Medizinische Forschung 2024: Gute Nachrichten für die Gesundheit
HIV-Infektionen und Fehlgeburten verhindern, Herpes ausschalten und Spenderblut für alle: Im Jahr 2024 gelangen in der Medizin einige Durchbrüche, die in Zukunft viele Leben retten und besser machen könnten.
Ein Wissenschaftler des US-amerikanischen National Cancer Institute (NCI) im Labor. Die medizinische Forschung hat in 2024 in vielen Bereichen große Durchbrüche erzielt.
Die Gesundheit ist das höchste Gut – doch oft weiß man sie erst richtig zu schätzen, wenn sie beeinträchtigt ist. Während ein kleiner Schnupfen schnell verfliegt, gibt es andere Krankheitsbilder, die das Leben stark einschränken oder sogar lebensgefährlich sind.
Dank der medizinischen Forschung können heute schon viele Erkrankungen geheilt werden, die früher ein Todesurteil waren. Der menschliche Körper und seine Prozesse werden mit jedem Jahr besser verstanden und neue Behandlungsmethoden und Prophylaxen entwickelt, die ein Über- und Weiterleben ermöglichen oder Krankheiten direkt verhindern.
Auch im Jahr 2024 gab es einige neue Erkenntnisse und wichtige Durchbrüche in diesem Bereich. Wir haben einige Highlights zusammengefasst.
Impfung gegen Gürtelrose verzögert Demenz
Demenz beginnt schleichend, mit Gedächtnis- und Denkstörungen und Problemen bei der Orientierung. Im Laufe der Zeit werden die Symptome stärker und beeinträchtigen die Lebensfähigkeit. Viele Menschen haben Angst vor der Krankheit, die hierzulande laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. derzeit rund 1,8 Millionen Menschen betrifft. Eine Zahl, von der erwartet wird, dass sie sich bis zum Jahr 2050 verdoppeln wird.
Händeringend wird darum nach einem Mittel gesucht, das prophylaktisch gegen die Krankheit wirkt. Hoffnung macht eine Studie von Forschenden der Oxford University, England, die im Juli erschienen ist und auf den Daten von mehr als 200.000 Menschen basiert. Das Studienteam stellte fest, dass bei Personen, die eine Gürtelroseimpfung mit dem Medikament Shingrix erhalten hatten, die Zahl der Demenzdiagnosen in den sechs Jahren nach der Impfung um 17 Prozent geringer war als bei Personen, die diese Impfung nicht erhalten hatten. Dies entspricht 164 zusätzlichen Lebenstagen ohne Demenz.
Gürtelrose wird durch das Herpes-Zoster-Virus verursacht. Betroffen sind meist Personen ab 50 Jahren, die im Laufe ihres Lebens an Windpocken erkrankt waren. Hinweise auf den demenzvorbeugenden Effekt einer Gürtelrosenimpfung gab es bereits im Jahr 2006. Damals kam der Impfstoff Zostavax zum Einsatz.
Laut der aktuellen Studie ist Shingrix als Demenzprophylaxe jedoch deutlich wirksamer als sein Vorgänger – wie es zu diesem Nebeneffekt kommt, ist allerdings unklar. „Eine Möglichkeit ist, dass eine Infektion mit dem Herpes-Zoster-Virus das Demenzrisiko erhöht und der Impfstoff durch Hemmung des Virus dieses Risiko verringern könnte“, sagt Studienautor John Todd. Schon länger wird vermutet, dass Herpesviren das Gehirn beeinflussen, konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse lassen jedoch auf sich warten.
Herpes: Viren ausschalten durch Gentherapie
Herpes begleitet die Menschen seit Urzeiten. Heute trägt laut der WHO weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung das Virus in sich. „Herpesviren sind sehr heimtückisch“, sagt Keith Jerome vom Fred Hutchinson Cancer Center in Seattle. „Sie verstecken sich unter den Nervenzellen und verursachen, wenn sie erwachen, schmerzhafte Hautblasen.“
Bisher war es unmöglich, das Virus loszuwerden – wer es einmal hat, hat es für immer. Dies könnte sich nun ändern, denn gemeinsam mit seinem Team hat Jerome eine Methode entwickelt, mit der Infektionen beseitigt und die Virusmenge, die von einer infizierten Person weitergegeben wird, erheblich reduziert wird.
In ihrer im Mai erschienenen Studie beschreiben die Forschenden, wie sie mit Herpes infizierten Mäusen eine Mischung aus modifizierten Viren und Enzymen verabreicht haben. „Wir verwenden ein Meganuklease-Enzym, das an zwei verschiedenen Stellen in die DNA des Herpesvirus schneidet“, erklärt die Erstautorin Martine Aubert. „Diese Schnitte schädigen das Virus so sehr, dass es sich nicht selbst reparieren kann, körpereigene Reparatursysteme erkennen die beschädigte DNA als fremd und beseitigen sie.“
GALERIE: MEDIZINISCHE HIGHLIGHTS 2024
Die Ergebnisse der Versuche sind vielversprechend: Etwa einen Monat nach der Behandlung waren bei einer oralen Infektion 90 Prozent und bei einer genitalen Infektion 97 Prozent der Herpesviren eliminiert. Klinische Studien sollen demnächst die Wirksamkeit beim Menschen belegen. Nachdem in der Studie nur Viren des Typs Herpes simplex Virus 1 (HSV-1) untersucht wurden, wollen die Forschenden ihren Ansatz außerdem an Viren des Typs 2 (HSV-2) testen, die unter anderem das Risiko für eine HIV-Infektion erhöhen.
Hundertprozentiger Schutz vor HIV
Der Kampf gegen HIV und Aids wird seit Jahrzehnten geführt – und zeigt in vielerlei Hinsicht Erfolge. Doch gewonnen ist er noch nicht: Weder gibt es ein Heilmittel noch eine zuverlässige Impfung und jedes Jahr infizieren sich Hunderttausende Menschen neu. Manche Personengruppen sind stärker gefährdet als andere. In Europa steigen die Infektionszahlen laut der WHO wieder. In erster Linie sind Menschen betroffen, die intravenös Drogen nehmen. Besonders gefährlich ist die Lage aber in der afrikanischen Weltregion, wo die Zahl der Neuinfektionen im Jahr 2022 mit rund 660.000 mehr als dreimal so hoch war wie in Europa.
Eine Mutter mit ihrem Kind beim Bluttest in Nigeria im März 2021. Das afrikanische Land ist unter den fünf Ländern mit den meisten HIV-Infizierten weltweit. Eine flächendeckende Prophylaxe, die vor der Ansteckung schützt, könnte viele Leben retten.
Nun wurde ein Medikament gefunden, das HIV-Infektionen zuverlässig verhindert. Der Hoffnungsträger ist das Virostatikum Lenacapavir. Seit 2022 ist es in der EU für die Behandlung von HIV-Infektionen zugelassen. Laut der Studie eines internationalen Forschungsteams, die im Juli erschienen und parallel dazu auf der Welt-Aids-Konferenz in München präsentiert worden ist, ist es aber auch als Präexpositionsprophylaxe (PrEP), also als Schutz vor einer Infektion geeignet – und das mit einer Effizienz von 100 Prozent.
An der Studie hatten 5.338 junge Frauen in Südafrika und Uganda teilgenommen. Alle waren bei Studienbeginn HIV-negativ. In einer Gruppe wurde Probandinnen alle sechs Monate Lenacapavir unter die Haut gespritzt, die übrigen rund 3.200 Teilnehmerinnen bekamen andere PrEP-Medikamente. In der zweiten Gruppe waren am Ende des Studienzeitraums 55 Frauen trotz PrEP HIV-positiv. In der Lenacapavir-Gruppe gab es keinen einzigen HIV-Fall.
Bisher ist Lenacapavir für die PrEP noch nicht zugelassen. Wie die Studie zeigt, wäre dies in Ländern mit hoher HIV-Inzidenz jedoch möglicherweise ein Mittel, um die Zahl der Neuinfektionen erheblich zu reduzieren. Wichtig ist jedoch, dass das Medikament flächendeckend in ausreichender Menge verfügbar ist.
Einfach Leben retten: Hilfe bei Schlangenbissen
Flächendeckend und in ausreichender Menge verfügbar sollten auch Gegengifte sein, die bei Schlangenbissen zum Einsatz kommen. Doch die Situation sieht leider ausgerechnet in den ärmeren, ländlichen Gemeinden Afrikas und Indiens, die besonders gefährdet sind, ganz anders aus. Gängige Präparate müssen gekühlt und intravenös gespritzt werden. Sie sind außerdem teuer, weil ihre Herstellung aufwändig ist. Und selbst wenn das Gegengift zur Hand ist, verhindert es möglicherweise den Tod, nicht aber die Nekrose – also das Absterben – von Körpergewebe und Zellen, die das Gift an der Bissstelle verursacht. 138.000 Menschen sterben jedes Jahr an Schlangenbissen, 400.000 überleben, sind allerdings verstümmelt oder haben andere Langzeitschäden.
Ein Forschungsteam der University of Sydney hat nun eine Entdeckung gemacht, die zumindest im Fall von Kobrabissen viele Leben retten und Amputationen vermeiden könnte. In ihrer Studie beschreiben die Forschenden, wie sie mithilfe der Gene-Editing-Technologie CRISPR ermittelten, dass das Gift der Kobra unter anderem Enzyme angreift, die für die Bildung der Moleküle Heparan und Heparin benötigt werden.
Südasiatische Kobra (Naja naja) in einem Zoo. Mit ihrem Biss injiziert die Schlange ihrem Opfer bis zu 200 Milligramm Gift, weniger als 20 Milligramm sind ausreichend, um einen Menschen zu töten.
Körpereigenes Heparin wird bei der Immunreaktion freigesetzt, es ist aber auch in Medikamentenform als Blutverdünner erhältlich. Durch die Einnahme von Heparin direkt nach dem Biss, bindet die Flut von Heparinoidmolekülen das Gift an sich und neutralisiert es.
„Heparin ist preiswert, überall erhältlich und steht auf der Liste der unentbehrlichen Medikamente der WHO“, sagt Hauptautorin Tian Du. Anders als gängige Gegengifte muss es nicht gekühlt werden, kann also überall für den Notfall vorgehalten werden. „Nach erfolgreichen Versuchen am Menschen könnte Heparin relativ schnell zu einem billigen, sicheren und wirksamen Medikament zur Behandlung von Kobrabissen werden“, so Du.
Mit Aspirin und Heparin Fehlgeburten verhindern
Doch Heparin kann noch mehr – es schützt auch das ungeborene Leben. Diese weitere bisher unbekannte Wirkung des Medikaments entdeckten Forschende der Kobe Universität in Japan. Im Mittelpunkt ihrer Studie aus dem September standen Frauen, die einen bestimmten Antikörper im Blut tragen, der wiederholte Schwangerschaftsverluste – zwei oder mehr Fehlgeburten – verursacht. Ein Gegenmittel gab es bisher nicht, doch, so Hauptautor Kenji Tanimura, „diese Antikörper greifen an ähnlichen Stellen im Körper an wie andere Antikörper, für die es Behandlungsmöglichkeiten gibt.“ Behandelt werde unter anderem medikamentös – mit Standardarzneistoffen wie Heparin oder auch Aspirin.
Die Frage war nun, ob diese Medikamente, die gegen Antikörper mit ähnlichen Zielen wirksam sind, helfen können, Schwangerschaftsverluste zu vermeiden. Tatsächlich war dies der Fall: Frauen, die an der Studie teilnahmen und während der Schwangerschaft niedrige Dosen Aspirin oder Heparin einnahmen hatten keine Komplikationen und die Wahrscheinlichkeit einer Lebendgeburt war bei ihnen um bis zu 93 Prozent höher als bei Frauen, die die Medikamente nicht einnahmen.
Die Studienergebnisse erscheinen auf den ersten Blick nur für eine kleine Gruppe relevant zu sein: Frauen, die den Antikörper im Blut haben und schwanger sind oder werden wollen. Doch laut Tanimura könnte mit der Entdeckung viel mehr Menschen geholfen werden. „Der Antikörper ist nachweislich auch an Unfruchtbarkeit und wiederholtem Implantationsversagen beteiligt“, sagt er. Zudem gelte er als Risikofaktor für arterielle Thrombosen bei Frauen mit Rheumaerkrankungen. „Ich erwarte daher, dass Studien über die Wirksamkeit der Behandlung bei einem breiten Spektrum von Erkrankungen ermutigende Ergebnisse liefern könnten.“
Blutspende: dem Universalblut einen Schritt näher
Mit menschlichem Blut hat sich auch ein Forschungsteam der Technischen Universität Dänemarks (DTU) in Kopenhagen und der Universität Lund beschäftigt. Ihm ist es offenbar gelungen, Blut jeder Blutgruppe enzymatisch in Spenderblut der Gruppe 0 umzuwandeln.
Rote Blutkörperchen tragen auf ihrer Oberfläche komplexe Zuckerstrukturen, die die A- und B-Antigene der menschlichen AB0-Blutgruppen bilden. Diese Antigene sind somit entscheidend dafür, ob Spenderblut mit dem Blut der Person, die es empfängt, kompatibel ist. Passen die Blutgruppen nicht zusammen, attackiert das Immunsystem die fremden Blutzellen – eine Reaktion, die tödlich enden kann.
Die dänischen Forschenden haben eine Methode zum Patent angemeldet, bei der eine neue Enzymmischung aus dem menschlichen Darmbakterium Akkermansia muciniphila eingesetzt wird. Es entfernt die Zuckerstrukturen effizienter als bisher getestete Enzyme von der Oberfläche der Blutkörperchen und kann so Spenderblut jeder Blutgruppe in Universalblut der antigenfreien Gruppe 0 umwandeln, das für jeden Menschen geeignet ist.
Blutspende in New Orleans, Louisiana, im Jahr 2014. Die Herstellung von Universalblut würde zu einem effizienten Umgang Spenderblut und einem geringeren Risiko bei der Gabe des Spenderbluts für den Empfänger führen.
„Universelles Blut ermöglicht eine effizientere Nutzung des Spenderbluts und verhindert, dass versehentlich AB0-inkongruente Transfusionen verabreicht werden“, sagt Studienleiter Martin Olsson. „Wenn wir AB0-universelles Spenderblut herstellen können, werden wir die Logistik des Transports und der Verabreichung sicherer Blutprodukte vereinfachen und gleichzeitig die Blutverschwendung minimieren.“
Bevor die Methode des Studienteams für eine kommerzielle Produktion und die klinische Anwendung in Betracht kommt, werden noch einige Jahre ins Land gehen. Je früher Universalblut erhältlich ist, desto besser: Der Bedarf an Spenderblut ist hoch und steigt weiter. Derzeit halten Kliniken noch für jede der vier bekannten Blutgruppen – A, B, AB und 0 – Spenderblut vor, das kühl gelagert und nach 42 Tagen entsorgt werden muss, wenn es nicht gebraucht wird.