Fossil offenbart den Todeskampf einer Urzeit-Seekuh
Zwei Angreifer, ein Opfer: Ein Millionen Jahre altes Fossil gibt seltene Einblicke in das Leben prähistorischer Raubtiere und ihrer Beute.
Ein Millionen Jahre alte Fossil gibt seltene Einblicke in den Todeskampf einer Seekuh – und liefert wertvolle Informationen über das Leben prähistorischer Raubtiere und ihrer Beute.
Eine Seekuh schwimmt um ihr Leben. In ihrem Körper: Tiefe Bissspuren eines Krokodils, das sie als Beute auserkoren hat. Gegen den starken Kiefer ihres Angreifers hat sie keine Chance. Ihr Blut lockt einen weiteren Räuber an. Zunächst beobachtet der Hai die Szene – bevor er selbst zuschlägt.
So oder so ähnlich hat sich zu Urzeiten eine morbide Szene abgespielt, die nun von einem Forschungsteam rekonstruiert wurde. Es untersuchte die Überreste der unglücklichen Seekuh, die im heutigen Venezuela entdeckt wurden, im Rahmen einer Studie. Beteiligt waren Forschende der Universität Zürich (UZH), des Natural History Museum of Los Angeles County und des Museo Paleontológico de Urumaco in Venezuela.
„Paläontologische Rettungsaktion“: Aufwendige Bergung des Millionen Jahre alten Seekuh-Fossils
Entdeckt wurden die fossilen Überreste der Seekuh dank einem Hinweis eines lokalen Bauern. Dieser wies die Forschenden um Marcelo R. Sanchez-Villagra, Direktor des Paläontologischen Instituts und Museums der UZH, auf ungewöhnliche „Felsen“ hin. Bei der Untersuchung stellte sich heraus: In der Agua Clara-Formation in der Nähe von Coro in Venezuela verbargen sich tatsächlich die gut konservierten Knochen eines urzeitlichen Tieres – die Überreste der urzeitlichen Seekuh. Aufwändige Grabungsarbeiten folgten, um sie zu bergen. „Wir organisierten eine paläontologische Rettungsaktion, bei der die Fossilien vorsichtig mit einem Schutzgehäuse geborgen wurden“, sagt Sanchez-Villagra.
Nach der siebenstündigen Grabung nahm die Präparierung und Restaurierung der Knochen laut dem Expeditionsleiter nochmals mehrere Monate in Anspruch. Wie die Gesteinsschicht, deren Geologie und Sedimente analysiert wurden, stammt das Tier aus dem frühen bis mittleren Miozän. Somit wird sein Alter auf 23 bis 11,6 Millionen Jahre geschätzt.
Bissspuren und Zahnabdrücke liefern seltene Einblicke in urzeitliche Räuber-Beute-Beziehung
Insgesamt umfasst das Teilskelett der Seekuh der Gattung Culebratherium ein Stück des Schädels sowie achtzehn Wirbel. Der gute Erhaltungszustand der Knochen lieferte die entscheidenden Hinweise darauf, wie das urzeitliche Tier zu Tode kam: Deutlich zu erkennen waren mehrere Bissspuren von gleich zwei verschiedenen Raubtieren.
Die punktförmige Verletzung an der Schnauze der Seekuh wurde durch den Aufprall eines Krokodilzahns verursacht.
Spur des Einschlags eines einzelnen Haizahns, ebenfalls an der Schnauze der Seekuh.
Die Forschenden schließen aus den tiefen, punktförmigen Verletzungen auf den Knochen, dass die Seekuh zunächst von einem Krokodil angegriffen wurde. Womöglich packte das Raubtier seine Beute gezielt an der Schnauze, um sie zu ersticken. Auch Hinweise für eine sogenannte Todesrolle, wie sie moderne Krokodile durchführen, konnten die Forschenden entdecken.
Spätestens mit dem Eintreffen eines Tigerhais war das Schicksal der Seekuh dann besiegelt. Dass sich ein solcher ebenfalls an dem Beutetier zu schaffen machte, belegen sowohl weitere tiefe Schnittwunden und Bissspuren als auch ein Zahn, der nahe dem Halsbereich der Seekuh geborgen werden konnte.
Ein Verlierer, mehrere Gewinner
Der Fund dieser Indizien ist für die Forschenden ein Glücksfall. Denn die Beziehung zwischen Beute- und Raubtieren in prähistorischen Zeiten ist ein schwer zu erforschendes Gebiet. „Heutzutage beobachten wir oft, dass Kadaver, die von Raubtieren erbeutet werden, von anderen Tieren gefressen werden – aber fossile Beweise für dieses Verhalten sind selten“, sagt Aldo Benites-Palomino, Hauptautor der Studie, vom Paläontologischen Institut der Universität Zürich.
Die Bissspuren zweier Raubtierarten sind laut Benitez-Palomino einer der wenigen Belege dafür, dass sich mehrere Raubtiere von derselben Beute ernährten. Somit schließt das Seekuh-Fossil die wissenschaftliche Lücke um die Funktionsweise der urzeitlichen Nahrungsketten ein Stück weit.