Hexenverfolgung: Das Folterhemd der Anna Kramer
Bis ins 17. Jahrhundert starben unzählige Frauen in Deutschland auf dem Scheiterhaufen. Eine von ihnen war Anna Kramer, genannt Bader-Ann. Ihr „Hexenhemd“ ist bis heute erhalten. Es ist das Einzige, das die Zeit der Hexenverfolgungen überdauert hat.
Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen im Jahr 1571 (Radierung von Jan Luyken)
Veringenstadt bei Tübingen im Mai 1680: Der fürstliche Vizekanzler Dr. Johann Kirsinger braucht Kinder, um das Böse zu bannen. Sieben müssen es sein, jedes 13 Jahre alt. Sie sollen Leinen spinnen, weben und daraus ein Hemd nähen. Ungefärbt soll es sein, mit halblangen Ärmeln. In die Säume werden geweihte Zeichen eingenäht. Innerhalb von sieben Tagen müssen die Arbeiten erledigt sein. Kirsinger ist sicher: Nur so wirkt die Teufelsabwehr.
Vor dem Verhör befiehlt er, Anna Kramer das unscheinbare Kleidungsstück anzulegen. Er will sichergehen, dass die mutmaßliche Hexe keine Zaubermittel unter ihrer Kleidung versteckt.
Für Kirsinger und seine Schergen ist das Überstülpen des „Hexenhemdes“ ein gottgewolltes Mittel, um das Böse in Schach zu halten. Für Anna Kramer dagegen die Ankündigung grausamster Qualen.
Das Folterhemd der Anna Kramer im Heimatmuseum Veringenstadt
Die Bader-Ann: „ein bös Mensch“
Anna Kramer wird 1619 in Leiße, dem heutigen Liesen, im Sauerland geboren. Zu einer Zeit, in der das finstere Mittelalter eigentlich längst vergessen sein sollte. Ihre Eltern sterben früh und so landet sie zunächst unter der Obhut einer Cousine. Als 16-Jährige zieht sie mit ihrem ersten Ehemann in dessen Heimat Veringenstadt im heutigen Baden-Württemberg. Sie bekommen fünf Kinder. Ihr Mann unterhält eine Badstube und so nennt man sie fortan die Bader-Ann.
Nach 21 Ehejahren stirbt ihr Mann. Ein gutes Jahr später heiratet Anna 1657 einen Hufschmied, dessen dritte Ehefrau ebenfalls kurz vorher gestorben war. Die neue Ehe verläuft alles andere als glücklich. Sie ist geprägt von Streit und Gewalt. Immer wieder versucht Anna dem häuslichen Leid zu entfliehen, verdingt sich in benachbarten Ortschaften als Heilerin.
Den Einheimischen stößt das übel auf. Sie beschweren sie sich bei dem örtlichen Schultheißen über die heftigen Auseinandersetzungen – „in Befürchtung göttlicher Strafe für eine ganze Gemeinde“. Das Gerede wird lauter und lauter. Schließlich steht fest: Die Bader-Ann ist „nichts Guts“, sondern „ein bös Mensch“.
Weihwasser, Teufelsgeißel und Hexenhemd
Im Herbst 1668 bezichtigt eine Nachbarin sie erstmals der Hexerei. Die Bader-Ann habe ihr Brei verabreicht, an dem sie fast gestorben sei. Der fürstliche Vizekanzler nimmt sich der Sache an und lässt eine Befragung der Dorfbewohner durchführen. Weil es aber bei bloßen Verdächtigungen bleibt, werden die Vorwürfe zunächst fallengelassen.
Zugleich trägt man dem zuständigen Schultheißen aber auf, möglichen weiteren Hinweisen nachzugehen. So machen bald weitere Gerüchte die Runde. Als schließlich der Maurer Mathias Allgaier aussagt, seine Frau sei an Schadzauber verstorben und sein Sohn schwer daran erkrankt, wird Anna Kramer am 11. Mai 1680 wegen Hexerei angeklagt und in einen Kerker gesperrt.
Penibel genau achtet Kirsinger darauf, der Gefangengen nicht zu nahe zu kommen. Er fürchtet ihren Zauber und nimmt einen großen Bogen um das Turmverließ. Stattdessen lässt er alles Nötige für die Gerichtsverhandlung bereitschaffen: Weihwasser, Teufelsgeißel, Essig und Schwefel, schwarzen Kümmel und andere Utensilien, um das Böse abzuwehren. Schnell soll ein Hexenhemd genäht werden. Kirsinger braucht es für die „peinliche Befragung“ – die Folter der Anklagten.
Skulptur der Anna Kramer in Veringenstadt
Folter in Gottes Namen
Am 16. Mai 1680 beginnen die Verhöre. Kirsinger und seine Mitankläger ermahnen sie eindringlich dazu, ein Geständnis abzulegen. Die Beweislage sei erdrückend. Zehn Zeugen werden vernommen. Einer berichtet, die Bader-Ann habe eines seiner Pferde angeschaut, worauf es später einen Krampf erlitten habe. Ein weiterer Zeuge erzählt, sein Bruder habe vor gut 15 Jahren ein schwitzendes schwarzes Kalb im Stall der Bader-Ann gesehen.
Beim Leben ihrer Kinder schwört die 61-Jährige ihre Unschuld. Doch ohne Aussage keine Verurteilung. Beim dritten Verhör ruft Kirsinger deshalb die Scharfrichter. Um endlich „wahrhaftige Aussagen“ zu bekommen, wird ihr das Hexenhemd angelegt. Danach setzt man sie auf einen Marterstuhl. Die Hände werden auf den Rücken gebunden, die Arme umgedreht und mit eine Seilwinde rücklings über den Kopf gezogen, bis sie aus den Gelenken gerissen werden.
Zehn Folterverhöre muss Anna Kramer über sich ergehen lassen. Erst nach 20-tägigem Martyrium folgt das erpresste Geständnis der gebrochenen Frau. Sie bekennt sich in allen Punkten für schuldig. Vor 35 Jahren habe sie mit dem Teufel angebandelt und Unzucht mit ihm getrieben. Sie habe böse Salbe von ihm bekommen und mit anderen Hexen nächtliche Tänze besucht. Außerdem habe sie Menschen und Vieh krank gemacht sowie Hagel herbeigeführt, um Ernten zu vernichten.
Am 8. Juni 1680 wird Anna Kramer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Maximilian von Hohenzollern-Sigmaringen lässt sie zuvor enthaupten – als Zeichen seiner „Gnade“. Das „Hexenhemd“ der Bader-Ann wird heute im Heimatmuseum Veringenstadt aufbewahrt. Es ist das Einzige seiner Art, das die Zeit der Hexenverfolgungen überdauert hat.