7 Städte und ihre eindringliche Street Art

Graffiti, Wandgemälde, Vandalismus – Street Art hat viele Namen, aber etwas, das weltweit auf sie zutrifft, ist die kulturelle Bedeutung hinter diesen Kunstwerken.

Von Karen Gardiner
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:31 MEZ
Thailand
Ein Gebäude mit dem Graffito einer Schlange am Khlong Saen Saep, einem Kanal in Zentralthailand.
Foto von Woodstock Photography, Getty Images

Street Art ist das Outdoor-Museum einer Stadt. Sie ist nicht nur hübsch anzusehen, sondern fungiert auch oft als Zugang zu den zugrundeliegenden sozialen, kulturellen oder politischen Belangen des Umfelds, in dem sie auftaucht. Wenn man auf ein wunderschönes Kunstwerk irgendwo auf einer Stadtmauer trifft, ist es zwar einfach, ein Foto davon zu machen, es auf Instagram hochzuladen und weiterzugehen. Die besten Beispiele von Street Art verdienen es aber, dass man sich ein paar Momente darüber Gedanken macht, was sie ausdrücken wollen. Hier nehmen wir euch auf eine Tour durch die sieben besten Städte der Welt mit, in denen man Street Art mit Gewissen findet.

SAN JUAN, PUERTO RICO

Das 2010 ins Leben gerufene Street Art Festival Santurce Es Ley hat einen Funken in San Juans seit Langem vernachlässigten Viertel Santurce entzündet und es zu einem wichtigen Ort der Kunst gemacht. Die Bilder, die hier Gebäude verzieren, sind nicht einfach nur zur Dekoration da: Viele von ihnen zielen auf Puerto Ricos gegenwärtige und geschichtliche Probleme ab.

Dieses Wandgraffito zeigt Christopher Columbus, der auf einem Meer aus Blut und Tod in Amerika ankommt.
Foto von Claudine Klodien, Alamy Stock Photo

An der Ecke Calles Cerra und Aurora zeigt ein Wandgemälde die drei Schiffe von Columbus, die 1492 in See stachen. Körper stürzen herab und das Meer ist rot gefärbt. Das Kollektiv El Basta nennt das Bild „Un viaje con más naufragos que navegantes“ („Eine Reise mit mehr Schiffsbrüchigen als Seemännern“) – ein Ausdruck aus Eduardo Galeanos „Die offenen Adern Lateinamerikas“ und, wie El Basta und sagte, „extrem passend als Beschreibung für den Prozess der Kolonisation, Ausbeutung und Plünderung, der (seitdem) stattfand.“

„Als wir das Wandbild 2014 gemalt haben, gab es nicht viel Street Art mit politischen Konnotationen“, sagten sie, “aber das hat sich geändert“. Läuft man Cerra hinunter, sieht man mehr davon. „Despierta Boricua“ („Wach auf, Puerto Ricaner“) von Natalia Sanchez ist ein Appell an ein landwirtschaftliches Wiedererwachen. „Puerto Rico wird beständig sein Reichtum entrissen“, erzählt sie uns in Bezugnahme auf die ökonomische Krise, welche die Einwohner dazu gezwungen hat, Arbeit im Ausland zu suchen. Zurückzukehren und den fruchtbaren Boden der Insel zu bewirtschaften „ist unsere einzige Hoffnung, um ein autarkes und eigenstaatliches Land zu erschaffen.“

BOGOTÁ, KOLUMBIEN

Der fortdauernde Nachhall von Kolumbiens Geschichte inspiriert Bogotás politische Street Art – und ein Ereignis der nahen Vergangenheit beeinflusst ihre Entstehung. Nach Protesten wegen tödlicher Schüsse auf eine Künstlerin im Teenageralter 2011 hat Bogotá Street Art größtenteils entkriminalisiert, wodurch kunstvolle Wandbilder nun florieren.

Beginnt man an der Ecke Carrera 4 und Calle 12, entdeckt man dort ein leuchtendes Wandbild mit indigener Thematik von Guache, das die Fassade des Holofónica Musikstudios ziert. Von dort aus kann man die weitläufigen und mit Street Art verzierten Straßen von La Candelaria erkunden, ehe man sich El Centro zuwendet. Wo die Carrera 4 die Calle 20 kreuzt, verschmelzen mehrere Themen zu einem großen Wandbild. Das Kunstwerk des Schablonenkollektivs Toxicómano in Zusammenarbeit mit DJ Lu, Lesivo und Guache zeigt die Gesichter von Obdachlosen und deutet eine Anspielung auf den Falschmeldungsskandal an, bei dem die Armee arme Zivilisten mit dem Versprechen von Jobs in abgelegene Gebiete gelockt hat. Dort hat die Armee sie dann ermordet, in Rebellenuniformen gesteckt und sie als Guerillas präsentiert. Die Granaten, die in der kolumbianischen Landschaft verstreut liegen – Hinterlassenschaften des jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts des Landes –, tauchen ebenfalls auf dem Bild auf, zusammen mit Säcken voller Geld und dem Helm einen Minenarbeiters, eine Anspielung auf die kapitalistische Gier und aus Ausbeutung von Kolumbiens natürlichen Ressourcen.

Foto von Karen Gardiner
Foto von Karen Gardiner

WILLIAMSBURG, NEW YORK

Das Viertel Williamsburg wird oft als das Epizentrum der Coolness dargestellt und zieht unweigerlich viele Touristen an, die die Kunstwerke auf seinen Straßen als Hintergrund für Selfies benutzen. Blickt man tiefer, entdeckt man aber Kunstwerke, die die vielen Gesichter der Menschen darstellen, die das Gebilde unserer Städte ausmachen.

Dieses Duo aus Exiliranern, Icy und Scott, malt monochrome Kinder, die von einem Regenbogen aus Farben übergossen werden.
Foto von Karen Gardiner

Beginnt man seine Tour an der North 10 Ecke Bedford, findet man ein Porträt eines italienisch-jamaikanischen Jungen namens Camilo, der ein Teil von Jorit Agochs „Human Tribe“-Projekt ist. Drei Blocks südlich an der Ecke Berry findet man „Lay Your Weapons Down“ („Legt eure Waffen nieder“) von Faith47, das „die tiefgehende Natur der Verbundenheit zwischen den Menschen widerspiegelt.“ Am TBA Brooklyn an der Ecke Whyte zeigt ein Duo aus Exiliranern, Icy und Scott, monochrome Kinder, die von einem Regenbogen aus Farben übergossen werden. Die Kunst der beiden kommentiert oft die Beschränkungen des Lebens in ihrem Heimatland, und dieses Stück könnte als Repräsentation der kreativen Freiheit interpretiert werden, die sie in Brooklyn gefunden haben.

ISTANBUL, TÜRKEI

„Istanbul ist eine Mischung der Kulturen“, erzählte uns der lokale Künstler Leo Lunatic. „Multikulturalismus und Vielfältigkeit sind in der Gesellschaft und Weltanschauung von Istanbul fest verankert. Trotz der aktuellen politischen Lage in der Region und unserer geopolitischen Bedeutungen haben wir als Künstler uns dazu entschlossen, größtenteils unpolitisch zu bleiben. Im Höchstfall schaffen Künstler etwas, das für Frieden wirbt, Krieg verurteilt oder eine subtile Anspielung auf politische Einstellungen enthält.“

Kulturell lassen sich Istanbuls Street Artists stark von der lokalen Geschichte inspirieren. Viele „integrieren römische oder griechische Büsten in unsere Kunstwerke, die Istanbuls Vergangenheit widerspiegeln und auch das bildhauerische Erbe, das sich überall in der heutigen Türkei finden lässt.“ Leo selbst integriert oft Motive, die von osmanischen Kacheln und baulichen Details inspiriert wurden, auch wenn seine Signatur ein Panda ist, der in vielen Versionen die Wände der Stadt ziert.

Das Bild eines Pandas wurde mit einer Spraydose von Künstler Leo Lunatic auf die Außenwand eines alten Wohnbaus gemalt, Karaköy, Istanbul, Türkei.
Foto von Czgur, Getty Images
Die Graffiti auf der Mohammad-Mahmoud-Straße sind eine Erinnerung an die Gewalt der Revolution 2011.
Foto von IN PICTURES LTD., CORBIS VIA GETTY IMAGES
Graffiti auf der Mohammad-Mahmoud-Straße.
Foto von IN PICTURES LTD., CORBIS VIA GETTY IMAGES

Unter dem Galataturm in Karaköy zeichnet sich ein zwei Stockwerke hoher Panda ab, der eine Spraydose in jeder Pfote hält. Von hier aus geht es südöstlich weiter durch die mit Cafés gesäumten Seitenstraßen, hin zum Bosporus. Hier sind die Wände und Fensterläden von Kunst bedeckt, viele davon aus den Händen von Mr. Hure, Olihe und Luckypunch, deren Geschichte vor Kurzem in der Dokumentation „Revolt Against Gray“ erzählt wurde.

KAIRO, ÄGYPTEN

Die ägyptische Revolution 2011 löste eine Explosion von politisch geprägter Street Art aus, wie Kairo sie noch nie zuvor gesehen hatte. Schablonengraffiti, Porträts gefallener Aktivisten und Karikaturen autoritärer Figuren bedeckten die Flächen rund um den Tahrir-Platz, besonders in der Mohammad-Mahmoud-Straße, in der die Wand der Amerikanischen Universität in Kairo (AUC) von Aktivisten als Zeitung benutzt wurde.

Die Gewaltsame Bekämpfung der Demonstranten hat die provokativsten Kunstwerke zum Schweigen gebracht. Die Wand der AUC wurde weiß gestrichen und dann teilweise eingerissen, aber ein paar Kunstwerke, wie das Porträt eines jungen Märtyrers von Ammar Abo Bakr, sind geblieben. Von der AUC aus geht man etwa fünf Kilometer östlich ins Viertel Mansheya Nasir, in dem viele Müllmänner wohnen. El Seed ehrt diese Arbeiter mit einem gewaltigen Wandbild, das sich über 50 Gebäude erstreckt und in arabischer Kaligrafie einen koptischen Bischof aus dem 3. Jahrhundert zitiert: „Wenn man das Licht der Sonne erblicken will, muss man sich die Augen reiben.“

BANGKOK, THAILAND

Bangkok bietet Besuchern die Möglichkeit, die Street Art aus einer ungewöhnlichen Perspektive zu betrachten: vom Wasser aus. Die Wandbilder, die letztes Jahr zum Bukruk Urban Arts Festival entstanden, kommen in Sicht, wenn man mit der öffentlichen Fähre des Chao Phraya Express vom Tha-Thien-Pier zur Taksin-Brücke fährt.

Ein Wandbild von Roa zeigt zwei Elefanten, die von einer Gebäudewand fallen, Bangkok, Thailand.
Foto von Chanachai Panichpattanakij, Getty Images

Die urbane Landschaft der Stadt und ihre Bewohner dienen den Künstlern als Inspiration. Fährt man an Chinatown vorbei, entdeckt man einen Haufen Fahrräder, die von Aryz gemalt wurden. Der sagt, er hätte gesättigte Farben verwendet, die sich in die Umgebung einpassen. Auf der gegenüberliegenden Wand fallen gerade zwei Elefanten herunter, die dort von Roa angebracht wurden, dessen dargestellte Tiere stets auf den Fassaden und in der Umgebung zu leben scheinen, auf die er sie malt.

STAVANGER, NORWEGEN

Jedes Jahr stellen Anwohner die Wände ihrer Häuser und Läden Künstlern zur Verfügung, die an Stavangers Street Art Festival NuArt teilnehmen. Keiner weiß vorher, was die Künstler erschaffen werden, aber alle willigen ein, die entstandene Kunst mindestens ein Jahr unberührt zu lassen. Oft ist das Ergebnis ein Gespräch im öffentlichen Raum über lokale Belange.

Künstler Roa bildet auf einer Wand in Stavanger, Norwegen, einen zweigeteilten Wal ab, von dem Blut und Öl tropfen.
Foto von Karen Gardiner

Am besten beginnt man im Stadtzentrum, wo hinter dem Scandic Stavanger City Hotel ein Kunstwerk von Roa in Schwarz, Weiß und Rot einen zweigeteilten Wal zeigt, von dem Blut und Öl tropfen – eines von mehreren Werken, das sich mit Norwegens Walfangtradition und/oder seiner Abhängigkeit von Öl beschäftigt. Weiter geht es Richtung Osten nach Storhaug, bis man zwei 50 m hohe Silos erblickt. „Monument to a Disappearing Monument“ von Fintan Magee behandelt den Einbruch der weltweiten Ölpreise und den Effekt, den das auf die Wirtschaft von Norwegens Ölhauptstadt Stavanger hat. Das Werk zeigt einen Ölarbeiter auf dem einen Silo und sein Spiegelbild, das zerbricht und verschwindet, auf dem anderen.

Karen Gardiner ist eine freiberufliche Autorin für die Themen Reisen und Kunst aus Schottland. Man kann ihr auf Instagram, Twitter und ihrer Webseite folgen.

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