War die Grube Messel eine Todesfalle für Fledermäuse?
Hunderte Fossilien an einem Ort: Im einstigen Messel-See häufen sich Überreste prähistorischer Fledermäuse – aber warum? Forschende haben den Fall gelöst.
Ein in der Grube Messel gefundenes Fledermaus-Fossil.
Im Jahr 1995 wurde die Grube Messel bei Darmstadt zum ersten UNESCO-Weltkulturerbe Deutschlands ernannt. Aus gutem Grund: Aus dem Ölschiefer der Stätte wurden bereits einige spektakuläre Überreste urzeitlicher Tiere geborgen, darunter Fossilien von Schlangen, Affen, Krokodilen, Urzeitpferden – und auch die von über 500 Fledermäusen.
Bei Letzteren handelt es sich größtenteils um Angehörige der Art Palaeochiropteryx tupaiodon, von denen hunderte vollständige Skelette sowie einzelne Flügel und Köpfe erhalten sind. Gefunden wurden sie vorrangig im Gebiet des ehemaligen Messel-Sees. Die schiere Masse der Überreste und ihre Konzentration auf einen bestimmten Bereich zeugt dem Anschein nach von einer sogenannten Übersterblichkeit. Doch welches Ereignis hat die Tiere vor rund 47 Millionen Jahren in so großer Zahl dahingerafft? Was machte den Messel-See zur „Todesfalle für Fledermäuse“?
Der Paläoherpetologe Krister Smith von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Biologin Joy O’Keefe von der University of Illinois Urbana-Champaign haben sich dieser Fragen angenommen – und festgestellt, dass von einer Übersterblichkeit keine Rede sein kann. Wodurch die Fledermäuse am Messel-See zu Tode gekommen sind, erläutern die Forschenden in ihrer Studie, die in der Zeitschrift Palaeobiodiversity and Palaeoenvironments erschienen ist.
Giftgas oder Algenblüte: die Katastrophen-Theorien
Die Studie ist nicht die Erste, die sich mit dem prähistorischen Rätsel um die Messel-Fledermäuse beschäftigt hat. Andere Wissenschaftler*innen haben dazu bereits Untersuchungen an- und Theorien aufgestellt. „Aktuell gibt es zwei Hypothesen zur Erklärung, wie es zu den vielen Fossilien in den Messel-Gesteinsschichten gekommen ist“, sagt Smith. Laut der einen sollen die Tiere beim Flug über den See durch das Einatmen giftiger Gase betäubt worden und schließlich ertrunken sein. Die andere besagt, dass die Tiere starben, weil sie mit Cyanobakterien kontaminiertes Seewasser tranken.
Doch keine dieser Erklärungen befriedigte Smith, denn in beiden Szenarien hätte die Sterblichkeit, die Schätzungen zufolge bei etwa sechs bis neun Tieren pro Jahr lag, weitaus höher ausfallen müssen. Zudem wurden die Fossilien in ungefähr gleicher Menge in verschiedenen Fundschichten entdeckt. Bei einem isolierten Massensterben hätte man sie hingegen in manchen Schichten gar nicht und in anderen gehäuft finden müssen. Was auch immer die Fledermäuse das Leben gekostet hat, wirkte also über einen sehr langen Zeitraum und traf selektiv einzelne Tiere.
Rekonstruktion der Urzeit mit Swimmingpool
Um zu bestimmen, ob der Messel-See tatsächlich als Todesfalle bezeichnet werden kann, war die Antwort auf eine Frage wesentlich: Wie hoch ist die natürliche Sterberate von Fledermäusen in kleinen Gewässern? Für Palaeochiropteryx tupaiodon kann diese heute nicht mehr ermittelt werden, doch glücklicherweise haben moderne Fledermäuse mit Angehörigen der prähistorischen Art viele Ähnlichkeiten. Dadurch war es Smith und O’Keefe möglich, die damaligen Geschehnisse anhand heutiger Gegebenheiten zu rekonstruieren.
Vertreter von Palaeochiropteryx tupaiodon kamen vermutlich an den Messel-See, um ihren Durst zu stillen. Heutzutage nutzen Fledermäuse dafür manchmal auch Gewässer, die es im Eozän noch lange nicht gab: Swimmingpools. „Schon seit Längerem wird beobachtet, dass Faktoren wie Wasserknappheit Fledermäuse dazu bringen, Pools als Wasserquellen aufsuchen“, sagt O’Keefe.
Durstige Fledermaus: Braunes Langohr (Plecotus auritus) beim Trinken.
Damit war nun auch ein modernes Äquivalent zum Messel-See gefunden, das den Forschenden bei der Ermittlung der natürlichen Sterberate helfen konnte. Zumindest annähernd, denn „natürlich kann der Messel-See nicht direkt mit privaten Pools gleichgesetzt werden“, sagt Smith. „Er war viel größer, es gab während des Treibhausklimas im Eozän schwere Unwetter und der See war – anders als die meisten Swimmingpools – ganzjährig verfügbar.“ Dies dürfte die Sterblichkeitsrate bei prähistorischen Fledermäusen, die aus dem See tranken, erhöht haben.
Eine vom Studienteam initiierte Online-Umfrage, die sich an Besitzer*innen privater Swimmingpools in den USA richtete, lieferte 496 Fragebögen mit Angaben zur Häufigkeit, mit der Fledermäuse in diesen Schwimmbecken ertrinken. Das Ergebnis: Während in den meisten Pools nie tote Fledermäuse gefunden wurden, lag die Spanne insgesamt zwischen einer und 14 toten Fledermäusen pro Jahr.
Natürliche Sterberate damals und heute
Dieser Wert entspricht in der Größenordnung etwa der geschätzten Sterberate von Fledermäusen im Messel-See. „Unsere quantitativen Analysen liefern keine Hinweise darauf, dass die Fledermaussterblichkeit in Messel über ein ‚normales‘ Unfall-Niveau hinausgeht“, fasst Smith die Ergebnisse zusammen. „Der Messel-See kann demnach nicht als ‚Todesfalle‘ für die fliegenden Säuger oder andere Tiere bezeichnet werden.“
Ebenso wie ihre modernen Nachfahren sind die Tiere, deren Fossilien in der Grube Messel gefunden wurden, also vermutlich vereinzelt und zufällig beim Trinken verunglückt – und nicht, wie angenommen, durch ein einzelnes Katastrophenereignis in Massen gestorben.
Ihre Studie, so die Forschenden, zeige, wie aufschlussreich der Vergleich moderner Umgebungen mit paläontologischen Fundorten sein kann, wenn man die Prozesse in prähistorischen Lebenswelten verstehen möchte. Weitere Studien, die diesen Ansatz verfolgen, befürworten sie darum explizit.