Sieben Delikatessen zum Fürchten

Reisen ist Abenteuer – und Essen manchmal auch. Von illegalem Käse bis zu blutsaugenden Urzeitwesen nehmen wir euch mit auf kulinarische Entdeckungsreise, die nichts für schwache Nerven ist.

Von Simon Ingram
Veröffentlicht am 21. Sept. 2020, 11:27 MESZ
Tausendjährige Eier sind eine beliebte asiatische Delikatesse, die oft an Imbissständen als Streetfood angeboten wird. Am ...
Tausendjährige Eier sind eine beliebte asiatische Delikatesse, die oft an Imbissständen als Streetfood angeboten wird. Am Geschmack scheiden sich die Geister.
Foto von Neiljohn, Alamy

Die vielfältigen Geschmäcker und Traditionen der Welt selbst zu erleben (und zu verkosten), zählt sicherlich zu den größten Reizen des Reisens. Gerichte aus lokalen Zutaten, die mit dem kulinarischen Wissen von Generationen zubereitet werden, haben mittlerweile Länder- und Kontinentalgrenzen überschritten. Ob an geschäftigen Straßen, in Kochbüchern oder auf den Fernsehbildschirmen der Welt – heute begegnet uns selbst hochspezialisierte Kulinarik an jeder Ecke.

Ein Congee (Brei) aus Schweinefleisch, Gemüse – und einem „Tausendjährigen Ei“. Die Zutat mit dem suspekten Namen ist in China ein weit verbreitetes Nahrungsmittel und glücklicherweise kein Fall des Sprichworts „nomen est omen“.

Foto von Hein Teh, Alamy

Gelegentlich kollidieren jedoch Tradition und Geschmack. Heraus kommen dann Gerichte, für die man schon einen besonders abenteuerlustigen Gaumen kultivieren muss. Diese kulinarische Grauzone hat eine Subkultur von gastronomischen Abenteurern hervorgebracht, die auf der Suche nach den eigenwilligsten Kreationen der Welt sind, um sie selbst zu probieren – egal wie unklug das gelegentlich auch sein mag.

BELIEBT

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    Von prähistorischen Blutsaugern bis hin zu Keksen mit Stacheln stellen wir eine kleine Auswahl der eigenwilligsten Delikatessen der Welt vor.

    Tausendjähriges Ei

    (Lieber nicht) bestellen in … China, Thailand, Vietnam

    Um diesen asiatischen Snack zu verkosten (siehe Titelbild), brauch man nicht ganz so viel Geduld, wie der suspekte Name vermuten lässt. Das heißt aber nicht, dass es nicht viel Zeit und einen starken Magen erfordert.

    Das Ei wird in einer Marinade hergestellt, die aus einer Lösung von Asche, Tee, Salz, Schlamm und Ätzkalk besteht. Mit dieser appetitlichen Mischung wird ein Wachtel- oder Entenei umhüllt, das zwischen fünf Wochen und zwei Monaten in der Lösung mariniert. Das Ergebnis ist eine Kombination aus Konservierung, Aushärtung und chemischer Veränderung des Eies, wodurch sich seine Textur und sein Geschmack dramatisch wandeln.

    Leider vertragen sich Geduld und große Nachfrage oft nicht gut. Um die erforderliche chemische Reaktion zu beschleunigen, haben einige Hersteller giftige Metalle wie Bleioxid und Kupfersulfat verwendet. Erst vor Kurzem wurden daher Bedenken ob der Ungefährlichkeit im Handel erhältlicher Tausendjähriger Eier laut.

     

    Trailer | Gordon Ramsay: Kulinarische Abenteuer (Staffel 2)

    Von solchen Risiken einmal abgesehen, ist es vielleicht das dunkle, gallertartige Aussehen des Eies, das die ultimative Hürde für potenzielle Verkoster darstellt – dicht gefolgt von seinem ammoniakähnlichen Geruch. Die Beliebtheit der Eier lässt vermuten, dass der Reiz – ähnlich wie bei gut gereiftem Käse – womöglich eher im Geschmack liegt.

    Rakfisk

    (Lieber nicht) bestellen in …  Norwegen

    Fermentierter Fisch ist in den nördlichen Seefahrernationen beliebt, wo er unter verschiedenen Namen und in verschiedenen Formen vorkommt. Diese reichen von Schwedens berüchtigtem Surstromming (Hering, der in Dosen serviert wird, die sich aufgrund der darin enthaltenen Gase appetitlich ausbeulen) bis zum isländischen Hakarl, der aus verwestem Hai besteht, der monatelang vergraben, anschließend exhumiert, gepökelt und dann ungekocht gegessen wird. Irgendwo zwischen diesen ehrwürdigen Gerichten liegt der norwegische Rakfisk.

    Rakfisk fermentiert monatelang und wird im Anschluss ungekocht gegessen.

    Foto von Alexander Mychko, Alamy

    Das Gericht besteht aus Forellen oder Saiblingen, die mit Salz gepökelt und dann zum Fermentieren in einem luftdichten Behälter versiegelt werden. Angeblich wurde es aus der Not heraus geboren, um in den kalten Monaten keinen Hunger leiden zu müssen. Der Grundgedanke war, dass man im Sommer Fische im Überfluss fangen könnte, die dann den ganzen Herbst über gären dürfen. In den mageren Wintermonaten, wenn der Hunger stärker ist als der üble Gestank der Fische, könnte man sie dann verspeisen. Aus diesem Grund ist der Rakfisk ein traditionelles Wintergericht und wird – verständlicherweise – oft zusammen mit dem lokalen Branntwein Aquavit serviert.

    Jibachi Senbei

    (Lieber nicht) bestellen in …  Japan

    Wer seine Brille abnimmt, für den sehen sie wie harmlose Kekse aus. Erst wenn der Blick auf Flügel, Beinchen und verräterische Streifen fällt, drängen sich Fragen zu dieser japanischen Köstlichkeit auf. Nicht ohne Grund bedeutet ihr Name so viel wie „Wespenkekse“. Die Senbei gehen vermutlich auf einen sehr speziellen Fanclub für Wespen in der Stadt Omachi westlich von Tokio zurück. Die Insekten werden in der Wildnis gefangen, gekocht, zur Keksmischung hinzugegeben und gebacken.

    Nichts für schwache Nerven: Wespen im Keksteig sind in dieser Form zwar einzigartig, aber vom Prinzip her nicht ungewöhnlich: Wespenlarven gelten in Japan als Delikatesse.

    Foto von SORANEWS24

    Die ersten offiziellen Wespenkekse wurden 2007 gebacken, aber trotzdem spricht der neue Foodtrend eher eine ältere Zielgruppe an. „Die jungen Leute sehen die Wespen und weigern sich, die Senbei zu essen“, sagte der Clubpräsident Torao Kayatsu damals gegenüber Reuters. „Aber die Senioren, die lieben die Kekse. Wir haben sogar einen Auftrag von einem Pflegeheim.“ Das liegt vielleicht daran, dass die Kekse zwar ein lokales Kuriosum, aber Wespen – hebo – als Zutat in Japan nicht ungewöhnlich sind. Besonders die Larven werden als Delikatesse geschätzt.

    Was das Erlebnis für einen westlichen Gaumen betrifft, so berichtete ein zögerlicher Tester für die japanische Website SoraNews24 ausführlich über die Erfahrung. Ihm zufolge seien die gebackenen Wespen „sehr ähnlich wie Rosinen“, aber mit einem „leicht säuerlichen und bitteren Geschmack“. Er gab den Keksen 19 von 44 Punkten.

    Blutpudding

    (Lieber nicht) bestellen in … dem Vereinigten Königreich und Irland

    Zarte Gemüter begutachten die Zutatenliste für diesen traditionellen Klassiker des englischen Frühstücks vielleicht lieber nicht so genau. Seine Ursprünge waren bewundernswert pragmatisch: Beim Schlachten sollten möglichst alle Bestandteile des Tiers verarbeitet werden. Das galt auch für schnell verderbliches Blut. Kombiniert mit Haferflocken, Fett und Kräutern wurde daraus der euphemistische black pudding, der zumindest bei deutschen Muttersprachlern erst mal ganz andere Assoziationen weckt.

    Die traditionelle Blutwurst ist seit langem ein Klassiker des britischen Frühstücks.

    Foto von Raymond Tang, Alamy

    Blutpudding gilt zwar als typisch britisches Gericht, aber das Grundprinzip ist deutlich älter und weiter verbreitet. Nach Angaben der English Breakfast Society findet es sogar schon in Homers „Odyssee“ Erwähnung, in der eine mit Fett und Blut gefüllte Wurst über dem Feuer geröstet wird.

    Der pudding war im 16. und 17. Jahrhundert Gegenstand einer Kontroverse: Gegner des Gerichts wollten es aus religiösen Gründen verbieten, da der Verzehr von Blut gegen bestimmte christliche und jüdische Richtlinien verstieß. Trotzdem ist Blutwurst noch heute ein Klassiker vieler europäischer Küchen – und ein Nahrungsmittel, dass nach wie vor polarisiert.

    Casu Marzu

    (Lieber nicht) bestellen in … Sardinien

    Wem die Idee von Schimmelkäse schon nicht zusagt, für den ist Casu Marzu („verdorbener Käse“) vermutlich der ultimative Endgegner. Auf Sardinien ist der Käse ein traditionelles Nahrungsmittel – mittlerweile gilt sein Verzehr jedoch als illegal.

    Die Idee hinter Casu Marzu ist selbst für hartgesottene Käseliebhaber nicht unbedingt appetitlich. Ein Rad Pecorino-Schafskäse wird geöffnet und an einen Ort gestellt, an dem die Käsefliege Piophila casei ihn findet und ihre Eier hineinlegt. Dann wird der Käse eingelagert, damit in aller Ruhe die Maden schlüpfen können. Wenn sie sich durch den Käse fressen, wird er weich und cremig und entwickelt seinen unverwechselbaren Geschmack und Geruch – dank der „Verdauungsprodukte“ der Insekten. Um sicherzustellen, dass der faule Käse noch frisch genug ist, wird er traditionell mit den noch lebenden Maden gegessen.

    Berühmt, berüchtigt und illegal: Der sardinische Casu Marzu wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Delikatesse und Abfall. Seine einzigartige Zutat sind die Käsefliegenlarven der Art Piophila casei – und ihre Ausscheidungen.

    Foto von Gengis, Alamy

    Wer jetzt so richtig Lust auf diese Delikatesse hat, hat leider Pech: Casu Marzu ist aus einer Reihe von Gründen illegal, nicht zuletzt wegen der viel diskutierten Gefahren für den Darm, die mit dem Verzehr lebender Maden einhergehen. Außerdem ist er im Grunde von Ungeziefer befallen und daher kaum eine willkommene Ergänzung auf der Speisekarte eines Restaurants. Aus diesem Grund verstößt es gegen das Gesetz, Casu Marzu zu vermarkten oder zu verkaufen.  

    Absinth

    (Lieber nicht) bestellen in … der Schweiz und Frankreich

    Als flüssige Delikatesse wurde Absinth im 19. Jahrhundert zum berüchtigten Getränk. Das lag an einem Cocktail aus schlechter Publicity, schlechten Absichten anderer Alkoholhersteller und Gerüchten über die Giftigkeit von Thujon. Das Nervengift ist eine Verbindung aus einem der Hauptbestandteile des Absinths, dem Wermut – Studien zeigten allerdings, dass der Gehalt damals nicht höher war als bei heute zugelassenem Absinth. Das fast schon mythische Getränk wurde lange Zeit als Heilmittel verwendet und war im 19. Jahrhundert vor allem bei Künstlern und Literaten äußerst beliebt. Die „grüne Fee“, das Markenzeichen des Getränks, enthält etwa 60% Alkohol und hat eine unverwechselbare smaragdgrüne Farbe. Zu den weltberühmten Konsumenten zählten unter anderem Picasso, Oscar Wilde und Vincent Van Gogh.

    „Der Absinthtrinker“ (1901) von Viktor Oliva. Um die Jahrhundertwende war Absinth bei Künstlern sehr beliebt und es ging das Gerücht um, dass das Getränk halluzinogene Eigenschaften habe. Sein Emblem war das einer grünen Fee, die später im Rahmen der Anti-Absinth-Propaganda in einen Teufel oder ein Skelett umgewandelt wurde. Absinth war in Frankreich und der Schweiz bis in die 2000er verboten.

    Foto von Viktor Oliva, Creative Commons

    Die grüne Fee wurde zum grünen Teufel, als Gerüchte über Wahnsinn und Halluzinationen – eifrig geschürt von Abstinenzlern – das Getränk zu einem Katalysator für Bosheit stilisierten. Diese Gerüchte spitzten sich 1905 in der Schweiz zu, als ein Arbeiter namens Jean Lanfray seine schwangere Frau und seine beiden Kinder nach einem ausgedehnten Saufgelage mit Absinth und anderen Rauschmitteln ermordete. Die Tragödie sorgte für ein Verbot von Absinth, das in der Schweiz bis 2005 und in Frankreich bis 2011 bestehen blieb. Heute erfährt das Getränk ein Comeback in Europa – obwohl es immer noch nichts für schwache Nerven ist.

    Lampreten

    (Lieber nicht) bestellen in … Spanien, Portugal, Finnland

    Lampreten oder Neunaugen sind ein traditionelles Gericht, das vor allem in Nordspanien und Portugal zu finden ist. Neunaugen zählen zu den ältesten und ursprünglichsten Wirbeltieren der Erde. Sie haben zwar nur zwei Augen, dafür aber sieben rundliche Kiemenpaare und eine Nasenöffnung, sodass der Eindruck von neun Augen auf jeder Körperseite entsteht. Die Wasserbewohner haben keinen Kiefer, dafür aber eine bedrohliche Scheibe aus terrassenförmig angeordneten Zähnen, mit denen sie sich an Beutetiere heften, ihre Schuppen durchschneiden und ihr Blut saugen.

    Ein Meerneunauge zeigt sein rundes Maul aus Zähnen und Knorpelgebilden. Neunaugen entwickelten sich wahrscheinlich schon vor 360 Millionen Jahren. Vergleiche von uralten Fossilien und heutigen Exemplaren deuten darauf hin, dass sie sich in dieser Zeit physiologisch kaum verändert haben.

    Foto von John Cancalosi, Alamy

    Während diese Eigenschaften selbst aufgeschlossene Fischliebhaber skeptisch stimmen, waren Neunaugen (die keine Fische sind) einst eine beliebte Delikatesse im Vereinigten Königreich. Ihr übermäßiger Verzehr galt Gerüchten zufolge lange Zeit als Ursache für den Tod König Heinrichs I., den die meisten Historiker heute einer Lebensmittelvergiftung zuschreiben.

    Das moderne iberische Gericht besteht oft entweder aus Meer- oder Flussneunaugen, Knoblauch, Reis und einer kleinen Prise Ironie: Dieser Blutsauger wird traditionell in seinem eigenen Blut mariniert.   

    „Gordon Ramsay – Kulinarische Abenteuer“ läuft immer montags ab 21 Uhr auf National Geographic.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.co.uk veröffentlicht.

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