Ägyptens Mumien: Umzug ins brandneue Grabmal

Eine Gala-Parade in Kairo feierte das goldene Zeitalter der Pharaonen – unter ihnen auch einer, der schon 1976 für einen Wellness-Aufenthalt nach Paris flog.

Von Tom Mueller
bilder von Kenneth Garrett
Veröffentlicht am 7. Apr. 2021, 12:02 MESZ, Aktualisiert am 12. Apr. 2021, 09:40 MESZ
Pharao Seti I.

Pharao Seti I. regierte Ägypten für mehr als ein Jahrzehnt, beginnend um 1290 v. Chr. Seine Mumie ist eine von 22, die in ein neues Museum in Kairo gebracht wurden.

Foto von Kenneth Garrett

Eskortiert von ägyptischen Filmstars, Sängern, Tänzern und Wächtern hoch zu Ross wurden die Mumien von 22 Pharaonen und anderen Mitgliedern der alten Herrscherfamilien am ersten Aprilsamstag durch die Straßen Kairos gefahren. Der Grund: Sie zogen vom historischen Museum für Ägyptische Altertümer in ihr neues Zuhause im kürzlich eingeweihten Nationalmuseum der ägyptischen Zivilisation (NMEC) ein.

Das Spektakel dieser „Goldenen Parade der Pharaonen“ entlang des Nils sollte das reiche Erbe Ägyptens zelebrieren und wieder Besucher anlocken, nachdem die Pandemie den weltweiten Reiseverkehr zum Erliegen gebracht hat.

„Diese Parade wird alle Ägypter stolz auf ihr Land machen“, sagte der Archäologe Zahi Hawass, der ehemalige Minister für Altertümer des Landes, im Vorfeld des Events. „In der Zeit von COVID wollen sie glücklich sein und stolz auf ihre Vorfahren. Sie werden auf den Straßen warten, um ihren Königen Hallo zu sagen.“

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Die meisten der Mumien stammen aus dem Neuen Reich (ca. 1539 v. Chr. bis 1075 v. Chr.), einem goldenen Zeitalter der ägyptischen Zivilisation. Unter ihnen befinden sich 18 Pharaonen und vier weitere Angehörigen von Königsfamilien, die von einigen der berühmtesten ägyptischen Herrscher bis hin zu wenig bekannten Persönlichkeiten reichen.

Zu den königlichen Berühmtheiten gehören Ramses II – oft als „der Große“ betitelt und ein möglicher Kandidat für den Pharaos aus dem biblischen Exodus – sowie Hatschepsut, eine vollendete Baumeisterin, starke Anführerin und einer der wenigen weiblichen Pharaonen des alten Ägypten.

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    Ramses II. blieb als großer Krieger in Erinnerung und regierte 67 Jahre lang, von 1279 v. Chr. bis 1213 v. Chr. Er wird in Literatur und Film oft als der im biblischen Buch Exodus erwähnte Pharao dargestellt.

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    Königin Hatschepsut war einer der wenigen weiblichen Pharaonen Ägyptens. Während ihrer 22-jährigen Herrschaft veranlasste sie den Bau von Hunderten von Monumenten und Tempeln und startete Handelsexpeditionen in das Land Punt, das im heutigen Jemen liegt, um Ägyptens Versorgung mit Weihrauch und anderen kostbaren Ölen zu sichern.

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    Zu den glückloseren Herrschern unter den Mumien gehören Siptah Akhenre, der im Teenageralter starb und möglicherweise an Kinderlähmung litt, und Sekenenre Taa, dessen grausame Wunden von einer Streitaxt, einem Dolch, einem Stab und einem Speer stammen, glauben die Wissenschaftler, die seine Mumie per CT scannten.

    Andere Pharaonen hatten andere Reize. „Sethos I. ist wahrscheinlich mein Favorit“, sagt Salima Ikram, eine Ägyptologin an der American University of Cairo. „Er hatte einen großartigen Geschmack – und er war unverschämt gutaussehend.“

    Die Prozession begann bei Sonnenuntergang mit einem 21-Schuss-Salut, nach dem sich die Royals auf dem Tahrir-Platz auf die Straße begaben. Entlang einer acht Kilometer langen Route, die parallel zum Nil verläuft, passierten die Mumien Wandgemälde mit Szenen aus dem Leben der Pharaonen, während im Hintergrund Feuerwerk und Ton-und-Licht-Shows zu bestaunen waren.

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    „Die Mumien werden in schützenden Kisten transportiert, die ineinander geschachtelt sind, wie antike Särge“, sagt Ikram, die wegen ihres Fachwissens über Mumien und den Mumifizierungsprozess zu dem Umzug hinzugezogen wurde. „So sollten sie in völliger Sicherheit reisen.“

    Die hermetisch verschlossenen, klimatisierten Kisten wurden auf militärische Tieflader verladen. Die Fahrzeuge waren so dekoriert, dass sie wie die Grabschiffe aussahen, die einst verstorbene Pharaonen zu ihren Gräbern brachten. Bei ihrer Ankunft im NMEC wurden sie vom ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi und anderen Würdenträgern begrüßt.

    Mumien auf Reisen

    Es war nicht die erste Reise der Mumien. Schon bald nachdem sie vor rund 3.000 Jahren in prunkvollen Gräbern im Tal der Könige bei Luxor beigesetzt wurden, wurden die meisten Mumien in geheime Verstecke gebracht, um sie vor Grabräubern zu schützen. Die Verstecke wurden im späten 19. Jahrhundert wiederentdeckt – manchmal mit Hilfe lokaler Plünderer – und die Mumien setzten ihre Wanderschaft fort und segelten auf Dampfschiffen den Nil hinauf, wo sie in Kairoer Museen angesiedelt wurden.

    Im Jahr 1881 beschrieb ein Journalist die Atmosphäre einer solchen Flussfahrt, als die Dorfbewohner die Ufer säumten, um die Abreise ihrer illustren Toten zu betrauern: „Frauen mit zerzaustem Haar liefen die Ufer entlang und schrien den Klageschrei für die Toten. Männer, die sich in feierlichem Schweigen aufstellten und mit ihren Gewehren in die Luft schossen, begrüßten die Pharaonen, als sie vorbeifuhren.“

    (Bei der Ankunft in Kairo stießen die Royals auf ein Problem, da die Zollbeamten „Mumie“ nicht auf der Liste der Waren fanden, die in die Stadt eingeführt werden durften. Die Beamten änderten schließlich die Beschriftung von „Mumie“ in „gepökelter Fisch“ und ließen die Pharaonen passieren.)

    Seit jener unheimlichen Flussfahrt haben die 22 Mumien vier verschiedene Museen bevölkert, einige in Vitrinen, andere in verschlossenen Lagerräumen, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Ramses II. flog 1976 sogar zur Restaurierung nach Paris.

    Es war tatsächlich Ramses’ Reise nach Frankreich, die den derzeitigen Minister für Altertümer, Khaled el-Anani, dazu inspirierte, eine Galaparade zu veranstalten. Als Kind in einer französischsprachigen Schule in Kairo sah El-Anani einen Film von Ramses’ Ankunft in Paris.

    „Ich war erstaunt, die Menge an Reportern und Fernsehkameras am Pariser Flughafen zu sehen, die Ramses wie einen Präsidenten oder einen König begrüßten“, sagt El-Anani. Als er also Minister wurde, beschloss er, „etwas Großes zu tun, eine unvergleichliche Parade zu organisieren, um unseren Vorfahren Respekt zu zollen, die auch Teil des kulturellen Erbes der Menschheit sind.“

    Ein moderner Fluch der Mumie?

    Viele Ägypter freuten sich auf die Parade, auf einen Moment der Festlichkeit während der Entbehrungen der Pandemie. Doch andere befürchteten, dass die Mumienwanderung Unglück bringt.

    Ein tödliches Zugunglück in Zentralägypten, ein Gebäudeeinsturz in Kairo und die bizarre Blockade des Suezkanals sind für manch einen allesamt Zeichen eines modernen Mumienfluchs, der mit der Parade verbunden ist. Hawass, der Archäologe, weist diese Vorstellung zurück. „So etwas wie einen Fluch gibt es nicht“, lacht er, „nur eine Menge abergläubischer Menschen.“

    Etwas ernster ist ein anderer Aspekt, der den abendlichen Festumzug überschattet: Weltweit gibt es zunehmend Diskussionen über die Ethik der Ausstellung menschlicher Überreste. Viele Museumskuratorinnen drängen darauf, Mumien zu verhüllen oder menschliche Überreste ganz aus der Ausstellung zu entfernen.

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    Die ägyptischen Behörden haben jahrzehntelang über die Angelegenheit debattiert. Als Hawass 1974 Prinzessin Margaret, die Schwester von Königin Elizabeth, auf einer Tour durch das Ägyptische Museum begleitete, zuckte sie zusammen und bedeckte ihre Augen, als sie die grimmige, vertrocknete Form von Ramses II. sah. „Es war, als ob sie dachte: ‚Himmel, warum tut ihr das? Ich kann es nicht ertragen, das Gesicht eines menschlichen Wesens so zu sehen!‘“ erinnert sich Hawass.

    Doch nun werden die ägyptischen Royals in ihrer neuen Ausstellung im NMEC die respektvolle Beerdigung erhalten, die sie verdienen, sagt Minister El-Anani.

    „Man steigt eine Rampe hinunter, als ob man in die Unterwelt geht. Die Wände sind schwarz, mit sehr schwacher Beleuchtung. Jeder Raum ist wie eine Grabkammer, in der die Mumien in ihren Särgen liegen, umgeben von ihren Grabbeigaben.“

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    Zuvor spielten die 22 Mumien allerdings noch ihre Hauptrolle in einer überlebensgroßen Inszenierung. Was sie wohl zu ihrer Teilnahme an einem solchen Event gesagt hätten?

    „Die Herrscher wollten, dass man sich an sie erinnert, dass ihre Namen ewig leben“, sagt Gregory Mumford, außerordentlicher Professor für Archäologie an der University of Alabama in Birmingham. „Daher hätte eine staatliche und öffentliche Anerkennung ihrer Namen, ihrer Herrschaft und ihrer Identität wohl vielen, wenn nicht sogar allen von ihnen gefallen.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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