Zuhause bleiben ist das neue Ausgehen

Früh ins Bett statt in den Club – bei jungen Menschen liegt das immer mehr im Trend. Von einer neuen Ära von Stubenhockern und den Folgen für die Gesellschaft.

Serie schauen statt zur Party: Viele Menschen bleiben seit einigen Jahren lieber zuhause als auszugehen. Warum ist das so?

Foto von Kaboompics.com / Pexels
Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 1. Nov. 2024, 16:16 MEZ

Den Bekannten für die Party absagen und stattdessen um 21 Uhr im Bett liegen – klingt langweilig? Das sehen viele Menschen anders: Auf Social Media trenden Videos, in denen junge Erwachsene stricken, lesen und früh ins Bett gehen – und das nicht erst seit der Corona-Pandemie

Nun hat sich ein Forschungsteam aus den USA mit dieser Entwicklung beschäftigt und herausgefunden, dass US-Amerikaner*innen seit 2019 täglich etwa eine Stunde weniger mit Aktivitäten außer Haus verbringen als in den Jahren zuvor. In ihrer Studie, die in der Zeitschrift Journal of the American Planning Association erschien, gehen die Forschenden den Ursachen auf den Grund und erklären, welche Folgen das Verhalten für die Zukunft haben könnte.

Zuhause bleiben: Kein reiner Pandemie-Trend

Für ihre Studie untersuchte das Team Daten von Erwachsenen ab 17 Jahren aus dem American Time Use Survey (ATUS), einer jährlichen Erhebung darüber, wie US-Amerikaner*innen ihre Zeit verbringen. Ihr Ziel war es zunächst, herauszufinden, wie die Pandemie das Ausgehverhalten und die Zeit zuhause nachhaltig beeinflusst hat. Dazu analysierten sie die Jahre 2019 bis 2023 (mit Ausnahme des Jahres 2020, in dem die Datenerhebung auf dem Höhepunkt des Ausbruchs unterbrochen werden musste). Später verglichen sie die Zahlen mit früheren Erhebungen aus den Jahren 2003 bis 2019. 

Die Forschenden unterteilten die Zeitnutzung in 16 Aktivitäten, denen Menschen zuhause nachgehen – darunter Schlafen, Sport und Arbeiten aus dem Homeoffice – und 12 außerhäusliche Aktivitäten wie kulturelle und Sportveranstaltungen, Einkäufe und das Arbeiten im Büro. Separat analysierten sie die Nutzung von Fortbewegungsmitteln wie Auto, Fußwege und öffentliche Verkehrsmittel. 

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Das Ergebnis der Studie: Die Zeit, die Menschen am Tag außerhalb ihres Hauses oder ihrer Wohnung verbrachten, hat sich seit 2019 um 51 Minuten reduziert. Auch die Zeit, die Menschen mit täglichen Autofahrten oder in öffentlichen Verkehrsmitteln verbringen, ist um fast 12 Minuten gesunken. Dieser Trend habe sich zwar durch die Pandemie deutlich verstärkt, so die Forschenden. Allerdings sei er kein reines Corona-Phänomen: Schon vor COVID-19 sei die Zeit, die Menschen außerhalb ihres Hauses verbrachten, pro Jahr um etwa 1,8 Minuten gesunken. Das zeigen die Daten von 2003 bis 2019. 

Das Studienteam prognostiziert, dass sich der Trend, zuhause zu bleiben, auch nach der Pandemie fortsetzen wird: 2023 verbrachten die Menschen fast genauso viel Zeit zuhause wie im Corona-Jahr davor. 

Warum bleiben Menschen öfter zuhause?

Eine Erklärung dafür liegt laut den Forschenden darin, dass mehr Menschen seit der Pandemie von zuhause arbeiten und auch in ihrer Freizeit digitale Tools wie Facetime oder Zoom nutzen. Möglich sei das heutzutage durch eine Verbesserung der digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien in den letzten Jahrzehnten und die Tatsache, dass sich nun diverse Altersgruppen mit dieser Technik auskennen würden. 

Zudem würden seit der Pandemie mehr Personen besonders ihren sportlichen Hobbys von zuhause aus nachgehen – Online-Kursen sei Dank. Gleichzeitig fanden die Forschenden auch eine überraschende Ursache für die längeren Zeiten zuhause: Die Schlafenszeit hat den Daten zufolge in den letzten Jahren rapide zugenommen. Dieser Umstand müsse dringend weiter untersucht werden.

BELIEBT

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    “Viele bleiben zuhause, um sich vom stressigen Alltag zu erholen.”

    Auch in Deutschland bleiben die Menschen öfter zuhause. Laut dem Freizeit-Monitor, einer jährlichen Studie der Stiftung für Zukunftsfragen, gehen vor allem 18- bis 24-Jährige seit einigen Jahren seltener aus. Treffen mit Freund*innen und Zeit mit dem*der Partner*in werden ebenfalls weniger. „Während die technologischen Möglichkeiten zur Vernetzung immer umfassenden werden, nehmen persönliche Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten im realen Leben ab“, heißt es in der Studie. Viele blieben auch deswegen zuhause, weil sie sich dort vom stressigen Alltag erholen können. Dabei stünden unter anderem Ausschlafen, entspannende Tätigkeiten wie ein Buch lesen oder sich in Ruhe pflegen auf dem Plan.

    Was bedeutet der Trend für die Zukunft?

    Die Forschenden sehen Vor- und Nachteile in dem neuen Trend – aber keinen Grund zur Sorge. Gut sei, dass weniger Leute zur Arbeit pendeln müssten, was ihnen nicht nur Zeit und Geld spare, sondern auch den Kraftstoffverbrauch und Emissionen senken könne. Andererseits könnte der Rückzug ins eigene Heim zu sozialer Isolation führen.

    Die Entwicklung hin zu einem Leben „ohne großes Ausgehen“ wird der Studie zufolge weitreichende Folgen für die Gesellschaft haben. Darauf müsse sich die Stadtplanung in den kommenden Jahren einstellen. Weniger und andere Formen von Mobilität verlangen beispielsweise nach einer Neuausrichtung des Verkehrs. Außerdem müsse die Infrastruktur für einen nachhaltigen Lieferverkehr ausgebaut werden, da Online-Einkäufe immer häufiger werden. Da weniger Arbeitnehmer*innen ins Büro gehen, könne man leerstehende Büro- und Einzelhandelsflächen in Wohnraum umwandeln.  

    Zusätzlich plädiert der Hauptautor der Studie, Eric A. Morris, Professor für Stadt- und Regionalplanung an der Clemson University, für attraktive Angebote, die zum Rausgehen animieren.

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