Grube Messel: Spektakuläre Urzeittiere aus Deutschlands Fossilienparadies
Die Grube Messel bei Darmstadt zählt zu den bedeutendsten Fossilienfundstätten. Versteinerte Krokodile, winzige Urpferde und ein seltsames Äffchen gewähren Einblicke in eine Zeit, als Deutschland ein Tropenreich war.
Urzeit-Äffchen am Messel-See vor 47 Millionen Jahren: Damals herrschte in Deutschland tropisches Klima.
Beinahe hätte man das Fenster zur Urzeit zugemüllt. Wo heute Fossilien von unschätzbarem wissenschaftlichem Wert geborgen werden, sollte eigentlich eine Mülldeponie entstehen. Erst nach zähem Ringen mit einer Bürgerinitiative und Paläontologen ließen hessische Landesregierung und Abfallbetreiber Ende der 1980er-Jahre von ihren Plänen ab. Inzwischen zählt die Grube Messel, ein stillgelegter Ölschiefer-Tagebau bei Darmstadt, zu den weltweit wichtigsten Fundstellen für urzeitliche Tiere und Pflanzen.
Vor rund 50 Millionen Jahren war Hessen von tropischem Regenwald bedeckt. Winzige Urpferde streiften durch den Dschungel. Vogelgroße Ameisen krabbelten über Baumstämme, während seltsame Mischwesen aus Otter und Robbe durchs Wasser tollten. Im Schutz der Sümpfe lauerten Krokodile und Schlangen auf Beute.
Die Artenvielfalt muss überwältigend gewesen sein. Davon zeugen unzählige Fossilien von frühen Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien, Reptilien und Pflanzen. Etliche sind erstaunlich gut erhalten. Der Grund: Damals war die Grube Messel ein Vulkansee, der Tiere und Pflanzen auf natürliche Weise mumifizierte.
Diese 2020 entdeckte Schlange ist das älteste bekannte Pythonfossil. Es ist 47 Millionen Jahre alt.
Prähistorische Schätze aus Hessen
Faulschlamm bedeckte den Boden, giftige Gase stiegen zur Wasseroberfläche auf. Alles Leben, das im See versank, wurde von feinstem Sediment verhüllt.
Der Sauerstoffmangel verhinderte die Zersetzung und konservierte so Flora und Fauna. Im Laufe der Zeit verfestigte sich der Schlamm zu Ölschiefer.
Jahr für Jahr finden Forschende darin tausende Fossilien. Oft kommen dabei komplette Skelette zum Vorschein. Bisweilen werden sogar Mageninhalte, Haut oder Federn sichtbar.
Selbst winzige Details wie Schuppen von Schmetterlingsflügeln oder Pflanzenpollen landen regelmäßig in den Forschungslaboren. Zwei Forschungsgruppen graben in der Grube Messel nach den 47 Millionen Jahre alten Schätzen.
Urpferde im Ölschiefer
In der letztjährigen Grabungssaison landete das Team des Hessischen Landesmuseums Darmstadt einen echten Coup: Die Paläontologen konnten ein etwa 30 Zentimeter großes Urpferdfohlen aus dem Ölschiefer freilegen. „Die Präparation ist noch nicht ganz abgeschlossen, aber vielleicht könnte es sich sogar um eine trächtige Stute handeln“, sagt Grabungsleiter Torsten Wappler. Dutzende Skelette der längst ausgestorbenen Minipferde wurden bislang in Messel gefunden.
Weiteres Highlight im vergangenen Grabungsjahr war ein nahezu vollständig erhaltenes Schlangenfossil, welches das Team des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums in Frankfurt bergen konnte. Dem Präparator gelang es sogar, die Luftröhre des Urzeit-Pythons freizulegen. Um welche Art es sich genau handelt, ist derzeit noch nicht klar.
Etwa 80 Prozent der zuletzt gefundenen Fossilien seien Insekten und Pflanzen, erklärt Senckenberg-Grabungsleiterin Sonja Wedmann. Der Rest setze sich aus Wirbeltieren, „hauptsächlich Fischen“, aber auch Vögeln oder eben Schlangen zusammen.
Die Grube Messel in der Urzeit: Ein sumpfiges Ökosystem mit einer überbordenden Artenvielfalt. In der Mitte hinten eines der charakteristischen Urpferdchen (Illustration).
Heimlicher Star von Messel: Ida, das Urzeit-Äffchen
Berühmt geworden ist die Grube Messel vor allem durch ihre spektakulären Säugetierfunde. Neben den charakteristischen Urpferden dokumentieren versteinerte Schuppentiere, Tapire, Fledermäuse und viele weitere Fossilien die Evolution der frühen Säuger. Im Zusammenspiel mit anderen Tier- und Pflanzenfunden erhalten die Forschenden ein erstaunlich präzises Bild über die Lebenswelt nach Ende des Dinosaurierzeitalters.
Besonderer Star der Grabungsstätte ist ein kleines Äffchen. Es war nur 24 Zentimeter groß, lebte am Seeufer und ist als „Ida“ weltbekannt geworden. Das Fossil wurde bereits 1983 entdeckt, allerdings erst 2009 von dem norwegischen Paläontologen Jørn H. Hurum wissenschaftlich beschrieben. Tatsächlich handelt es sich um eines der vollständigsten Skelette eines urzeitlichen Primaten.
Idas Körperbau erinnert an die heutigen Lemuren auf Madagaskar. Das lässt darauf schließen, dass sie eine Baumbewohnerin war. Ihre kräftigen Hände hatten je fünf Finger mit Fingernägeln. Ihr Schwanz war länger als der restliche Körper. So konnte sie sicher durch das Dickicht klettern.
Der ausgestorbene Primat Darwinius masillae, besser bekannt als „Ida“. Weltweit existiert nur ein einziges Exemplar. Es wurde in der Grube Messel gefunden.
Woran starb Ida?
Die großen Augenhöhlen deuten auf eine nachtaktive Lebensweise hin. Ida ernährte sich von Früchten, Samen und Blättern. Das belegen versteinerte Nahrungsreste im Verdauungstrakt. Weil dem Fossil im Gegensatz zu den meisten Primaten ein Penisknochen fehlt, kamen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass es sich um ein Weibchen handeln müsse.
Alt wurde das Äffchen nicht. Das lässt sich am Gebiss ablesen. Die bleibenden Zähne waren gerade erst durchgebrochen, als das Jungtier plötzlich ums Leben kam. Weder Bissspuren noch andere Anzeichen tödlicher Verletzungen fanden sich am Skelett.
Woran also starb Ida? Möglicherweise wurde sie beim Trinken am Vulkansee von aufsteigenden Kohlendioxid-Dämpfen betäubt, bevor sie im fauligen Schlamm versank. Heute ist Ida als einziges jemals gefundenes Fossil der Art Darwinius masillae im Naturhistorischen Museums in Oslo ausgestellt.
Wer einen Einblick in die Schatzkammer der Urzeit bekommen möchte, muss aber nicht nach Norwegen reisen. Dauerausstellungen mit Fossilien aus der Grube Messel gibt es im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt und im Besucherzentrum der Grube Messel, das auch Führungen durch die Grabungsstätte anbietet.