Die mystische Welt des Kornkreis-Tourismus

Für einige sind sie Zeichen außerirdischer Besucher oder mystischer Kräfte, für andere sind sie einfach Kunst: Kornkreise. Die englische Grafschaft Wiltshire ist mittlerweile das Zentrum einer zutiefst zerstrittenen Subkultur.

Von Soo Youn
bilder von Robert Ormerod
Veröffentlicht am 9. Sept. 2020, 15:34 MESZ
Die Sonne geht über einem Kornkreis in der Nähe von Sixpenny Handley im englischen Dorset unter.

Die Sonne geht über einem Kornkreis in der Nähe von Sixpenny Handley im englischen Dorset unter.

Foto von Robert Ormerod, National Geographic

Alles begann mit einem Bild.

Im April 2007 stolperte Monique Klinkenbergh über das Foto, das ihr Leben auf den Kopf stellen würde. Seine Komposition – perfekte Ringe aus Dreiecken und Rhomben in konzentrischen Kreisen, die ein Getreidefeld zierten – löst in ihr eine zutiefst emotionale Reaktion aus

Die ehemalige Herausgeberin einer Zeitschrift war beeindruckt von dem Design und der Mathematik der Formen. „Ich habe eine Ausbildung in der bildenden Kunst und ein sehr rationales Denken, sodass ich mich fragte: ‚Wie ist das möglich?‘ Das war ein Kornkreis mitten in der Nacht in einem Feld, das alles andere als eine glatte, gerade Leinwand ist“, sagt sie. „Es war ein in 13 Teile unterteiltes geometrisches Muster, was schon auf Papier sehr schwierig zu konstruieren ist. Versuchen Sie mal, einen Kuchen in 13 gleichgroße Stücke zu teilen. Das geht nicht.“

Da war ihr klar, dass sie dieses Phänomen erforschen musste, das so perfekte Muster hervorbrachte. „Ich dachte: Okay, das ist es. Das ist mein Schicksal“, erinnert sich Klinkenbergh. Und so ging sie nach Wiltshire in England, dem Epizentrum der Kornkreise. Dort, sagt Klinkenbergh, habe sie sich sofort wie „zu Hause“ gefühlt.

Croppies und Hoaxers

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass in der Grafschaft Wiltshire auch Stonehenge und der noch größere Steinkreis von Avebury zu finden sind, die beide zum UNESCO-Welterbestatus der Region beitragen. Tatsächlich beherbergt das Gebiet noch mehrere andere „Henges“ – prähistorische kreisförmige Monumente aus Stein oder Holz, von denen angenommen wird, dass sie mit Ritualen zur Sonnenwende in Zusammenhang stehen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht verwunderlich, dass die ländliche englische Grafschaft zum Tummelplatz für Fans, Bewunderer und Liebhaber von Kornkreisen wurde, den sogenannten „Croppies“.

Das plötzliche Auftauchen neuer Kornkreise über Nacht und ihre präzisen Designs führten zu einem wahren Wust an Theorien über ihre Entstehung. Manche glauben, die Kornkreise seien Spuren von UFOs, die in Getreidefeldern gelandet sind. Andere sehen in ihnen das Wirken unerklärlicher Kräfte. Wieder andere argumentieren, dass alle Kornkreise von Menschen gemacht wurden. Überzeugte Anhänger übernatürlicher Theorien verschreien Vertreter der letztgenannten Theorie als „Hoaxers“.

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    Und dann gibt es natürlich noch ein weites Mittelfeld von Croppies, die glauben, dass wir vieles einfach noch nicht wissen – und dass mystische Kräfte an der Entstehung der Kornkreise beteiligt sind. Die Spannungen zwischen den Fraktionen sind greifbar, mitunter feindselig.

    Woher auch immer sie nun kommen – sie entstehen durch das Herunterdrücken der Feldpflanzen, zumeist Getreidearten. Berichte über solche runden Muster gab es in Europa schon vor mehreren hundert Jahren. Der aktuelle Kornkreis-Tourismus begann aber erst in den Siebzigern und hat sich seither fest etabliert.

    Spiritismus auf dem Acker

    In der Region gibt es noch immer viele aktive landwirtschaftliche Betriebe. Der Tourismus verletzt oft nicht nur die Privatsphäre der Bauern, sondern verursacht mitunter auch finanzielle Einbußen. Tausende Croppies besuchen die Gegend jeden Sommer – und vielen ist gar nicht klar, dass sie nicht auf allen Feldern willkommen sind. „Früher lief es Wiltshire ein bisschen wie im Wilden Westen. Tausende Leute betraten Privatgelände ohne Erlaubnis, zertrampelten die Feldfrüchte und machten den Bauern Ärger“, erklärt Klinkenbergh.

    Während eben dieser Hochphase des Tourismus sah der Dokumentarfilmer Chris Carter genau wie Klinkenbergh ein Foto eines Kornkreises, das ihn nicht mehr losließ. „Ich konnte einfach nicht glauben, was ich da sah“, sagt Carter. „Die Details und Muster waren phänomenal.“

    Der Kornkreisforscher und Touristenführer Gary King leitet eine Tour in der Nähe von Cerne Abbas in West Dorset, England.

    Foto von Robert Ormerod, National Geographic

    Seit über 40 Jahren beobachtet Carter die Kreise aus der Ferne, über Fotos und andere Medien. Im Mai 2018 reiste er schließlich nach England, um zum ersten Mal einen Kornkreis aus nächster Nähe zu sehen. Genau wie andere Besucher berichtete er davon, dass er die Energie des Kreises spürte und sah.

    „Wir ließen uns nieder, während sich unsere Hände berührten“, sagt er. „Wir sahen, wie unsere Hände weiß wurden und roten Flecken bekamen, und wir spürten die Enden unserer Finger kribbeln. Als wir uns gemeinsam wieder aufrichteten, wurden unsere Hände wieder normal. Wir hockten uns wieder hin und dasselbe passierte erneut.“

    Aber seine Erlebnisse brachten Carter kein Stück näher an eine Erklärung des Unerklärlichen. „Es fällt mir schwer zu glauben, dass wir in dieser riesigen Masse von Sternen in unserem Universum allein sind. Das hier könnte der Ausdruck des Bewusstseins selbst sein oder vielleicht eine Botschaft intelligenten Lebens, das uns wissen lässt, dass wir nicht allein sind“, sagt er.

    „Kornkreise interessieren mich seit jeher, weil sie mir zeigen, dass es in diesem Leben mehr gibt, als wir sehen, fühlen, hören, riechen oder berühren können. Ich sehe und erkenne eine kreative Intelligenz, die überall um mich herum wirkt“, so Carter. „In der Natur und in allem Leben wird offensichtlich, dass etwas Größeres wirkt als das, was wir begreifen. Und ich glaube, dass diese Energie wohlwollend und liebevoll ist und alles Leben unterstützt.“

    Kornkreise als Kunstprojekte

    Ein Team von bekennenden Kornkreis-Künstlern posiert für ein Porträt auf einem Feld außerhalb von Dorchester, England. Die Entwürfe entstehen durch das Umknicken und Flachdrücken der Nutzpflanzen, zumeist Getreide.

    Foto von Robert Ormerod, National Geographic

    Der Künstler Dene Hine zeigt Skizzen seiner Kornkreismotive.

    Foto von Robert Ormerod, National Geographic

    Ein eleganter Kornkreis schmückt ein Feld in der Nähe von Cerne Abbas.

    Foto von Robert Ormerod, National Geographic

    Für Menschen wie Dene Hine ist die Antwort klar: Alle Kreise werden von Künstlern wie ihm selbst gemacht, mit Seilen und Brettern und einem Vermessungsband. „Für komplexere Entwürfe benötigt man einen Laser, um Punkte zu schaffen, von denen aus gearbeitet werden kann. Man legt Konstruktionslinien an und dann wird der Ausschnitt mit Brettern abgeflacht. Auf diese Weise lassen sich unendlich viele Designs umsetzen“, beschreibt er seinen Arbeitsprozess, der stets mit der Suche nach einer geeigneten Leinwand beginnt.

    Er versteht die Kontroverse, die seine Aussagen auslösen. „Ein paar Leute hassen es wirklich, dass ich meine Pläne und Entwürfe für die Kunstwerke zeige, weil sie lieber glauben wollen, dass irgendetwas Phantastisches sie geschaffen hat. Einige beschuldigen mich sogar, dass ich den Mythos zerstören würde“, schrieb er in einer E-Mail.

    Die Familie Baker spielt in einem Kornkreis im englischen Dorset in der Dämmerung.

    Foto von Robert Ormerod, National Geographic

    Das bloße Eingeständnis oder die Behauptung, einen Kornkreis konstruiert zu haben, reicht jedoch nicht aus. Wenn es keine vorherigen Zeichnungen oder Filmaufnahmen von der Konstruktion gibt, ist es schwierig, die Urheberschaft nachzuweisen. Da die Kreise aber oft auf Privatgrundstücken auftauchen, zögern viele Künstler, sich selbst beim Vandalismus zu filmen.

    Genau diese Spannungen lockten den Fotografen Robert Ormerod nach Wiltshire. Schon als Kind war er vom Weltraum und Science-Fiction fasziniert – bevor das „uncool“ wurde, wie er sagt. In letzter Zeit beschäftigt er sich in seiner Arbeit mit der Erforschung von Subkulturen, darunter Amateurastronomen, die ihre eigenen Teleskope bauen, Aurora-Jäger, Amateurraketenbauer und Menschen, die monatelang in Marssimulatoren leben. Die Erfahrungen der Croppies zu dokumentieren, lag für ihn daher nahe.

    „Ich begann, mich mit allen möglichen Weltraumthemen zu befassen, wie wir als Gesellschaft auf Dinge reagieren, die mit dem Weltraum zu tun haben. Je mehr man herausfindet, desto besessener wird man davon. Also habe ich mich in diese Geschichte vertieft“, sagt Ormerod.

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    Unabhängig von ihrem Ursprung kann die Erfahrung, in einem Kornkreis zu stehen, selbst einen Nicht-Enthusiasten überwältigen. „Man geht hinein und es herrscht ein spürbares Gefühl des Friedens“, sagt Ormerod. „Der Wind weht auf eine sehr schöne Art und Weise durch die Spitzen des Weizens oder der Gerste, fast als würden Fingerspitzen darüberstreichen.“

    Auch die Kreise selbst können etwas Ansprechendes an sich haben. Eine 2007 in „Neuropsychologia“ veröffentlichte Studie verglich die menschliche Reaktion auf eckige und runde Formen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen scharfkantige Objekte deutlich weniger mögen als Objekte mit einer geschwungenen Kontur, und dass diese Tendenz von einem verstärkten Gefühl der Bedrohung und Gefahr herrühren kann, das durch diese scharfkantigen visuellen Elemente ausgelöst wird“, so die Schlussfolgerung der Autoren.

    Die Jagd nach dem Unerklärlichen

    Andere wollen Kornkreise lieber von einer neutralen Perspektive betrachten. „Es ist wirklich schade, dass es so viel antagonistisches Verhalten zwischen den Kornkreisforschern und den Hoaxern gibt. Sie könnten viel voneinander lernen, wenn sie aufeinander hören und zusammenarbeiten würden“, sagt Klinkenbergh.

    Die Kornkreisforscherin Monique Klinkenbergh nimmt Bodenproben von einem Kornkreis in der Nähe von Hackpen Hill, Broad Hinton, Wiltshire.

    Foto von Robert Ormerod, National Geographic

    Ein Schild weist Besucher auf einen Kornkreis in der Nähe von Hackpen Hill in Wiltshire hin, der im Juni 2018 auftauchte.

    Foto von Robert Ormerod, National Geographic

    Klinkenbergh, die in Amsterdam lebt, verkaufte ihr Kunstverlagsgeschäft und widmete ihr Leben ihrer neuen Leidenschaft. Sie tausche ihr „Leben und Arbeiten und Wohnen in einer Nobelgegend gegen endlose Nachtwachen auf den Feldern und tägliche Aufklärungsflüge über das Gebiet von Wiltshire, um neue Kornkreise zu entdecken“, schrieb sie in einer E-Mail. Sie habe es „nie bereut, die Designer-Kleidung gegen einen Rucksack und Gummistiefel getauscht zu haben. Es war und ist immer noch eine faszinierende Reise.“

    Klinkenbergh widmet ihre Zeit nun dem Studium der Kreise. Sie hat eine Ausstellung über das bislang öffentlich zugängliche Wissen kuratiert. Außerdem trug sie Informationen für Touristen zusammen und betreibt ein Informationszentrum in Honeystreet, Wiltshire.

    Sie weiß, dass ihr leidenschaftliches Streben nach dem Unerklärlichen bei manchen auf Unverständnis trifft. „Ich bin keine Spinnerin. Ich bin eigentlich sehr vernünftig“, sagt sie. „Es gibt vieles, worüber man staunen kann, und ich glaube, dass das Staunen die Grundlage der Wissenschaft ist.“

    Ein Schild weist Besucher auf einen Kornkreis in der Nähe von Hackpen Hill in Wiltshire hin, der im Juni 2018 auftauchte.

    Foto von Robert Ormerod, National Geographic

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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