Antike Schleuder war so tödlich wie eine 44er Magnum

Eine Ausgrabung in Schottland zeigt, dass römische Soldaten Bleigeschosse mit tödlicher Treffsicherheit einsetzten.

Von Heather Pringle
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:34 MEZ, Aktualisiert am 19. Jan. 2021, 16:17 MEZ
Ruinen und Waffen einer blutigen römischen Schlacht entdeckt

Vor etwa 1.900 Jahren griff eine römische Armee eine Gruppe einheimischer Krieger auf einem befestigten Hügel in Schottland an. Sie verschossen Bleikugeln mit ihren Schleudern, die laut neuen Experimenten etwa die Mannstoppwirkung einer modernen 44er Magnum hatten.

Der Angriff schien mit tödlicher Effektivität erfolgt zu sein, denn die einheimischen Krieger waren nur mit Schwertern und anderen einfachen Waffen ausgerüstet, sagt John Reid. Er ist ein Forscher am Trimontium Trust und einer der Kodirektoren der archäologischen Arbeiten bei Burnswark, südlich von Edinburgh. „Wir sind uns ziemlich sicher, dass man den Einheimischen auf dem Hügel nicht gestattete, weiterzuleben.“

Aber Burnswark war nur die Eröffnungssalve in einem Krieg gegen die widerspenstigen Stämme, die nördlich des Hadrianswalls lebten. Trotz ihrer überlegenen Bewaffnung schienen sich die römischen Soldaten in Schottland jedoch verrannt zu haben, als sie einen zähen und einfallsreichen Feind bekämpften, der sich in die Moore und Hügel zurückziehen konnte. Weniger als zwei Jahrzehnte nach dem römischen Angriff auf Burnswark und auf den besetzten Teil der schottischen Lowlands zogen sie sich auf die südliche Seite des Hadrianswalls zurück. „Das sieht langsam so aus wie das Afghanistan Roms“, sagt Reid.

Mit Schleudern bewaffnete römische Soldaten benutzten diese Bleikugeln, um ihre Gegner niederzumähen. Ein geübter Schleuderer konnte ein Ziel, das kleiner als ein Mensch war, aus einer Entfernung von fast 120 Metern treffen.
Foto von John Reid

Er und sein Kollege Andrew Nicholson, ein Archäologe des Dumfried and Galloway Council, begannen vor fünf Jahren damit, Burnswark zu untersuchen. Sie hofften, dass sie neue Hinweise darauf entdecken könnten, wie sich die Ereignisse an diesem Ort, der auch zwei römische Lager umfasst, abgespielt haben. Zu diesem Zeitpunkt waren schottische Archäologen geteilter Meinung in ihrer Interpretation der Stätte. Manche glaubten, die römische Armee hätte Burnswark als Schießstand oder Trainingscamp genutzt, während andere Forscher die Wallburg als Schauplatz einer längeren Belagerung betrachteten.

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    Archäologen entdeckten zwei runde Geschosse aus Kalkstein, die man als Ballistakugeln bezeichnet und die von der römischen Artillerie verschossen wurden.
    Foto von John Reid

    Um die Angelegenheit zu klären, beschlossen Reid und Nicholson, Burnswark nach Spuren antiker römischer Munition zu durchkämmen. Amerikanische Archäologen hatten erfolgreich Metalldetektoren am Ort der Schlacht am Little Big Horn eingesetzt, um verborgene Kugeln und Hülsen zu entdecken und die Bewegungen der Soldaten auf dem Schlachtfeld zu kartieren. Also entschlossen sich Reid und Nicholson, etwas Ähnliches bei Burnswark zu versuchen. Zuerst lernten sie, wie man Metalldetektoren so einstellt, dass sie zwischen dem Blei in antiken römischen Schleuderkugeln und anderen Metallgegenständen unterscheiden konnten.

    Ausgebildete Metalldetektorgänger durchkämmten dann die Hänge und die Kuppe von Burnswark und fanden über 2.700 Treffer, die Nicholson alle verzeichnete und auf einer Karte markierte. Anschließend verifizierte das Team die Funde, indem es fünf kleine Gräben aushob. Die Ausgrabung förderte mehr als 400 römische Schleuderkugeln zu Tage, genau dort, wo die Metalldetektoren es signalisiert hatten. Außerdem fand man zwei kugelförmige Kalksteingeschosse, die man als Ballistakugeln bezeichnet. Laut den Ergebnissen waren 94 Prozent der Metalldetektorfunde römische Geschosse.

    Beeindruckt von den Funden begann das Team mit der Analyse der Orte, an denen die Metalldetektoren angeschlagen hatten, um ein besseres Verständnis für den Hergang zu erhalten. Sie entdeckten eine Konzentration von Bleikugeln entlang des 560 Meter langen, südlichen Befestigungswalls der schottischen Wallburg, direkt über einem der römischen Lager. „Das ist genau das, was wir von einem Belagerungsangriff erwarten würden“, sagt Reid. Eine zweite, geringere Konzentration lag nördlich, wo sich eine erfolglose Fluchtroute der Verteidiger befunden haben könnte.

    Die römischen Schleuderschützen hätten einen hohen Tribut gefordert. Kürzlich erfolgte Experimente in Deutschland haben gezeigt, dass eine 50 Gramm schwere römische Kugel, die von einem geübten Schleuderer abgefeuert wird, kaum weniger Mannstoppwirkung aufbringt als ein Projektil, das aus einer 44er Magnum gefeuert wird. Weitere Tests ergaben, dass ein geübter Schleuderer ein Ziel, das kleiner als ein Mensch ist, aus einer Entfernung von fast 120 Metern treffen kann. „Das ist genau die Distanz zwischen dem vorderen Befestigungswall des südlichen [römischen] Camps und dem vorderen Befestigungswall der Wallburg“, bemerkt Reid.

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    Die Römer setzten auch eine zuvor unbekannte Form der psychologischen Kriegsführung ein, um die Schotten in Schrecken zu versetzen und ihren Widerstand zu schwächen. Während sie die Kugeln untersuchten, bemerkten Reid und Nicholson kleine Löcher, die absichtlich in etwa zehn Prozent der Munition gebohrt wurden. Verwirrt goss das Team Repliken und bat geübte Schleuderer, sie zu testen. Die Kugeln mit den Löchern gaben ein „seltsames, Banshee-ähnliches Geheul von sich“, so Nicholson. „Man hört da also diese unweltlichen, unnatürlichen Geräusche, die man noch nie zuvor gehört hat, und links und rechts von einem gehen Leute zu Boden.“

    Vergleichsstudien zum isotopischen Zerfall der Kugeln aus Burnswark und anderer, gut datierter Stätten lassen darauf schließen, dass der blutige Angriff um etwa 140 n. Chr. stattgefunden hat, in der frühen Regierungszeit des Kaisers Antoninus Pius. „Er war ein neuer Kaiser, der irgendwo einen militärischen Sieg brauchte“, sagt Reid. Indem er an Burnswark ein gewaltsames Exempel statuierte, hatte sich der Kaiser vielleicht einen schnellen Erfolg und die Unterwerfung der Stämme an der nördlichen Grenze erhofft.

    Fraser Hunter, ein Archäologe am Nationalmuseum von Schottland in Edinburgh, bezeichnet die neue Studie als „sehr originell und spannend.“ Und er glaubt, dass Burnswark nun Fragen über die Probleme aufwirft, die sich die Römer vielleicht selbst geschaffen haben, als sie den Hadrianswall errichtet und sich neue Feinde unter den schottischen Stämmen gemacht haben. „Die Parallele zu Afghanistan ist interessant“, sagt Hunter, „weil ein Problem von Kaiserreichen im Umgang mit – wenn man so will – von Kriegsherrn geführten Gesellschaften ist, dass sie oft hereinstolpern und Probleme verursachen, von denen sie gar nicht wissen, dass sie sie verursachen.“

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