Älteste DNA der Welt aus einem Mammutzahn sequenziert

Das genetische Material stellte nicht nur einen neuen Rekord auf, sondern hielt auch eine Überraschung über die Evolution der Mammuts bereit.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 19. Feb. 2021, 09:24 MEZ
 Diese Rekonstruktion beruht auf Erkenntnissen, die aus der ältesten jemals sequenzierten DNA gewonnen wurden.

Vor einer Million Jahren verfügten sibirische Steppenmammuts über viele der genetischen Anpassungen an Kälte, die dem späteren Wollhaarmammut zum Erfolg verhalfen. Diese Rekonstruktion beruht auf Erkenntnissen, die aus der ältesten jemals sequenzierten DNA gewonnen wurden.
 

Foto von ILLUSTRATION von BETH ZAIKEN, CENTRE FOR PALAEOGENETICS

Wissenschaftlern liegt nun die bisher älteste je sequenzierte DNA vor. Damit durchbrachen sie eine symbolische Barriere bei der Erforschung alter Genome und öffneten ein neues Fenster in die Evolution der ausgestorbenen Eiszeitriesen Nordamerikas. Ganz vorn mit dabei: Prärie- und Wollhaarmammuts.

Die Studie ist weder die erste, die das Genom eines Mammuts sequenziert, noch bringt sie die Menschheit der Wiederbelebung eines Mammuts näher. Dennoch ist die Arbeit, die in „Nature“ veröffentlicht wurde, ein Meilenstein: Sie verdoppelt fast den Rekord für das älteste jemals sequenzierte Genom, denn die DNA der Mammuts ist mehr als eine Million Jahre alt.

Die DNA stammt von drei Mammutzähnen, die der russische Paläontologe Andrei Sher – eine Legende auf dem Gebiet der Mammutforschung – in den frühen 1970ern in Sibirien gefunden hat. Die Forscher schätzen, dass der jüngste der drei Zähne etwa 500.000 bis 800.000 Jahre alt ist, während die beiden älteren zwischen einer Million und 1,2 Millionen Jahre alt sind. Die nächstälteste jemals sequenzierte DNA stammt von einem fast 700.000 Jahre alten Pferdefossil, das im kanadischen Yukon-Territorium gefunden wurde.

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„Das Durchbrechen dieser etwas magischen Grenze von mehr als einer Million Jahren öffnet sozusagen ein neues Zeitfenster und eine neue evolutionäre Perspektive“, sagt der Hauptautor der Studie, Tom van der Valk. Der Bioinformatiker der Universität Uppsala arbeitete an der Studie, während er am Zentrum für Paläogenetik im schwedischen Stockholm tätig war.

Die Ergebnisse offenbarten überraschende Details über die Entwicklung der nordamerikanischen Mammuts. Zum einen deutet die uralte DNA der Zähne stark darauf hin, dass das Präriemammut, – eine der wichtigsten nordamerikanischen Mammutarten – ein Hybrid ist, der vor 400.000 bis 500.000 Jahren entstanden ist. Diese Tatsache wurde nur deshalb aufgedeckt, weil die ältere DNA aus der Studie von einem Zeitpunkt vor der Hybridisierung stammt. „Wenn wir uns Organismen höherer Ordnung wie Wirbeltiere ansehen, fällt mir kein einziges Beispiel ein, bei dem eine Probe vor dem Zeitpunkt der Artentstehung vorliegt“, sagt der Co-Autor Love Dalén, ein Genetiker am Zentrum für Paläogenetik.

Je weiter die DNA-Spuren in der Zeit zurückreichen, desto mehr können Wissenschaftler darüber lernen, wie die Evolution funktioniert. Der Erfolg der Studie impliziert auch, dass unter perfekten Bedingungen sogar noch tiefere Einblicke in die evolutionäre Vergangenheit möglich sein könnten, vielleicht bis zu einigen Millionen Jahren, sagen die Autoren. (Noch ältere DNA würde in Stücke zerbrechen, die zu klein sind, um sie wieder zusammenzusetzen).

Die Arbeit an den Zähnen begann 2017, als das Zentrum für Paläogenetik Zahnproben von der Russischen Akademie der Wissenschaften erhielt. Gekleidet in Schutzausrüstung, die im Zeitalter von COVID-19 schon fast zur Gewohnheit geworden ist, zerkleinerte ein Team unter der Leitung der Genetikerin Patrícia Pečnerová 50 Milligramm Knochenpulver von jeder Probe. Pečnerová forscht mittlerweile als Postdoc an der Universität Kopenhagen in Dänemark. Sie extrahierte mit einer Reihe von chemischen Bädern vorsichtig kleine Mengen an DNA aus jeder Prise Pulver. So wurde die DNA in kleinen Flüssigkeitstropfen konzentriert, die nicht größer als Pfefferkörner waren.

„Im Grunde bin ich wie in einem Kokon – mit einer Gesichtsmaske und einem Gesichtsschirm – und versuche, die Kontamination zu minimieren“, sagt Pečnerová. „Wenn nur eine einzige [menschliche] Zelle könnte in das Röhrchen fällt“, wäre die Probe womöglich ruiniert.

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Die Sequenzierung dieser DNA war nur der erste Schritt. Als nächstes mussten van der Valk und seine Kollegen sicherstellen, dass sie sich nur auf jene DNA-Schnipsel konzentrierten, deren Authentizität in Sachen Alter und Mammutursprung eindeutig feststanden. Schließlich steckten die Zähne mehr als eine Million Jahre im Permafrostboden, in dem es von Mikroben nur so wimmelte – und sie waren über fast fünf Jahrzehnte von unzähligen Wissenschaftlern ausgegraben und bearbeitet worden. Trotz aller Bemühungen, Verunreinigungen zu vermeiden, mussten die Forscher mit zusätzlicher DNA rechnen, die die Zähne auf ihrer Reise aufgenommen hatten.

Nachdem Computer wochenlang die sequenzierte DNA durchforstet hatten, konnte das Team 35 Basenpaare lange Schnipsel der Mammut-DNA klar identifizieren. Sie bildeten diese Bruchstücke auf einem Genom ab, das zu Lebzeiten mehr als drei Milliarden Basenpaare lang war.

Evolutionäre Überraschung

Schon jetzt wirft die Studie ein Licht darauf, wie sich die Mammuts in Nordamerika entwickelt haben. Zur Überraschung der Forscher sind die DNA-Sequenzen der Zähne so alt, dass sie noch vor den Ursprüngen des Präriemammuts liegen – einer der beiden großen Mammutarten, die einst Nordamerika durchstreiften. Das gewährt den Wissenschaftlern neue Einblicke in die Evolution der Mammuts.

Vor 1,5 Millionen Jahren kamen Verwandte des europäischen und asiatischen Steppenmammuts aus Sibirien nach Nordamerika und überquerten eine Landbrücke, die heute von der Beringstraße bedeckt wird. Aus diesen Neuankömmlingen ging später das Präriemammut hervor. Vor etwa 100.000 bis 200.000 Jahren gab es in Nordamerika mindestens zwei Hauptarten von Mammuts: Wollhaarmammuts im Norden und Präriemammuts im Süden bis nach Mexiko. Aus früheren genetischen Studien wussten die Forscher bereits, dass sich Präriemammuts und Wollhaarmammuts miteinander gekreuzt haben.

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Paläontologen haben lange Zeit die charakteristischen oberen Backenzähne der Mammuts benutzt, um verschiedene Arten zu unterscheiden. Basierend auf fossilen Mammutzähnen hatten die Wissenschaftler vermutet, dass die Mammuts, die bis vor etwa 1,5 Millionen Jahren in Nordamerika lebten, Präriemammuts waren. Die Zahnfossilien deuten genau diese Kontinuität an – doch der genetische Nachweis der neuen DNA-Studie offenbart Veränderungen.

Zwei der Mammut-Genome aus der Studie gehören zu der Linie, aus der später das Wollhaarmammut hervorging. Aber die DNA des ältesten der drei Zähne scheint in eine bisher unbekannte genetische Linie zu fallen, die sich vor etwa 1,5 Millionen Jahren von der Wollhaarmammut-Linie abspaltete. Dieser alte Zahn wurde von den Wissenschaftlern Krestovka getauft – nach dem Fluss, in dessen Nähe er gefunden wurde.

Stoßzähne von Wollhaarmammuts tauchen manchmal aus dem Permafrost auf der Wrangelinsel im Nordosten Sibiriens auf. Die Wrangelinsel war einer der letzten Zufluchtsorte für Mammuts, von denen einige dort bis 2500 v. Chr. überlebten. Daher ist die Insel ein vielversprechender Ort, um nach Mammut-DNA zu suchen.

Foto von Love Dalén

Als van der Valks Team das mysteriöse Mammut-Genom mit der zuvor sequenzierten DNA des Präriemammuts verglich, kamen die Forscher zu einem verblüffenden Ergebnis: Das Präriemammut ist ein Hybrid, der vor 400.000 bis 500.000 Jahren entstand, nachdem es irgendwo in Sibirien, Nordamerika oder der Landbrücke Beringia zu einer Kreuzung zwischen dem Krestovka-Mammut und dem sibirischen Wollhaarmammut gekommen war.

Nach einem zweiten Kreuzungsereignis, das vor etwa 200.000 Jahren in Nordamerika stattfand, erhielt das Präriemammut weitere 11 bis 13 Prozent seines Genoms vom Wollhaarmammut. Als das Präriemammut vor etwa 12.000 Jahren schließen ausstarb, waren es schon etwa drei Fünftel seines Genoms. Die anderen zwei Fünftel lassen sich zu dem rätselhaften Krestovka-Mammut zurückverfolgen, das nur durch die DNA aus einem einzigen Zahn bekannt ist.

Die Studie zeigt auch, wie gut – und wie früh – sich Mammuts an die Kälte angepasst haben. Frühere DNA-Studien hatten sich mit den genetischen Feinheiten befasst, die dem Wollhaarmammut ein Überleben bei niedrigen Temperaturn ermöglichten. Viele der Genvarianten, die für die Kältetoleranz des Wollhaarmammuts verantwortlich sind, traten bereits bei viel früheren Mammuts auf. Die neue Studie zeigt, dass mehr als 85 Prozent dieser Varianten schon vor mehr als einer Million Jahren in den sibirischen Steppenmammuts vorhanden waren.

Zu diesem Zeitpunkt lebten Mammuts bereits in hohen Breitengraden, wie Fossilien belegen. Es ist also nicht überraschend, dass sich diese Kolosse an die Kälte angepasst haben. Die Studie bietet jedoch einen einzigartigen Einblick in das Tempo dieses Prozesses. Mammuts scheinen diese kälteangepassten Genvarianten in einem mehr oder weniger gleichmäßigen Tempo entwickelt zu haben, nicht in Schüben.

DNA-Spurensuche in anderen Mammutzähnen

Dass die Präriemammuts Hybride waren, wird laut Paläontologen die laufende Neubewertung der nordamerikanischen Mammutfossilien noch weiter befeuern.

Jüngste Forschungen verglichen fossile Mammutzähne mit genetischen Stammbäumen. Das Ergebnis: Form und Gestalt der Zähne liefern nicht etwa eindeutige Hinweise auf die unterschiedlichen Mammutarten, sondern weisen erhebliche regionale Überschneidungen auf. Die neue Studie hob diesen Punkt hervor: Es gibt keine großen Veränderungen bei den fossilen Mammutzähnen in Nordamerika vor und nach dem Aufkommen des Präriemammuts vor 500.000 Jahren – und das, obwohl die genetischen Veränderungen, die zur Entstehung des Präriemammuts führten, beträchtlich waren.

„Ohne die genetischen Daten betrachten wir normalerweise die Morphologie oder Veränderungen der Form. Und ohne diese Veränderungen der Form können wir keine Veränderungen der Arten dokumentieren“, sagt Lindsey Yann, eine Paläontologin am Waco Mammoth National Monument in Texas. „Wenn wie die genetische Komponente zur Verfügung haben, sind wir in der Lage, tatsächlich Grenzen zwischen Dingen zu ziehen – und wir haben die Daten, um das zu belegen.“

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Für den Studien-Coautor Adrian Lister, einen Paläontologen am Natural History Museum in London und einer der weltweit führenden Mammut-Experten, wirft die Studie auch noch eine weitere Frage auf: Wie sollen nordamerikanische Mammutzähne zugeordnet werden, wenn die DNA noch fehlt? Wenn das Präriemammut genetisch gesehen erst vor 400.000 bis 500.000 Jahren auftaucht, wie sollen Paläontologen dann ältere Mammutzähne zuordnen, die ansonsten identisch aussehen? Bislang hat noch niemand DNA-Ergebnisse von nordamerikanischen Mammutzähnen veröffentlicht, die älter als eine halbe Million Jahre sind.

Um weitere Teile des Puzzles zu vervollständigen, wollen Dalén und seine Kollegen versuchen, ihre technischen Fähigkeiten auch bei nordamerikanischen Mammutzähnen anzuwenden. Das Team hat bereits einen 500.000 Jahre alten Mammutzahn aus Kanada sowie einen 200.000 Jahre alten Zahn, der wahrscheinlich zu einem Wollhaarmammut gehörte, als mögliche Kandidaten für zukünftige Sequenzierungen identifiziert.

Und jetzt, wo die Wissenschaftler die Millionen-Jahre-Grenze durchbrochen haben, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch ältere DNA ihre Geheimnisse preisgibt. „Das ist die Millionen-Dollar-Frage“, sagt Dalén. „Wir haben jetzt die Daten gesehen, die wir haben. Und ich denke, es wäre relativ einfach, über zwei Millionen hinauszugehen, wenn wir nur ein gutes Exemplar haben.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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