Archäologen staunen: Künstliche Inseln älter als Stonehenge

Eine Studie der Crannógs in Schottlands Äußeren Hebriden offenbart, dass einige davon mehr als 3.000 Jahre älter sind als angenommen. Aber welchem Zweck dienten sie?

Von Erin Blakemore
Veröffentlicht am 14. Juni 2019, 11:41 MESZ
Ein Taucher hält ein neolithisches Keramikgefäß (ca. 3.500 v. Chr.) in der Hand, das er in ...
Ein Taucher hält ein neolithisches Keramikgefäß (ca. 3.500 v. Chr.) in der Hand, das er in der Nähe eines Crannógs (eine künstliche Insel) im schottischen Loch Arnish gefunden hat.
Foto von C. Murray

In der Erforschung der jungsteinzeitlichen britischen Inseln (4.000 - 2.500 v. Chr.) ist das ein oder andere archäologische Mysterium wohl zu erwarten. Da die neolithischen Farmer dort lebten, lange bevor das geschriebene Wort auf den Inseln Einzug hielt, zeugen nur noch archäologische Funde von ihrem Leben. Ihre kulturellen Praktiken und die tieferen Bedeutungen hinter monumentalen Stätten wie Stonehenge oder den Steinkreisen von Orkney bleiben uns größtenteils ein Rätsel.Nun scheint es, als könnten sich Archäologen über eine neu entdeckte Art von neolithischen Monumenten den Kopf zerbrechen: jungsteinzeitliche Crannógs.

Steinbauten des Neolithikums

Diese künstlichen Inseln finden sich auf hunderten Seen und Flüssen in Schottland und Irland. Bisher waren Forscher davon ausgegangen, dass sie während der Eisenzeit (auf den britischen Inseln circa 800 - 43 v. Chr.) errichtet wurden, als die Menschen steinerne Dammwege und Gebäude inmitten des Wassers bauten. Einer Studie aus dem Fachmagazin „Antiquity“ zufolge sollen aber zumindest einige von Schottlands fast 600 Crannógs deutlich älter sein – genauer gesagt fast 3.000 Jahre älter. Damit liegt ihre Entstehungszeit mitten im Neolithikum. Die Artefakte, die zu dieser neuen Datierung führten, könnten zudem auf Gebräuche hindeuten, die Forschern noch weitere Rätsel aufgeben.

Die Möglichkeit, dass einige der Crannógs bis in die Jungsteinzeit zurückreichen könnten, wurde erstmals in den Achtzigern aufgebracht. Damals gruben Archäologen gerade eine Insel aus der Eisenzeit in einem See auf North Uist auf, die zu den Äußeren Hebriden gehört. Im Laufe ihrer Arbeit bemerkten sie irgendwann, dass sie eine neolithische Stätte vor sich hatten. Obwohl die Forscher schon vermuteten, dass das nicht der einzige Fall dieser Art war, förderten Suchaktionen auf anderen Crannógs in den Folgejahren keine weiteren Beweise zutage, die auf einen neolithischen Ursprung hindeuten würden.

Das änderte sich erst 2012, als ein lokaler Taucher eindeutig neolithische Keramikerzeugnisse im Wasser rund um Crannógs in den Äußeren Hebriden entdeckte. Museumsangestellte und Archäologen aus der Region beteiligten sich daraufhin an der Suche und konnten schlussendlich fünf künstliche Inseln jungsteinzeitlichen Ursprungs identifizieren. Die Datierung erfolgte anhand von Keramiken und altem Bauholz vom Rand der Bauten.

Spurensuche an Land und im Wasser

Da die Inseln im Laufe der Jahrtausende wiederholt genutzt wurden, war es nicht ganz einfach, steinzeitliche Spuren auf den Crannógs zu finden. Im umgebenden Wasser sieht das jedoch ganz anders aus. Für Archäologen, die es gewohnt sind, von jahrtausendealten Keramiken nur Bruchstücke zu finden, war der Zustand der fast vollständig erhaltenen neolithischen Tongefäße im Wasser rund um die Crannógs „unglaublich“, sagt Duncan Garrow. Der Archäologieprofessor der University of Reading hat an der betreffenden Studie mitgeschrieben. „Sowas habe ich in der britischen Archäologie noch nie gesehen“, erzählt er. „Die Menschen schienen die Teile einfach ins Wasser geworfen zu haben.“

Aber warum haben die jungsteinzeitlichen Bewohner der britischen Inseln ihr „gutes Porzellan“ im Wasser um die künstlichen Inseln versenkt? Ohne Berichte und Erzählungen aus jener Zeit können Archäologen nur darüber spekulieren, weshalb die Crannógs errichtet wurden, welchen Zweck sie erfüllten und warum die Menschen dort Keramikerzeugnisse entsorgten.

BELIEBT

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    Luftbilder der künstlichen Inseln aus der Jungsteinzeit: 1) Arnish; 2) Bhorgastail; 3) Eilean Domhnuill; 4) Lochan Duna; 5) Loch an Dunain; 6) Langabhat
    Foto von Getmapping PLC

    Rätsel und Rituale

    Garrow und seine Kollegen mutmaßen, dass die Inseln für Festmahle oder andere, unbekannte religiöse und soziale Rituale genutzt wurden, womöglich auch für mehrere Zwecke. Laut Vicki Cummings, einer Expertin für neolithische Monumente von der University of Central Lancashire, die an der Forschung nicht beteiligt war, scheinen diese Crannógs sowohl vom täglichen Leben abgeschnitten zu sein, da sie außerhalb der Siedlungen lagen, als auch vom Tod, da auf ihnen keine Gräber oder sterbliche Überreste gefunden wurden.

    Die jungsteinzeitlichen Einwohner der britischen Inseln bauten gern mit großen Steinen, aber die Crannógs unterscheiden sich trotzdem von Siedlungen und anderen Monumenten. „Wer will denn seine Zeit damit verbringen, Steine in ein Loch zu werfen?“, fragt Cummings mit Verweis auf die schottischen Seen. Einige der Steine, die zum Bau der Crannógs verwendet wurden, wogen zudem um die 250 Kilogramm.  „Das ist doch verrückt.“

    Cummings vermutet, dass die isolierte Lage der Inseln zusammen mit den entsorgten Keramikgefäßen auf Übergangsrituale hindeuten könnte, beispielsweise den Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenalter. „Es galt eindeutig als unangemessen, die Töpferware [die man auf die Crannógs brachte] wieder mit nach Hause zu nehmen“, sagt sie.

    Wie viele dieser „neuen“ neolithischen Monumente mag es auf den britischen Inseln noch geben? Bislang wurden nur 20 Prozent der fast 600 Crannógs wissenschaftlich datiert. Der ehemalige Archäologe Cole Henley, der auf jungsteinzeitliche Monumente und Landschaften der Äußeren Hebriden spezialisiert ist, warnt davor anzunehmen, dass es noch mehr solcher Stätten gibt.

    „Extrapolieren ist gefährlich“, sagt er. „Das wäre so, als versuche man, ein Puzzle fertigzustellen, wenn man nur fünf Teile hat und den Karton mit dem Bild verloren hat.“

    Luftaufnahmen der Crannógs in Loch Bhorgastail (oben) und Loch Langabhat (unten).
    Foto von F. Sturt

    Crannóg-Suche geht weiter

    Der Co-Autor der Studie, Garrow, gibt zu, dass die Forschung gerade noch am Anfang steht. Er und sein Team planen aber bereits ein umfassenderes Projekt zur Datierung weiterer Crannógs in den Äußeren Hebriden. Er hofft, mit Hilfe wissenschaftlicher Techniken – beispielsweise Unterwasservermessungen mit Seitensichtsonar – noch bessere Möglichkeiten zur Entdeckung künstlicher Inseln zu entwickeln. Auch eine erneute Überprüfung von Crannógs, die bereits als eisenzeitlich eingestuft wurden, wäre für ihn denkbar. Dennoch ist derzeit unklar, wie verbreitet solche Bauten im Neolithikum waren. Die schiere Menge an Crannógs und der Aufwand, der für ihre Erforschung nötig wäre, machen es unwahrscheinlich, dass die Forscher sie in absehbarer Zeit allesamt datieren können.

    Aber das bedeutet Cummings zufolge nicht, dass es nicht noch weitere gibt. „Offensichtlich haben wir diese auch übersehen“, sagt sie. „[Die neue Studie] legt nahe, dass wir das, was wir wissen, noch mal überdenken sollten.“

    Einfach wird das aber nicht. „Wir müssen da unvoreingenommen rangehen, wenn wir nach Stätten aus dieser Zeit suchen“, sagt Cummings. „Sie könnten sich an allen möglichen bizarren Orten befinden.“

    Zuvor unentdeckte oder unerkannte neolithische Stätten könnten zum Beispiel unterhalb von Crannóg-Schichten aus der Eisenzeit oder dem Mittelalter verborgen liegen – oder mitten auf einem windgepeitschten schottischen See.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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