Down-Syndrom: Wie lebten prähistorische Menschen mit Trisomie 21?

Ein internationales Forschungsteam hat in prähistorischen Begräbnisstätten mehrere Skelette von Kindern mit Down-Syndrom identifiziert. Die Funde geben Hinweise darauf, wie eisen- und bronzezeitliche Kulturen mit diesen Menschen umgingen.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 26. Feb. 2024, 09:55 MEZ
Angeordnete Knochen zeigen ein vages menschliches Skelett.

Die skelettalen Überreste des Individuums „CRU001“, einem Jungen, der Down-Syndrom hatte und vor etwa 2.500 Jahren in Spanien beerdigt wurde.

Foto von Gobierno de Navarra / J.L. Larrion

Weltweit tritt das Down-Syndrom heute bei etwa einer von 800 Geburten auf. In Deutschland leben aktuell etwa 50.000 Menschen mit der sogenannten Trisomie 21, die durch eine Abweichung in der Anzahl der Chromosomen entsteht. Ihre Lebenserwartung liegt heute bei durchschnittlich 60 Jahren, viele werden sogar noch älter und erreichen das 70. und 80. Lebensjahr.

Das war nicht immer so. Ein internationales Forschungsteam, mit Beteiligung des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA), hat fünf Skelette von Kleinkindern analysiert, die vor 2.500 bis 5.000 Jahren das Down-Syndrom hatten – und bereits im Alter von nur wenigen Wochen bis Monaten begraben wurden. Die Studie des Teams zeigt, dass die Kinder anerkannte Mitglieder ihrer jeweiligen Gesellschaft waren.

Auf der Suche nach dem Down-Syndrom

Für ihre Studie machten sich die Forschenden aktiv auf die Suche nach Menschen, die vor Jahrtausenden mit einer Trisomie, also einem zusätzlichen Chromosom, geboren wurden. Dazu durchsuchten sie DNA-Datenbanken, in denen Gensequenzen alter, bereits ausgegrabener Skelette aus ganz Europa aufgeschlüsselt sind. Auf diese Weise untersuchte das Team die DNA von fast 10.000 Individuen – und konnten bei sechs von ihnen nachweisen, dass sie eine Trisomie 21, also das Down-Syndrom, hatten.

Luftaufnahme der früheisenzeitlichen Siedlung Alto de la Cruz, Navarra, während der Ausgrabungsarbeiten von 1989. Gleich zwei der in der Studie identifizierten Individuen stammen aus diesem Ort.

Foto von Servicio Patrimonio Histórico Gobierno de Navarra

Die sechs Individuen waren alle entweder Neugeborene oder Kleinkinder, die bei ihrem Tod unter einem Jahr alt waren. Fünf der Skelette sind über 2.500 Jahre alt: Sie stammen somit aus einer Zeit, aus der es nur wenige Daten zu genetischen Besonderheiten bei Menschen gibt. Ausgegraben wurden sie auf bronzezeitlichen Friedhöfen in Bulgarien und Griechenland sowie zwei eisenzeitlichen Friedhöfen in Spanien. Das sechste Kind wurde vor etwa 300 Jahren in Finnland bestattet und ebenfalls nicht alt – ein Schicksal, das Menschen mit Down-Syndrom also lange begleitete.

Da den Forschenden nicht nur DNA-Daten der Individuen aus der Datenbank, sondern auch Informationen zu ihrem Fundort und der Art der Bestattung vorlagen, konnten sie außerdem feststellen, wie mit den Kindern in den jeweiligen Kulturen umgegangen wurde. Laut der Studie wurde jedem von ihnen mindestens ein gewöhnliches Grab zuteil. Das zeigt, dass die Kinder als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft angesehen wurden. Eines der beiden Individuen, die auf dem eisenzeitlichen spanischen Friedhof begraben wurden, wurde sogar mit reichen Grabbeigaben beerdigt. „Diese Art der Bestattung zeigt, dass die Kinder als Teil ihrer damaligen Gemeinschaften umsorgt und geschätzt wurden“, sagt Adam Benjamin Rohrlach, Archäogenetiker am MPI-EVA und Erstautor der Studie.

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    Versteckte DNA-Informationen

    Neben den sechs Kindern mit Trisomie 21 konnten die Forschenden auch ein Kind mit Trisomie 18 ausmachen, bei dem nicht das 21., sondern das 18. Chromosom dreifach vorliegt. Das Kind mit dem sogenannten Edwards-Syndrom stammt ebenfalls aus Spanien und wurde, ähnlich wie die anderen Kinder, nicht alt. Der Junge starb entweder bei, kurz vor oder kurz nach seiner Geburt.

    Trisomien in alten Skeletten nachzuweisen ist nicht leicht, weil sich die Anomalien nicht in den Knochen, sondern im Erbgut zeigen. In der Datenbank suchten die Forschenden deshalb nach einer auffällig hohen Anzahl von DNA-Sequenzen von Chromosom 18 oder 21, die nur durch eine zusätzliche Kopie des jeweiligen Chromosoms erklärbar sind. Laut Kay Prüfer, Mitautor der Studie, hofft das Team nun, noch weitere Fälle von Trisomien ausfindig machen und die Geschichte der Menschen, die sie hatten, rekonstruieren zu können: „Wir möchten herausfinden, wie frühe Gesellschaften mit Individuen umgingen, die vielleicht eine helfende Hand brauchten oder einfach ein bisschen anders waren.“

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