Rätsel der altägyptischen Kopfkegel endlich gelöst
Jahrzehntelang spekulierten Archäologen über die Bedeutung und den Zweck der seltsamen Kopfkegel, die auf künstlerischen Darstellungen zu sehen sind. Dann fand ein Team endlich die zwei ersten bekannten physischen Kegel auf einem Friedhof in Armana.
Auf einer 3.300 Jahre alten Bankettszene sind Frauen abgebildet, die kegelförmige Objekte auf dem Kopf tragen. Solche Darstellungen waren im alten Ägypten üblich, was zu Spekulationen darüber führte, ob die Kegel ein künstlerisches Symbol waren – wie ein Heiligenschein – oder tatsächliche physische Objekte, die einen praktischen Zweck erfüllten.
Die altägyptische Kunst ist voller Abbildungen von ehrfürchtigen Feiernden mit rätselhaften spitzen Kegeln auf dem Kopf. Von Papyrusrollen bis hin zu Särgen werden Männer und Frauen in künstlerischen Darstellungen mit solchen Kopfkegeln gezeigt; sie tragen die spitzen Objekte, während sie an königlichen Festen und göttlichen Ritualen teilnehmen. Frauen mit einem Kegel werden manchmal auch bei der Geburt dargestellt – ein Vorgang, der mit bestimmten Göttern assoziiert wurde.
Aber obwohl die Kopfkegel in der ägyptischen Kunst mehr als tausend Jahre lang relativ häufig vorkamen, blieben ihr Zweck und ihre Existenz ein Rätsel. Kein Archäologe hatte jemals eines dieser rätselhaften Objekte ausgegraben. So kamen einige Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die ägyptischen Kopfkegel lediglich als symbolische Darstellungen zu betrachten seien – das Äquivalent zu den Heiligenscheinen, die in der christlichen Ikonografie über den Köpfen von Heiligen und Engeln schweben.
Nun scheint es, als hätte ein internationales Team von Archäologen tatsächlich die ersten physischen Beweise für den rätselhaften Kopfschmuck gefunden. Sie dokumentierten ihren Fund in einer Arbeit, die in der Fachzeitschrift „Antiquity“ veröffentlicht wurde.
Das Grab einer erwachsenen Frau im ägyptischen Amarna enthielt ein kegelförmiges Wachsobjekt, das auf ihrem Kopf platziert war.
Die Entdeckung stammt aus den Friedhöfen von Amarna, einer altägyptischen Stadt, deren Tempel von Echnaton errichtet wurden. Der Pharao war mutmaßlich der Vater von König Tutanchamun. Amarna wurde hastig im 14. Jahrhundert v. Chr. erbaut und war nur etwa 15 Jahre lang von Bedeutung. Aber während dieser Zeit lebten in der Stadt etwa 30.000 Menschen. Nur um die zehn Prozent waren wohlhabende Eliten, die in opulenten Gräbern bestattet wurden. Der Rest waren einfache Leute in bescheidenen Gräbern. Doch in genau diesen Gräbern, die in der Regel nicht viel Wertvolles enthalten, fanden Mitglieder des Amarna Project – ein von der University of Cambridge geleitetes und von der National Geographic Society und anderen Institutionen finanziertes Projekt – im Jahr 2009 erstmals die Überreste von Kopfkegeln.
Obwohl seit den Ausgrabungen über ein Jahrzehnt vergangen ist, erinnert sich die Archäologin Anna Stevens von der Monash University – die stellvertretende Leiterin des Amarna Project und Co-Leiterin der laufenden Forschungen auf den nicht-elitären Friedhöfen der Stadt – an den Tag, an dem der erste Kegel gefunden wurde. „Ich glaube, ich habe einen dieser Kopfkegel!“, rief eine Mitarbeiterin, Mary Shepperson. Als Stevens der Sache nachging, sah sie eine verräterischen Spitze über dem Schädel eines weiblichen Skeletts.
„Es war offensichtlich etwas völlig Neues. Nichts, was wir in irgendwelchen Gräbern zuvor je gesehen hatten“, sagt Stevens. Aber das spitze Objekt hatte große Ähnlichkeit zu dem seltsamen Kopfschmuck in der ägyptischen Kunst, den einige Wissenschaftler eher als künstlerische Freiheit abgetan hatten. Bei einer anderen Erwachsenenbestattung, deren Geschlecht nicht identifiziert werden konnte, wurde ein weiterer Kopfkegel gefunden.
Antikes Haargel oder kultischer Schmuck?
Es dauerte fast ein Jahrzehnt, bis die Wissenschaftler die Finanzierung sicherten und eine umfassende Untersuchung der Kopfkegel abschließen konnten. Das gab ihnen die Möglichkeit, eine weitere beliebte Theorie über die ungewöhnlichen Objekte zu testen: dass die Kopfkegel eigentlich feste Klumpen aus parfümiertem Fett waren, die über den Köpfen ihrer Träger langsam schmolzen und als eine Art antikes, parfümiertes Haargel fungierten.
Doch die Funde aus Amarna scheinen die Theorie der antiken Stylingprodukte zu widerlegen. Die Kegel waren keine festen Klumpen – sie waren hohle Schalen, die um eine braun-schwarze organische Masse gefaltet waren, von der das Team glaubt, dass es sich um Stoff handeln könnte. Beide Kopfkegel wiesen chemische Signaturen von zerfallenem Wachs auf. Das Team schloss daraus, dass sie aus Bienenwachs hergestellt wurden, dem einzigen biologischen Wachs, das die alten Ägypter nach heutigem Kenntnisstand verwendeten. Außerdem wurden selbst im Haar des besterhaltenen Skeletts keine Spuren von Wachs gefunden.
Diese Objekte scheinen künstlerisch mit der Geburt assoziiert zu sein. Außerdem handelte es sich bei mindestens einem der Skelette mit den Kegeln um eine erwachsene Frau. Daher vermutet das Team, dass die Kegel etwas mit Fruchtbarkeit zu tun hatten. Aber die Tatsache, dass sie in einem nicht-elitären Friedhof gefunden wurden, macht es schwierig, die genaue Bedeutung dahinter zu interpretieren.
Der antike Friedhof im ägyptischen Amarna, wo die Gräber mit den Kopfkegeln entdeckt wurden.
In der ägyptischen Ikonografie gehörten die dargestellten Personen, die die Kopfkegel trugen, meist zur Elite. Einige waren anscheinend aber auch Diener, sagt Nicola Harrington, eine Archäologin an der University of Sydney. Die Amarna-Gräber sind mit weniger Kunstwerken als andere Grabstätten verziert, aber eine Handvoll Bilder zeigen Menschen, die die Kegel tragen, während sie sich auf die Bestattung vorbereiten und Opfergaben bringen. „Im Wesentlichen werden [die Kegel] in der Gegenwart des Göttlichen getragen“, sagt sie.
Harrington hat ihre eigene Theorie zu den Identitäten der Kegel tragenden Menschen: Vielleicht waren sie Tänzerinnen. Beide Skelette hatten Wirbelsäulenfrakturen, und eine der zwei Personen hatte eine degenerative Gelenkerkrankung. Obwohl Knochenprobleme auf ein stressiges Leben und die intensive Arbeit der nicht-elitären Ägypter zurückgeführt werden könnten, weist Harrington darauf hin, dass Stress- und Kompressionsfrakturen auch bei professionellen Tänzern üblich sind. Vielleicht zeichneten die Kegel „die Tänzerinnen als Mitglieder einer Gemeinschaft, die den Göttern diente“ aus, sagt sie. Das könnte erklären, warum diese Menschen mit den Kegeln bestattet wurden, schlägt Harrington vor – auch wenn ihre Gräber ansonsten recht schlicht waren.
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Ohne weitere archäologische Beweise gibt es jedoch keine Möglichkeit herauszufinden, wie die Kegel wirklich verwendet wurden – oder ob sie weiter verbreitet waren. Leider werden wir das vielleicht nie herausfinden, sagt Stevens. „In den frühen Tagen der Ägyptologie war die Arbeit sehr hektisch, ein wenig planlos“, erklärt sie. Die heutigen sorgfältigeren archäologischen Techniken werden die Kopfkegel bei zukünftigen Ausgrabungen hoffentlich schützen und identifizieren. Doch ihr Vorhandensein bei früheren Bestattungen könnte völlig übersehen worden sein.
Aber selbst, wenn diese Kegel die einzigen beiden sind, die bis heute erhalten geblieben sind, hat ihre zufällige Entdeckung dennoch einen Wert. Archäologen wissen aus administrativen Aufzeichnungen und kunstvoll bemalten Gräbern viel über die Elite im alten Ägypten. Aber der Mangel an schriftlichen und künstlerischen Aufzeichnungen über die nicht-elitären Ägypter macht ihr Leben für moderne Forscher sehr viel rätselhafter. Dieser Mangel an Informationen über das Leben der Mehrheit der Menschen, die im alten Ägypten lebten, macht diesen Fund damit sogar noch wertvoller. Er dient als Erinnerung an die Millionen von Geschichten, die noch nicht erzählt sind.
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.