nach hinten los. Unangemessenes Lob kann Motivation und Selbstwertgefühl beeinträchtigen.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 7. Okt. 2024, 08:30 MESZ
Beispielhafte Illustration von vier klatschenden Händepaaren. Die applaudierenden Hände symbolisieren: Zu viel Lob schadet.

Applaus, Applaus: Auch gut gemeintes Lob hat Risiken und Nebenwirkungen.

Illustration aprint22com / stock.adobe.com

Lob ist wie Penicillin. Ein starkes Medikament, das man nicht unüberlegt verabreichen darf. Die Worte des 1973 verstorbenen Kinderpsychologen Haim G. Ginott mögen übertrieben klingen. Was er damit meinte: Falsch dosiertes Lob kann schaden. 

Klar ist: Jeder Mensch sehnt sich nach Wertschätzung. Gerade Kinder brauchen Ansporn und Anerkennung. Und natürlich loben wir meist in bester Absicht. Doch nach Ansicht von Fachleuten übertreiben wir es regelmäßig damit. 

Muss jedes schnell dahin gekritzelte Bild oder jede halbwegs geglückte Fußballflanke gleich einen Beifallsturm auslösen? Die Wissenschaft sieht solche Lobhudelei kritisch. Studien zeigen: Lob ist ein zweischneidiges Schwert.

Lob für Intelligenz oder Leistung?

Die US-Psychologinnen Claudia M. Mueller und Carol S. Dweck etwa haben die Auswirkungen von Lob auf Schulkinder untersucht. In ihren Studien unterscheiden sie zwischen Lob für Intelligenz (personenbezogen) und Lob für Leistung (prozessbezogen). Das Ergebnis: Lob für Intelligenz kann die Motivation und Leistung von Kindern beeinträchtigen.

„Du bist so schlau!“: Wer ein Kind für dessen Intelligenz lobt, vermittelt ihm, dass seine Fähigkeiten angeboren und damit eigentlich unveränderlich sind. Scheitert das Kind an einer Aufgabe, macht es mangelnde Klugheit dafür verantwortlich. Mueller und Dweckl zufolge scheuen diese Kinder künftige Herausforderungen – aus Angst, als Dummkopf dazustehen. 

Stattdessen wählen sie leichtere Aufgaben mit höherer Erfolgswahrscheinlichkeit. Stoßen sie auf Schwierigkeiten, brechen sie eher ab. Grundsätzlich tun sie Dinge weniger aus eigenem Antrieb, sondern um zu gefallen. Personenbezogenes Loben, auch der Vergleich mit anderen, führt also schnell zu Frust und Demotivation. 

Anders dagegen das prozessbezogene Lob. Die Forschungen von Mueller und Dweckl legen nahe: Kinder, die konkret für ihre Leistung gelobt werden, zeigen mehr Durchhaltevermögen bei kommenden Aufgaben. „Du hast dir richtig Mühe gegeben!“: Wer ein Kind für dessen Anstrengung lobt, ermutigt es dazu, auch Misserfolge als Chance zu sehen. 

BELIEBT

    mehr anzeigen

    “Lob für Intelligenz kann die Motivation von Kindern beeinträchtigen.”

    C.M. Mueller/C.S. Dweck

    Übertriebenes Lob ist kontraproduktiv

    Lob ist also nicht gleich Lob. Es sollte konkret und gezielt sein, authentisch und ehrlich. Zu viel Lob dagegen ist kontraproduktiv. Zu diesem Ergebnis kommt eine niederländische Studie um den Psychologen Eddie Brummelman.

    Oft würden Kinder mit übertriebenem Lob geradezu überschüttet, heißt es darin. Besonders auffällig sei das bei Kindern mit einem geringen Selbstwertgefühl. Erwachsene neigten dazu, sie stärker zu loben, um sie mental zu stärken. Doch das gehe häufig nach hinten los.

    Das Forschungsteam fand heraus: Kinder, die an sich selbst zweifeln, zeigen weniger Motivation, wenn sie ständig übertriebenes Lob erhalten. Denn wenn sie dafür gelobt werden, dass sie etwas nicht einfach nur „gut“, sondern „unglaublich gut“ gemacht haben, könnten sie schlussfolgern, dass dieser hohe Standard auch künftig von ihnen verlangt wird. 

    Sie empfinden die Überdosis an Lob als zusätzlichen Druck, übersteigerten Erwartungen gerecht werden zu müssen. Am Ende meiden sie wichtige Herausforderungen, Lernerfahrungen und Situationen. Gut fürs Selbstwertgefühl ist das nicht.

    Der Glücksatlas
    Die Kulturen der Welt haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was es bedeutet, glücklich zu sein. Findet heraus, wie Glück gemessen wird.

    Was uns antreibt: Extrinsische und intrinsische Motivation

    Lob ist ein mächtiges Instrument. Deshalb sollte man es wohldosiert einsetzen. Das gilt nicht nur in der Kindererziehung.

    Wer Motivation allein aus dem Lob anderer schöpft, geht eine Aufgabe nicht unbedingt aus innerer Überzeugung an, sondern aus dem Wunsch nach Belohnung. Fachleute sprechen hierbei von extrinsischer Motivation. Damit machen wir uns aber von äußeren Faktoren abhängig, die wir im Zweifel gar nicht selbst in der Hand haben.

    Extrinsische Motivation ist nicht per se schlecht. Sie kann uns dazu anspornen, Dinge zu erledigen, auf die wir eigentlich keine Lust haben. Die meisten Menschen arbeiten schließlich nicht nur aus Freude, sondern um Geld zu verdienen – also um belohnt zu werden. 

    Dennoch gilt die intrinsische Motivation, die Selbstmotivation, als bessere Wahl. Wer von innen heraus motiviert ist, zeigt auf lange Sicht mehr Engagement und Leistung, ist zufriedener und glücklicher. Anstatt einer Belohnung hinterher zu hecheln, tun wir Dinge, weil wir sie selbst sinnvoll oder interessant finden. Oder weil sie uns einfach Spaß machen. 

    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved