Gemälde aus dem 15. Jahrhundert zeigt altsteinzeitliches Werkzeug

Ein Gemälde des französischen Malers Jean Fouquet zeigt die bislang älteste Darstellung eines Faustkeils, der einst von menschlichen Vorfahren genutzt wurde. Doch wie kam der archäologische Fund auf das Bild?

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 24. Okt. 2023, 10:11 MESZ
Zweigeteiltes Bild. Rechts: Zwei Männer in Roben, einer faltet die Hände, der andere hält ein Buch ...

Das Diptychon von Melun vom französischen Maler Jean Fouquet. Das Diptychon besteht aus den beiden Gemälden „Étienne Chevalier mit dem heiligen Stephanus“ (rechts) und „Madonna mit Kind umgeben von Engeln“. Auf ersterem haben Forschende nun eine bahnbrechende Entdeckung gemacht.

Foto von Jean Fouquet / CC BY 3.0

Schon vor etwa 500.000 Jahren nutzten die Vorfahren der heutigen Menschen Werkzeuge. Eines der ältesten ist der sogenannte Faustkeil, eine Art kleine, runde Handaxt aus Stein. Seit Jahrhunderten sind die Menschen der modernen Welt von dem altsteinzeitlichen Werkzeug fasziniert. Berichte über Faustkeile gehen bis in das 16. Jahrhundert zurück. Damals nannten europäische Historiker*innen die Faustkeile „Donnersteine“ und glaubten, dass die merkwürdig geformten Steinobjekte natürliche geologische Phänomene sind, die durch Blitzschläge entstanden sind.

Forschende des US-amerikanischen Dartmouth College und der University of Cambridge in England haben nun noch frühere Aufzeichnung eines solchen Steinwerkzeugs aus der modernen Welt gefunden – auf einem französischen Gemälde, das um das Jahr 1455 entstanden ist. Dieses ist somit die älteste Darstellung eines altsteinzeitlichen Faustkeils. Die Studie, in der das Werkzeug identifiziert wurde, ist im Cambridge Archaeological Journal erschienen. 

Der Faustkeil auf dem Diptychon von Melun

Entdeckt haben die Forschenden die Abbildung des Faustkeils auf einem der beiden Teile des Diptychons von Melun, einem Gemälde des französischen Malers Jean Fouquet. Heute ist das Diptychon geteilt, der linke Flügel, der den französischen Adeligen Étienne Chevalier und den heiligen Stephanus zeigt, befindet sich in der Gemäldegalerie in Berlin. Genau auf diesem ist auch der Faustkeil zu sehen: auf dem Stundenbuch – so der Name für Gebets- und Andachtsbücher, die beim Stundengebet verwendet werden –, das Chevalier auf dem Gemälde in der Hand hält.

Rechts im Bild zu sehen: der Faustkeil, der auf dem Stundenbuch des Adeligen liegt.

Foto von Jean Fouquet / CC BY 3.0

Bislang haben Historiker*innen den Stein auf dem Gemälde als „gezackten Stein“ beschrieben, ihm jedoch keine konkrete Funktion zugeordnet. Erst durch die aktuelle Studie konnte der Gegenstand identifiziert werden. Diese wurde von Steven Kangas, Professor am Dartmouth College, ins Rollen gebracht. „Ich kannte Fouquets Gemälde schon seit Jahren und hatte immer gedacht, dass das Steinobjekt wie ein prähistorisches Werkzeug aussieht“, sagt er. 

Er sei auf Faustkeile während eines Seminars über die Isimila-Stätte in Tansania, die für Faustkeile berühmt ist, aufmerksam geworden. In den dort vorgestellten Objekten erkannte er sofort auch die Darstellung auf dem Diptychon von Melun.

Auf Spurensuche im Gemälde

Gemeinsam mit seinen Kolleg*innen untersuchte Kangas dann Form und Farbe des Objekts sowie spezielle Frakturen, die viele der bislang gefundenen Faustkeile aufweisen. Dabei wurde klar: Fouquet muss mit Faustkeilen vertraut gewesen sein. „Die Daten unserer Analysen von Form, Farbe und Frakturen des Steinobjekts auf dem Gemälde stimmten in bemerkenswerter Weise mit denen anderer Faustkeile aus der Gegend, in der Fouquet lebte, überein“, so Mitautor James Clark, Doktorand am Institut für Archäologie der Universität Cambridge.

BELIEBT

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    Das zeige, wie groß das Interesse an den Steinwerkzeugen bereits vor über 500 Jahren gewesen sein muss. „[Faustkeile] gehören zu den wenigen Steinartefakten, die ihren Weg in die Populärkultur gefunden haben“, schreiben die Forschenden in ihrer Studie. „Ihre wissenschaftliche und kulturelle Dominanz kann mit der Entstehung der prähistorischen Archäologie als Disziplin und der anschließenden Faszination der Öffentlichkeit für die Erforschung menschlicher Ursprünge in Verbindung gebracht werden.“

    Für Jeremy DeSilva, Anthropologe am Dartmouth College und Mitautor der Studie, sind die Ergebnisse vor allem deshalb spannend, weil der Faustkeil auf dem Gemälde so lange unentdeckt geblieben ist – trotz des Bekanntheitsgrades des Bildes: „Mir gefällt die Idee, ein Faustkeil – ein Gebrauchsgegenstand, der den Hominiden vor einer halben Million Jahren das Überleben ermöglichte – mit einem mittelalterlichen französischen Gemälde zu verbinden, das so bekannt ist, dass es in Einführungskursen in Kunstgeschichte gelehrt wird.“ 

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