Berauscht auf Menorca: Erster direkter Beweis für urgeschichtlichen Drogenkonsum in Europa

Die Analyse von 3.000 Jahre alten Haarproben aus einer spanischen Höhle konnte erstmals nachweisen, was sich bisher nur ableiten ließ: Bei rituellen Zeremonien in der Bronzezeit waren halluzinogene Substanzen im Spiel.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 14. Apr. 2023, 08:40 MESZ
Haarbehälter an seinem Fundort in der Begräbniskammer der Es Càrritx-Höhle auf Menorca. Die Verzierung mit konzentrischen ...

Haarbehälter an seinem Fundort in der Begräbniskammer der Es Càrritx-Höhle auf Menorca. Die Verzierung mit konzentrischen Kreisen auf dem Deckel ist deutlich zu erkennen.

Foto von Consell Insular de Menorca

Seit Jahrtausenden nutzen Menschen berauschende Substanzen, um andere Bewusstseinszustände zu erreichen. Wissenschaftliche Belege für den Drogenkonsum prähistorischer und antiker Zivilisationen reichen von Opiumrückständen in bronzezeitlichen Gefäßen über Funde von Drogenpflanzenresten in rituellen Zusammenhängen bis hin zu ihrer Abbildung in künstlerischen Darstellungen lange vergangener Zeiten. All diese Hinweise sind jedoch nur indirekt: Dass derartige Substanzen tatsächlich konsumiert wurden, ist zwar wahrscheinlich, konnte bisher aber nur abgeleitet werden.

Nun hat ein Forschungsteam unter der Leitung von Elisa Guerra-Doce, Archäologin an der spanischen Valladolid Universität, den ersten direkten Nachweis für Drogenkonsum im urgeschichtlichen Europa erbracht – mithilfe jahrtausendealter Haarsträhnen. In ihrer Studie, die in der Zeitschrift Scientific Report erschienen ist, beschreiben die Forschenden, womit sich die Menschen in der Bronzezeit berauschten.

Drogentest an jahrtausendealten Haarproben

Gefunden wurden die Haarproben in der Es Càrritx-Höhle auf der spanischen Insel Menorca, die vor rund 3.600 Jahren erstmals von Menschen besiedelt wurde. In ihr befindet sich eine Kammer, die als Begräbnisstätte genutzt wurde – der bisherigen Forschung zufolge fanden hier um die 210 Personen ihre letzte Ruhe. Im hinteren Teil der Kammer stieß man auf mit konzentrischen Kreisen verzierte Behälter aus Horn und Holz, in denen die Haarsträhnen aufbewahrt wurden. Sie wurden auf ein Alter von etwa 3.000 Jahren datiert.

Eines der Büschel menschlicher Haare aus der Es Càrritx-Höhle, die auf halluzinogene Substanzen getestet wurden.

Foto von P. Witte

Um herauszufinden, ob und in welchem Maße die Bewohner der Es Càrritx-Höhle Rauschmittel einnahmen, testete das Forschungsteam die Proben auf Spuren von psychoaktiven Substanzen, die aus Pflanzen gewonnen werden, die in der Region wachsen: Atropin, Scopolamin und Ephedrin. Das Alkaloid Atropin und die chemische Verbindung Scopolamin kommen natürlich in der Familie der Nachtschattengewächse vor. Ihr Konsum führt zu einer Veränderung der Sinneswahrnehmung, Halluzinationen und Delirien. Der Stoff Ephedrin wirkt hingegen stimulierend und steigert die Wachsamkeit, Erregung und körperliche Aktivität.

Bei der Haaranalyse kamen zum einen die hochauflösende Massenspektroskopie und zum anderen die Ultra-Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographie zum Einsatz. Letztere ermöglicht es, die verschiedenen Bestandteile von Stoffen zu identifizieren und ihre vorhandene Menge zu ermitteln. In drei der Haarproben wurden alle drei abgefragten Substanzen nachgewiesen.

BELIEBT

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    Rauschmittel der Bronzezeit

    Das Studienteam vermutet, dass die Menschen, von denen die Proben stammen, die Rauschmittel im Rahmen von rituellen, von Schamanen durchgeführten Zeremonien zu sich genommen haben. Pflanzen, die zu diesem Zweck genutzt wurden, könnten zum Beispiel die Alraune (Mandragora autumnalis), Bilsenkraut (Hyoscyamus albus), Stechapfel (Datura stramonium) und Gelenkkiefer (Ephedra fragilis) gewesen sein.

    In diesem Zusammenhang gehen sie davon aus, dass es sich bei den konzentrischen Kreisen, mit denen die Haarbehälter verziert sind, um Darstellungen von Augen handelt – Metaphern für die inneren Visionen, die die Teilnehmer der Zeremonien während des Rituals erlebten. Der Bereich der Begräbnisstätte, in dem die Behälter lagerten, war versiegelt. Dem Studienteam zufolge könnte dies vor 2.800 Jahren im Rahmen kultureller Veränderungen geschehen sein, um die Spuren der alten Tradition zu bewahren.

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