Filter statt Verbot? Der Kampf gegen giftige PFAS und seine Aussichten
Sogenannte Ewigkeitschemikalien reichern sich im Wasser an. Darum sind sie inzwischen überall. Während die Politik sich von Lobbyisten einschüchtern lässt, sucht die Wissenschaft nach Lösungen für das weltweite Problem.

Dank der wasserabweisenden Eigenschaften von PFAS perlt Regen an der Jacke einfach ab. Doch die Chemikalien reichern sich auch in der Umwelt an. Ein Problem, das auch noch kommende Generationen beschäftigen wird.
Sie verursachen Krebs, Organschäden, Hormonstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Unfruchtbarkeit und können das Immunsystem schädigen: Dass PFAS – per- und polyfluorierte Alkylverbindungen – für den menschlichen Körper Gift sind, ist nicht neu. Und eigentlich sah es so aus, als würden die Chemikalien in naher Zukunft EU-weit stärkeren Beschränkungen unterliegen. Anfang 2023 hatten Behörden aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Norwegen einen Vorschlag bei der Europäischen Chemikalienagentur eingereicht, laut dem die Stoffe in der EU so weit wie möglich verboten werden sollten.
Doch bereits im September 2023 ruderte Deutschland zurück. Eine Entscheidung, die laut nun veröffentlichten Recherchen des Forever Lobbying Project offenbar getroffen wurde, nachdem Lobbyverbände das Bundeswirtschaftsministerium erfolgreich unter Druck gesetzt hatten. Im Anschluss an einen kurz zuvor stattgefundenen Chemiegipfel ließ das Bundeskanzleramt in einer Pressemitteilung verlauten, dass pauschale, undifferenzierte Verbote ganzer Stoffklassen nach Ansicht der Bundesregierung nicht vom bestehenden europäischen Rechtsrahmen gedeckt seien. „Ein Totalverbot von PFAS ist insofern nicht geplant und würde von der Bundesregierung auch nicht unterstützt“, heißt es in der Mitteilung.
Belastetes Blut, vergiftetes Wasser
Während auf politischer Ebene über den Umgang mit PFAS diskutiert wird, reichern sich die Chemikalien weiter in der Umwelt an – und in uns. Im Rahmen einer Studie des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) wurden PFAS-Verbindungen im Blut fast aller über 2.500 Teilnehmenden aus der Region Bonn und dem niederländischen Leiderdorp festgestellt. Für eine andere Studie wurden Blutproben von rund 1.100 deutschen Kindern und Jugendlichen untersucht. In allen wurden die Chemikalien nachgewiesen.
Diese PFAS-Depots reichern sich immer weiter an, weil wir mit den Stoffen jeden Tag in Kontakt kommen. Wir atmen sie über die Raumluft ein – zum Beispiel durch die Nutzung von Imprägniersprays und Teppichbeschichtungen – oder nehmen sie über Nahrung und Trinkwasser auf. In Deutschland besteht frühestens ab 2026 eine Untersuchungs- und Berichtspflicht für die Chemikalien im Trinkwasser – dann soll auch ein EU-weiter Grenzwert gelten. Derzeit gibt es laut dem Umweltbundesamt noch keine repräsentativen Zahlen zur PFAS-Belastung des deutschen Trinkwassers.
Um trotzdem einen Eindruck von der Situation zu bekommen, hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Ende 2023 Mineral- und Leitungswasser aus Deutschland auf eigene Faust auf drei Ewigkeitschemikalien untersucht. Das Ergebnis: In neun von zehn Leitungs- und drei von fünf Mineralwasserproben fand man PFAS. Andere Studien aus Europa kamen zu ähnlichen Ergebnissen.
Wie kommen PFAS ins Grundwasser?
Die PFAS im Wasser stammen aus unterschiedlichen Quellen. Teilweise entweichen sie bei der industriellen Herstellung oder Verarbeitung, werden als Klärschlamm-Dünger auf Feldern aufgebracht oder gelangen als Komponente von Feuerlöschschäumen in die Umwelt. Und sie kennen keine Grenzen: Der globale Wasserkreislauf verteilt die Chemikalien über die Welt – bis in die Arktis und das Hochland von Tibet.

Ein Schluck für die Ewigkeit: In den meisten Leitungs- und Mineralwasserproben aus Europa, die in bisherigen Studien untersucht wurden, waren PFAS enthalten.
Sind PFAS erst einmal ins Grundwasser gesickert, ist es sehr schwer, sie zu entfernen. Aufgrund ihrer Stoffeigenschaften sind die meisten gängigen Verfahren zur Trinkwasseraufbereitung gegen sie wirkungslos. Die Belastung mit PFAS ist also langfristig.
Wie langfristig, zeigt eine Studie, für die Grundwasser aus North Carolina getestet wurde. Das Forschungsteam konnte darin in hoher Konzentration Ewigkeitschemikalien nachweisen, die bis zu 43 Jahre alt waren. „Die Kontamination des Grundwassers mit PFAS ist ein Problem, das uns über viele Jahrzehnte begleiten wird“, sagt Studienautor David Genereux.
Welche Folgen das haben kann, haben Forschende der University of Southern California untersucht. Sie fanden heraus, dass in Regionen, in denen das Wasser stark mit PFAS belastet ist, Krebserkrankungen des Verdauungstrakts, des Hormonsystems, der Atemwege sowie des Mund- und Rachenraums bis zu 33 Prozent öfter auftreten.
Aktivkohlefilter, Bakterien und LED: PFAS entfernen
Ein politisches Verbot der gesamten Stoffgruppe würde dafür sorgen, dass der ständige Zustrom von PFAS in die Umwelt eingedämmt wird. Für die Chemikalien, die bereits in den Kreislauf gelangt sind, braucht es aber andere Lösungen – und an denen wird an verschiedenen Stellen gearbeitet.
Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung testen etwa Forschende im Rahmen des FABEKO-Projekts im Feldversuch ein mehrphasiges Verfahren, durch das Böden mit Aktivkohle von PFAS befreit werden können. Diese Methode könnte zum Beispiel dort das Einsickern von PFAS ins Grundwasser aufhalten, wo bei Brandeinsätzen Löschschaum zum Einsatz gekommen ist oder Felder mit belastetem Klärschlamm gedüngt wurden.
Aktivkohle ist das Mittel, das derzeit am häufigsten eingesetzt wird, um die Chemikalien aus Wasser zu entfernen. Aktivkohlefilter müssen jedoch nach der Anwendung vernichtet werden, was neue Umweltprobleme mit sich bringt. Helfen könnte ein neues Filtermaterial, das Forschende der Technischen Universität München (TUM) entwickelt haben. Mit ihm könnten Wasserwerke PFAS schon in kleinen Konzentrationen aus dem Trinkwasser entfernen. Ein Forschungsteam der New York University Abu Dhabi hat kürzlich ein synthetisches COF-Material vorgestellt, das in Haushaltswasserfilter eingebaut werden könnte.
Forschende der Colorado State University wollen die stabilen Fluor-Kohlenstoff-Bindungen der PFAS mithilfe von LED-Licht aufbrechen, ein Studienteam der University at Buffalo im US-Bundesstaat New York greift dasselbe Ziel mit anderen Mitteln an. Sie haben aus mit Industriechemikalien kontaminierten Böden das Bakterium Labrys portucalensis F11 extrahiert, es PFAS ausgesetzt und festgestellt, dass F11 nicht nur die stabilen chemischen Verbindungen löst und abbaut, sondern auch die dabei entstehenden Stoffwechselprodukte.
„Ewigkeitschemikalien” bleiben mehrere Jahre im Körper
Allerdings wurden die Bakterien nur an drei von Tausenden PFAS-Sorten getestet. Und sie sind langsam – 100 Tage dauerte es, bis sie PFOS zu 90 Prozent verstoffwechselt hatten. Geduld muss man auch haben, bis diese und andere Innovationen reif für die praktische Anwendung sind. Dabei drängt die Zeit. „PFAS stellen eine ständige Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung dar“, sagt Jörg Drewes, Leiter des Lehrstuhls für Siedlungswasserwirtschaft an der TMU. „Die negativen Auswirkungen der Chemikalien wurden zu lange unterschätzt.“ Inzwischen habe in der Industrie ein Umdenken eingesetzt, „aber die Altlasten durch PFAS werden uns noch für mehrere Generationen beschäftigen.“
Für die PFAS in unserem Blut gibt es keine Filter-Lösungen – und bis der Körper PFAS von allein ausscheidet, vergeht je nach Aufbau der chemischen Verbindung viel Zeit. Das hat im Jahr 2024 das Bundesinstitut für Risikobewertung mit einem Selbstversuch ermittelt, für den ein Arzt einen Muffin aß, dem 15 Chemikalien aus der PFAS-Gruppe zugesetzt waren. Das Forschungsteam stellte fest, dass kurzkettige PFAS innerhalb von Tagen oder Wochen den Körper über den Urin verlassen. Bei langkettigen Verbindungen – zum Beispiel Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroctansäure (PFOA) – kommt es jedoch zu einer Wiederaufnahme aus dem Urin innerhalb der Nieren, sodass sie mehrere Jahre im Körper verweilen.
PFOS und PFOA sind in der EU seit den Jahren 2006 und 2020 verboten. Dass sie trotzdem in aktuellen Blutproben nachgewiesen werden können, zeigt, wie zutreffend die Bezeichnung Ewigkeitschemikalie ist – und wie wichtig Lösungen auf allen Ebenen sind.
