Aus der Höhle in die Mietwohnung: Warum wir wohnen, wie wir wohnen

Von antiken Gemeinschaftsklos und schlüpfriger altägyptischer Deko: Eine Sonderausstellung im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz zeigt, wie man früher wohnte – und gibt Einblicke in die Wohntrends der letzten 10.000 Jahre.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 16. Feb. 2024, 11:28 MEZ
Neubaugebiet in Erfurt, Anfang der 1970er Jahre: Plattenbauten hatten in der DDR ihre Blütezeit.

Neubaugebiet in Erfurt, Anfang der 1970er Jahre: Plattenbauten hatten in der DDR ihre Blütezeit. 

Foto von Bundesarchiv, Bild 183-K0324-0008-001 / CC-BY-SA 3.0

Altbau, Neubau, nachhaltiges Holzhaus oder pompöse Stadtvilla – wie jemand wohnt, sagt viel über einen Menschen aus. Aber warum wohnen wir überhaupt, wie wir wohnen, und seit wann eigentlich? Antworten darauf soll die Sonderausstellung „Home sweet home. Archäologie des Wohnens“ im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz, kurz smac, geben.

Hinter der ikonischen Fassade des fast 100 Jahre alten Moderne-Baus mit seinen langen, schmalen Fensterreihen geht es auf Zeitreise. Die Ausstellung sei als eine Art Wohnungsrundgang konzipiert, erklärt Archäologin Christina Michel, die „Home sweet home“ als leitende Kuratorin mit ihrem Team konzipiert hat. Ein Grundriss skizziert die verschiedenen Ausstellungsbereiche. Doch statt eines Wohnzimmers gibt es einen Bereich zum Thema „Sitzen“ und in der inszenierten Vorratskammer gibt es neben Konservendosen in einem Regal auch antike Keramikgefäße und mittelalterliche Truhen zu sehen – denn hier steht das Lagern im Mittelpunkt. „Wir versuchen, die Funktionszuweisung, wie wir sie heute kennen, zu vermeiden“, erklärt Co-Kurator Ulrich Thaler. Die Aufteilung einer Wohnung oder eines Hauses in unsere modernen Wohnräume sei nämlich noch sehr jung.

Von Feuer und Höhlenkunst: Die Anfänge des Wohnens

Genauer gesagt kam die Unterteilung in verschiedene Wohnräume erst ab dem 15. Jahrhundert auf, wie ein Modell und ein virtueller Rundgang eines englischen Wealden-Hauses in der Ausstellung verdeutlicht. In dem spätmittelalterlichen Bauernhaus gibt es neben einer zweigeschossigen Halle kleinere Privat-, Vorrats- und Arbeitsräume. Aber erst ab Anfang des 20. Jahrhunderts kann man von der vollen Ausdifferenzierung in Wohnbereiche sprechen, die wir heute kennen: Schlafzimmer, Küche, Wohnbereich und Bad. 

Doch auch davor war Wohnen keineswegs rein funktional und rudimentär. Schon vor 40.000 Jahren gab es Elemente bewohnter Felsüberhänge, die von einer kulturellen Prägung des Wohnens zeugen. Dazu zählen altsteinzeitliche Doppelfeuerstellen oder in Kalksteindecken eingearbeitete Ösen, die unseren Vorfahren vermutlich als Windschutzanbringung dienten. „Wichtige Grundelemente des Wohnens reichen über 12.000 Jahre Sesshaftigkeit hinaus“, sagt Thaler. So zum Beispiel die Entdeckung des Feuers vor 1,2 Millionen Jahren, die für Wärme, Licht und die Möglichkeit des Kochens gesorgt hat. Auch der Transport von Nahrung zu einem Basislager ist mit 450.000 Jahren deutlich älter als die Sesshaftigkeit – unterscheidet unsere Vorfahren aber von den Menschenaffen und stellt den Ursprung einer anderen Wohngewohnheit dar.

Ist Wohnen also ein entscheidendes Element des Menschseins, dessen, was uns als modernen Homo sapiens ausmacht? „Häuslichmachung ist ein ganz grundsätzliches menschliches Bedürfnis beziehungsweise Charakteristikum, das spätestens in der Jungsteinzeit zentrales Anliegen war und das manche Kolleg*innen schon in der Altsteinzeit sehen“, sagt Thaler. „Es könnte durchaus sein, dass uns die Evolution zum Wohnen gebracht hat“, ergänzt Michel. Nachdem der Mensch vom Baum auf den Boden zog, wurde er schutzlos und angreifbarer. „Höhlenwände und später Mauern brachten den nötigen Schutz“, so die Archäologin. Ganz klar kann man also nicht sagen, warum und wann die Menschen anfingen, zu wohnen. 

Der Grund für diese Unklarheit ist eine unzureichende Quellenlage. Und selbst wenn diese vorliegen, ist es für Archäolog*innen schwierig, eine genaue Wohnumgebung zu rekonstruieren. „Kontext zählt in der Archäologie“, sagt Michel. „Häufig finden wir Möbel aber zum Beispiel nicht in ehemaligen Wohn-, sondern in Grabkontexten.“ Durch Hausmodelle, Schriftquellen oder bildliche Darstellungen erhält man zwar Hinweise auf die Innenausstattung – aber nicht immer darauf, wie die Elemente einer Wohnumgebung einst zusammengespielt haben.

„Wohntrends kommen und gehen

In der Ausstellung stehen antike Throne neben weißen Gartenstühlen aus Plastik, der Sparherd neben einer mobilen Kochstelle aus dem Alten Griechenland, Bilder von öffentlichen Latrinen aus dem antiken Rom neben einem Wasserklosett der Neuzeit. Und je weiter man geht, desto mehr sieht man: Es gab und gibt keine lineare Entwicklung des Wohnens. „Wohntrends kommen und gehen, so wie auch Gesellschaften im Laufe der Zeit mal mehr und mal weniger komplex waren“, sagt Thaler. 

BELIEBT

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    Links: Oben:

    Der Grundriss eines klassischen griechischen Hauses aus Olynth. Schon hier erkennt man die Aufteilung in verschiedene Räume, ähnlich wie heute – allerdings ohne die Funktionen, die unsere Räumlichkeiten heute haben. 

    Rechts: Unten:

    Der Grundriss einer Plattenbauwohnung aus den 1970er Jahren hat Ähnlichkeiten mit dem Grundriss aus Griechenland.

    bilder von LfA/smac

    En vogue ist zum Beispiel wieder das jahrtausendealte Wohnkonzept der Jurte, bei dem komplexes Sozialleben innerhalb eines Raumes stattfindet: Heute findet man es in Form des Tiny Houses. Äußere Ähnlichkeiten über die Jahrtausende können aber auch täuschen: Ein antikes Reihenhaus aus dem griechischen Olynth mag mit seinem regelmäßigen Wohnungsgrundriss zum Beispiel an moderne Raumaufteilungen erinnern – und damit einer Plattenbauwohnung aus den 1970er Jahren ähneln. Aber statt einer festen Küche wie letztere hatte das griechische Haus nur ein festes „Männerzimmer“.

    Ein Papyrus mit einem Mietvertrag aus dem Jahr 540 n. Chr.

    Foto von Staatliche Museen zu Berlin, Ägypt. Museum und Papyrusslg., Inv.-Nr. P 11812, Scan: Berliner Papyrusdatenbank

    Eine Sache, die heute allerdings noch genauso gehandhabt wird wie früher, ist die Antwort auf die Frage, wer wohnen darf. Schon im Alten Ägypten gab es Mietverträge auf Papyri, die schriftlich festgehalten haben, wer eine bestimmte Wohnung ab wann und mit welchem vermieteten Mobiliar und welchen Räumlichkeiten bezog. Einige davon sind auch in der Sonderausstellung zu sehen – und sogar zu hören. 

    Möbel und Wohntrends aus 10.000 Jahren Geschichte 

    Probeliegen kann man in Chemnitz ebenfalls – und zwar auf einer Nachbildung aus dem Alten Ägypten. Das altertümliche Bett besteht aus einer Art hölzernen Recamiere mit dünner Matratze und einem etwas gewöhnungsbedürftigen „Kopfkissen“ – einer erhöhten hölzernen Kopfstütze. Es handelt sich bei der Nachbildung um eines der sechs Betten, die als Grabbeigabe für den Altägyptischen König Tutanchamun fungierten. Für die Nachbildung eines gut 3.000 Jahre alten Bettes ist es überraschend bequem. „Eines der anderen Betten aus dem Grab war der erste eindeutige Nachweis für ein Klappbett weltweit“, so Thaler. Ein Reisebett ins Jenseits?

    Gemütlicher als gedacht: Probeliegen auf Tutanchamuns Bett. 

    Foto von LfA/smac, Insa Germerott

    In einem Nachbarraum zeigt sich das Wohnen von seiner spaltenden Seite. Macht, Einfluss und Reichtum entschieden darüber, wer wie wohnte – oder thronte. „Das Thema Sitzen ist vermutlich das sozial trennendste“, so Thaler. Wie und worauf man saß, spiegelte die soziale Stellung wider. Wie gemütlich man im minoischen Palast von Knossos auf Kreta so „thronte“, kann man gleich selbst ausprobieren. Ein nachempfundener Thronsessel aus Holz ist Teil der Ausstellung. „Dieses im Original aus Alabaster gefertigte Thronmöbel wurde vom britischen Archäologen Arthur Evans ausgegraben. Er hat sich sogar selbst ein paar Holznachbildungen für sein Esszimmer in Oxford fertigen lassen“, sagt Thaler. Und wie auch schon bei dem altägyptischen Bett: Der starr wirkende Holzsessel ist deutlich komfortabler, als er aussieht.

    Weitere spannende Einblicke gibt es in die Vorläufer unserer heutigen Badezimmer. Von einem „stillen Örtchen“ konnte in der Antike allerdings noch nicht die Rede sein: Im Alten Rom wurden gerne öffentliche Latrinen ohne Wände zwischen den einzelnen Toilettensitzen genutzt. Ein Klogang war also eher ein Akt der Geselligkeit als eine einsame Notdurft. Das gespülte Klo für die private Nutzung wurde erst sehr viel später erfunden: 1596 fertigte Sir John Harington in England das erste mechanische Spülklosett an – und begeisterte damit sogar seine Patentante Queen Elizabeth I. Diverse Vorläufer unserer heutigen Toilette stehen zurzeit auch in Chemnitz. 

    Links: Oben:

    Antikes Gemeinschaftsklo: Im Alten Rom ging man gern gemeinsam auf die Toilette.

    Foto von LfA/smac, Insa Germerott
    Rechts: Unten:

    Herrschaftlicher "Thron": Ein Wasserklosett aus Sachsen, vermutlich aus dem 19. oder frühen 20. Jahrhundert.

    Foto von LfA/smac, Jens Beutmann

    Weit älter als manch hygienischer Standard ist auch der Hang zur Dekoration. „Seit man wohnt, will man es sich schön machen“, sagt Michel. Dazu zählt auch scheinbar sinnbefreite Deko wie ein schlüpfriges Deko-Objekt aus dem römischen Ägypten: Die kleine Skulptur, die zwei kopulierende Hunde darstellt, dürfte immerhin als Conversation Starter gedient haben. Doch Nippes erzählt auch persönliche Geschichten: Reisesouvenirs wie Pilgerabzeichen waren die Kühlschrankmagneten des Mittelalters. Sie geben heute wertvolle Hinweise darauf, wo Menschen früher unterwegs waren. Über den Instagram-Kanal des smac können Besucher*innen ihren „Nippes der Woche“ teilen. Von kitschigen Schneekugeln bis zu kuriosen Aschenbechern ist alles erlaubt. 

    Schlüpfrige Dekoration: Schon im Alten Ägypten bewies man Humor bei der Einrichtung. 

    Foto von Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Maria Thrun

    Auch Kochtrends, die heute in Mode sind, gab es früher schon – zum Beispiel das Slow Cooking. Ende des 19. Jahrhunderts kochte man Speisen zunächst in einem großen gusseisernen Topf an. „Danach hat man das Gericht in eine hölzerne Kiste eingebracht, die mit Stroh oder Decken gedämmt war, und es über Stunden schonend weitergekocht“, erklärt Michel. Die sogenannte Kochkiste, die auch Teil der Chemnitzer Sonderausstellung ist, hielt sich über Jahrzehnte – und erlebte erst kürzlich während der Energiekrise ein Revival. 

    Kochen war einst Knochenarbeit: Erst mit der Einführung der Frankfurter Küche, der ersten modernen Einbauküche, musste man sich nicht mehr bücken, um Speisen in die Kochkiste zu geben. 

    Foto von LfA/smac, Insa Germerott

    Der Raum, in dem gekocht, gegessen und zusammengesessen wurde, war früher meist auch das Arbeitszimmer. Am Tisch wurde gestrickt, repariert, geflickt. Auch wenn unsere moderne Arbeit von zuhause heute eher digital funktioniert: Das Home Office ist keine neue Erfindung, sondern ein alter Teil unserer Wohnkultur. 

    Wie werden wir in Zukunft wohnen?

    Die Sonderausstellung im smac zeigt: Wohnen ist stetig im Wandel. „Wie wir heute wohnen, ist nur eine Möglichkeit, es ist aber nicht das einzig Wahre“, sagt Thaler. „Andere Wohnformen sind nicht nur denkbar, sondern waren immer real.“ Daran, dass an andere Wohnformen wohl auch in Zukunft gedacht werden muss, erinnert die Chemnitzer Ausstellung am Ende: Mehrgenerationenhäuser statt Einfamilienhäuser, Sozialwohnungen statt Penthouse-Chic – für eine gemeinschaftliche Zukunft des Wohnens.

    Die Sonderausstellung läuft noch bis zum 28.04.2024 in Chemnitz. 

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