Fledermaus-Apokalypse: Forscher kämpfen gegen das Artensterben

Schalentiere, Ananas und UV-Licht sollen den tödlichen Pilz besiegen.

Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 7. Nov. 2018, 17:34 MEZ
Kleine Braune Fledermäuse
Kleine Braune Fledermäuse zählen zu den drei Arten, die am stärksten vom White-Nose-Syndrom betroffen sind. Die Krankheit wurde nach dem weißlichen Pilzbefall an der Nase der Tiere benannt.
Foto von Stephen Álvarez, Nat Geo Image Collection

Ein paar Autostunden außerhalb von Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania befindet sich ein verlassener Eisenbahntunnel, der teilweise unter Wasser steht. Es heißt, dass es dort spukt. Jahrzehntealtes Graffiti warnt neugierige Abenteurer vor dem Eintreten. In dem langen Tunnel schwappt mir das stinkende Wasser um die Knie, während das Tageslicht schwindet.

Es stimmt übrigens, was man sich über diesen Ort erzählt. Hier lauert ein unsichtbarer Killer.

Wissenschaftler bezeichnen ihn als Pseudogymnoascus destructans, oder kurz: Pd. Besser bekannt ist er wahrscheinlich als der tödliche Pilz, der Stück für Stück die Fledermauspopulationen Nordamerikas auslöscht. Im Laufe von etwas mehr als zehn Jahren fielen mehr als sechs Millionen Fledermäuse dem White-Nose-Syndrom zum Opfer, das der Pilz auslöst.

Trotzdem haben Wissenschaftler die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Tatsächlich gibt es aktuell eine ganze Reihe innovativer Projekte, bei denen Maßnahmen zur Rettung der Tiere getestet werden: Von Ananasextrakt über Zutaten aus Abführmitteln oder aufleckbare Impfstoffe bis zu UV-Strahlen werden im Kampf gegen den Pilz sämtliche Geschütze aufgefahren.

Pd wurde in den USA erstmals 2006 im Bundesstaat New York entdeckt. Mittlerweile hat sich das White-Nose-Syndrom über 33 US-Staaten und 7 kanadische Provinzen verbreitet.

„Manche Arten wurden völlig dezimiert“, erzählt Winifred Frick, die leitende Wissenschaftlerin von Bat Conservation International. „Die ‚großen drei‘ sind für uns in der Hinsicht das Braune Langohr, die Kleine Braune Fledermaus und die Östliche Amerikanische Zwergfledermaus.“

„Diese Krankheit stellt ein extrem verzwicktes und schwer zu lösendes Problem dar“, so Frick. „Dafür müssen wir alle zusammenarbeiten und unsere kreativen Energien bündeln.“

Fata-Morgana-Fungizid

Vor dem Eisenbahntunnel warten knapp 380 Liter Wasser und 100 Kilogramm Polyethylenglycol (PEG) auf ihre Vermischung. Das Polymer wurde in den Sechzigern entwickelt und wird heutzutage in vielen Bereichen verwendet, beispielsweise in Klebstoffen, Eierkartons, Seifenstücken, Lippenstiften und Zäpfchen.

Hier soll es nun in tragbare Tanks gefüllt und auf jeden Zentimeter der Decke und Wände des Tunnels gesprüht werden.

Mit Hilfe von UV-Licht können Wissenschaftler gelbliche bis orangefarbene Bereiche auf den Flügeln einer Kleinen Braunen Fledermaus erkennen, die aktuell von einem Pilz befallen sind, der das White-Nose-Syndrom verursacht.
Foto von Greg Turner, Pennsylvania Game Commission

Grund dafür ist die unglaubliche Eigenschaft des Polymers, den Pd-Pilz zu täuschen: Der Fungus glaubt dann, seine Umgebung wäre knochentrocken, obwohl er sich in einem feuchten Eisenbahntunnel befindet. Daraufhin stellt er seinen Stoffwechsel und seine Sporenproduktion ein. Da das PEG versprüht wird, lange bevor die Fledermäuse für ihren Winterschlaf eintreffen, soll so ein sicherer Hafen für die Tiere entstehen, in dem sie auf wärmere Monate warten können.

„Wir versuchen, die Umgebung für Pd unattraktiver zu gestalten“, sagt Barrie Overton, ein Mykologe der Lock Haven University in Pennsylvania. „Hoffentlich trägt das dazu bei, dass mehr Fledermäuse überleben.“

Falls sich herausstellen sollte, dass die Anwendung von PEG allein nicht ausreicht, plant das Team, der Mischung ein Fungizid auf Hefebasis hinzuzufügen. „Quasi ein Doppelschlag“, sagt Overton.

Der Piña Colada der Pilzbekämpfung

In einem anderen Eisenbahntunnel in Georgia experimentieren Wissenschaftler mit einem völlig anderen Spray – eines, das man direkt auf die Fledermäuse sprühen kann. Man mag es kaum glauben: Der Wirkstoff in dem Spray stammt aus wilden bolivianischen Ananaspflanzen.

„Der Pilz Muscodor crispins lebt in den Zellzwischenräumen der wilden Ananaspflanze“, erklärt Chris Cornelison, ein Mikrobiologe der Kennesaw State University in Georgia. „Welche Rolle er in der Physiologie und dem Lebenszyklus seines Wirts spielt, ist nicht genau bekannt.“

BELIEBT

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    Allerdings weiß man, dass der Ananas-Pilz das Wachstum anderer Pilze hemmt. Aus diesem Grund haben Cornelison und seine Kollegen seine Wirksamkeit an etwa 200 Östlichen Amerikanischen Zwergfledermäusen getestet, die in dem Black Diamond Tunnel im Nordosten Georgias leben. Noch 2013 umfasste ihre Kolonie mehr als 5.500 Tiere.

    Das eiskalte Wasser in dem Tunnel ist zu tief, um hindurchzuwaten. Deshalb haben die Wissenschaftler „Batilda“ gebaut: eine Art Flaschenzug, der ein Aluminiumboot mit einem Rotationszerstäuber durch den Tunnel bewegt. 

    Seit dem Beginn ihrer Behandlung konnten die Forscher Cornelison zufolge einen Anstieg in der Fledermauspopulation des Tunnels verzeichnen. Bis weitere Tests möglich sind, sollte man sich mit Äußerungen über die Wirksamkeit ihres Sprays jedoch zurückhalten, wie er sagt. Im kommenden Winter wird das Team seinen Ananas-Cocktail noch um die Zutat Decanal erweitern. Die organische Verbindung kommt unter anderem in Zitrusfrüchten und Koriander vor und konnte unter Laborbedingungen als Fungizid eingesetzt werden.

    Impfstoff zum Auflecken

    Eine weitere vielversprechende Methode zur Rettung der Fledermäuse ist ein Impfstoff, der das Immunsystem der Tiere beim Kampf gegen den Pilz unterstützt. Das Beste daran: Es sind keine Spritzen nötig. Die Tiere können den Impfstoff einfach auflecken.

    „Fledermäuse sind von Natur aus sehr reinlich“ und putzen sowohl sich selbst als auch Artgenossen, sagt Tonie Rocke, eine Epidemiologin des Geologischen Dienstes der USA. „Sie lecken alles ab, was an ihnen klebt.“

    Darum entwickeln Rocke und ihre Kollegen eine gallertartige Substanz, die sie auf die Fledermäuse auftragen können, während sie schlafen. Alternativ kann man sie beim Einflug in den Tunnel auch damit einsprühen. So würden die Fledermäuse den Impfstoff auch an ihre Nachbarn weitergeben, während sie um die besten Plätze ringen, und ihn schließlich auflecken, wenn sie sich putzen.

    „Wenn wir damit Erfolg haben, könnte der Impfstoff die behandelten Fledermäuse lebenslang immun machen“, so Rocke.

    Diesen Ansatz könnte man ihr zufolge auch bei der Behandlung anderer Krankheiten wie Tollwut verfolgen.

    Ein Licht im Dunkel

    Während sich andere Forscher auf Chemikalien und Impfstoffe konzentrieren, experimentiert Frick mit der altbewährten Desinfektionskraft des Sonnenlichts. Oder zumindest mit einer künstlichen Version davon.

    „Der Pilz hat eine einzigartige genetische Empfindlichkeit gegenüber UV-Licht“, sagt sie.

    Schon nach 30 Sekunden UV-Bestrahlung gibt der Pilz den Geist auf. Das Beste daran ist, dass das Licht andere Mikroben kaum oder gar nicht zu beeinträchtigen scheint. Derzeit testen Frick und ihre Kollegen in verlassenen Minenschächten in Arkansas, Alabama und Kanada, wie lange die Wirkung anhält. Einige Bereiche der Minen behandeln sie stattdessen mit PEG, um zu sehen, wie beide Methoden im direkten Vergleich abschneiden.

    Sollte die UV-Behandlung sich als so effektiv wie gehofft erweisen, muss sich Fricks Team mit dem Problem der Umsetzung befassen: Sie brauchen eine energieeffiziente Lichtquelle, mit der man eine ganze Mine oder eine natürliche Höhle ausleuchten kann.

    Nebenbei arbeitet Frick an einem anderen Projekt, bei dem ein Biopolymer namens Chitosan verwendet wird. Chitosan wird aus den Exoskeletten von Schalentieren und Insekten gewonnen und in der Humanmedizin zur Behandlung von Fettleibigkeit, einem hohen Cholesterinspiegel und Morbus Crohn eingesetzt. Im Falle der Fledermäuse interessieren sich die Forscher für die antimykotische und wundheilende Wirkung des Biopolymers.

    Bislang haben Frick und ihre Kollegen damit Kleine Braune Fledermäuse einer befallenen Population in Michigan und Fledermäuse in Texas behandelt.

    „Es gab ein paar erste Versuche mit vielversprechenden Ergebnissen, die gezeigt haben, dass der Krankheitsverlauf bei Fledermäusen abgemildert und die Überlebenschance damit gesteigert werden kann“, so Frick.

    Evolution statt Notlösungen

    Zurück im Eisenbahntunnel in Pennsylvania macht der Wildtierbiologie Greg Turner von der Pennsylvania State Game Commission eine Pause vom Sprühen, um zu erklären, warum all diese Ansätze so wahllos erscheinen.

    „Wir versuchen Hilfsmittel zu finden, die in unterschiedlichen Situationen und für unterschiedliche Arten hilfreich sein könnten“, sagt er.

    Wenn sich beispielsweise ein wirksamer Impfstoff in Gelform findet, den man einfach auf überwinternde Kolonien Kleiner Brauner Fledermäuse sprühen kann, funktioniert diese Strategie nicht zwingend auch für Östliche Amerikanische Zwergfledermäuse, die zumeist einzeln überwintern.

    Die beschriebenen Projekte sind bei Weitem keine vollständige Aufzählung der Strategien, an denen derzeit geforscht wird. 

    Von den US-Bundesstaaten Washington und Texas bis zu den kanadischen Provinzen Manitoba und Neufundland kommen Wissenschaftler aus zahlreichen Bereichen zusammen, um irgendwas zu finden, das ihnen im Kampf gegen den Pilz Zeit verschaffen wird.

    Europäische Fledermäuse haben sich im Laufe der Zeit an ein Leben mit Pd angepasst. Auch in den USA gibt es erste Anzeichen dafür, dass die Tiere eine gewisse Resistenz entwickeln.

    „Wir haben in sehr kurzer Zeit bereits einen dramatischen Abfall der Infektionen bei den Fledermäusen bemerkt“, sagt Turner. Da der Fungus aber bei jeder Art anders zu wirken scheint, können es sich manche Fledermäuse womöglich nicht leisten zu warten.

    Ob nun PEG, Chitosan, UV-Licht oder etwas anderes: Turner zufolge sind solche Behandlungen nur ein Pflaster auf der Wunde – eine Notlösung, die die Blutung lang genug stoppen soll, bis die verbliebenen Fledermausbestände sich wieder erholt haben.

    „Im Grunde müssen sich die Fledermäuse eigentlich anpassen und überleben, wie sie es in Europa tun“, sagt er. 

     

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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