80 Jahre verschollen: Die Wiederentdeckung eines mysteriösen Amazonas-Bewohners

Der Primat mit der schrägen Frisur wurde erstmals in den 1930ern schriftlich erwähnt und hat sich Wissenschaftlern bis ins Jahr 2017 entzogen.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:42 MEZ
Erste Sichtung seit 80 Jahren: Scheuer Amazonas-Primat

Wenn irgendjemand den scheuen Primaten mit den goldfarbenen Beinen finden konnte, dann war es Laura Marsh. Sie ist die Direktorin des Global Conservation Institute und eine der weltweit führenden Experten für die Primatengattung der Sakis. Diese zählen zu den Neuweltaffen und sind im Amazonas und in Teilen Südamerikas heimisch.

2014 identifizierte Marsh fünf neue Arten von Sakis, die in dieser Region leben. Im Sommer 2017 hatte sie sich aufgemacht, eine ganz besonders scheue Art aufzuspüren. Vanzolinis Kahlgesichtiger Saki, der nach dem brasilianischen Zoologen Paulo Vanzolini benannt wurde, wurde seit 80 Jahren nicht mehr lebend gesehen.

Um den verschwundenen Primaten zu finden, brachen Marsh und ein Team aus Wissenschaftlern, Fotografen, Naturschützern und lokalen Führern zu einer viermonatigen Expedition in einen kaum erforschten Teil des westlichen Amazonas auf. In einem kleinen Hausboot mit zwei Etagen fuhren sie den Fluss Eiru in der Nähe der brasilianischen Grenze zu Peru hinauf.

Der Primat ist an dem goldfarbenen Fell an seinen Armen und Beinen und an seinem zottigen Haupthaar erkennbar.
Foto von Christina Selby, bioGraphic

Das Team wollte die artenreiche Landschaft erforschen und dokumentieren, aber eine Mission stand an erster Stelle: Die Wiederentdeckung von Pithecia vanzolinii. Als Marsh den Affen nach Jahren der gespannten Erwartung endlich sah, kamen ihr die Tränen.

„Es war fantastisch“, sagte sie in einem Telefoninterview mit National Geographic. „Ich habe gezittert und war so aufgeregt, dass ich kaum ein Foto machen konnte.“

Marsh hat jahrelang die Taxonomiestruktur der Pithecia-Gattung der Sakiaffen erforscht. Lange fehlte ihr aber ein fotografischer Beweis für Pithecia vanzolinii, der sich durch sein auffälliges Erscheinungsbild von den anderen Arten abhebt. Die erste Erwähnung von Vanzolinis Kahlgesichtigem Saki stammte von dem ecuadorianischen Naturkundler Alfonso Ollala, der 1936 eine Expedition in diese Region machte. 1956 wurden tote Exemplare auf einer weiteren Expedition eingesammelt.

Die Region selbst ist kaum erforscht. So tief im Amazonas sind Tierstudien teuer und schwierig durchzuführen.

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    Die Expedition im Jahr 2017, die sich den Spitznamen Hausboot-Team gab, arbeitete umfassend mit lokalen Einheimischen zusammen, um durch das Gebiet zu navigieren und die Affen zu finden. Die Journalistin Christina Selby begleitete das Team und schrieb für bioGraphic und Mongabay über die Reise auf dem Fluss. Es war am vierten Tag, so schrieb sie, als das Boot still über den Fluss glitt, dass sie den leicht erkennbaren Affen durch die Bäume laufen sahen.

    Vanzolinis Kahlgesichtiger Saki hat im Gegensatz zu vielen anderen Neuweltaffen keinen Greifschwanz, mit dem er sich durch die Bäume schwingen kann. Laut Marsh wirken die Sakis eher wie Katzen, die auf allen Vieren über dünne Äste laufen. In der Nähe von Dörfern, wo sie gejagt werden, blicken sie unter ihrem Wust aus Haaren eher scheu auf Besucher. Aber in abgelegeneren Regionen nähern sie sich neugierig den Menschen, die den Fluss entlanggleiten. Man hat schon beobachtet, wie männliche Sakis bei Gefahr von einer Mutter und ihrem Jungen weglaufen, sodass potenzielle Raubtiere lieber ihnen folgen und die Mutter und der Nachwuchs entkommen können.

    Das Forscherteam fand heraus, dass Pithecia vanzolinii entlang der gesamten Wasserscheide lebt. Marsh beabsichtigt, für die Weltnaturschutzunion eine Schätzung zum Populationsstatus der Tiere anzufertigen, um deren Gefährdungsgrad zu bestimmen. Die Organisation verfolgt die Populationsentwicklungen von Tieren und weist auf die Gefahren für bedrohte Arten hin.

    Marsh sagt, dass sie wahrscheinlich empfehlen wird, die Vanzolini-Sakis als gefährdet einzustufen. Der Status hängt jedoch davon ab, wie sich die Jagd in diesem Gebiet weiterentwickelt. Das Hausboot-Team ist froh, den Affen so schnell gefunden zu haben, fügt sie hinzu. Aber angesichts all der Vorbereitungen und Erwartungen waren auch alle ein wenig schockiert, dass es so schnell ging.

    „Ursprünglich sind wir losgezogen, um diese verlorene Art zu finden“, sagt sie. Aber im Verlauf der Expedition wurde das nur zu einem kleinen Teil des Bildes, das sich ihnen bot.

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    „Ich habe noch nie Menschen gesehen, die ohne Unterlass Schusswaffen tragen“, sagte Marsh. „In jeder kleinen Ecke wird gefischt und gejagt. Große Vögel waren selten. Waldvögel waren verschwunden ... Aber nicht der ganze Amazonas ist homogen. In unserer kleinen Ecke gibt es besondere Tiere und neue Arten.“

    Marshs Bericht über die Region deckt sich mit einem unbestreitbaren Fakt: Die Erschließung des Amazonas schreitet rapide voran. Bauprojekte und Wiederansiedlungsprogramme, die den Druck auf die Städte verringern sollen, haben zu massivem Siedlungswachstum geführt. Die Daten der letzten entsprechenden Erhebung Brasiliens aus dem Jahr 2010 zeigten, dass zehn Städte im Amazonasgebiet im Verlauf der letzten zehn Jahre ihre Größe verdoppelt haben. Obwohl das Land Regelungen erlassen hat, um die Abholzung einzudämmen, ist es mitunter eine Herausforderung, sie auch umzusetzen. Der Amazonasregenwald enthält etwa zehn Prozent der weltweit bekannten Artenvielfalt und hat für Naturschützer damit eine hohe Priorität.

    Für Marsh jedenfalls bedeutet die Wiederentdeckung von Vanzolinis Kahlgesichtigem Saki nun weitere Herausforderungen. Ihr zufolge sind noch weitere Studien nötig, um die genetischen Unterschiede zwischen dieser und anderen Sakiarten zu verstehen.

    Der Artikel wurde ursprünglich im Juli 2017 in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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