‚Das war das härteste Foto, das ich je machen musste‘

Eine riskante Jagd auf ein „Problemkrokodil“ war Teil eines Schutzkonzeptes, das die australischen Tiere retten soll.

Von Trevor Beck Frost
Veröffentlicht am 7. Aug. 2019, 10:45 MESZ
Roger Matthews (links) und Aaron Rodwell stehen neben einem viereinhalb Meter großen und 450 Kilogramm schweren Leistenkrokodil, das sie im Northern Territory in Australien legal gefangen und getötet haben.
Foto von Trevor Beck Frost

Als ich in Australiens Northern Territory unter einem Baum stand, versuchte ich mir auszumalen, was das Leistenkrokodil, das dort an einem Ast hing, alles erlebt hatte. Es muss vor etwa 50 Jahren geschlüpft sein und wuchs von einem fünf Zentimeter kleinen Winzling zu einem viereinhalb Meter großen Koloss heran, der gute 450 Kilogramm auf die Waage brachte. Das Reptil schlüpfte am Ende einer 25-jährigen Periode intensiver kommerzieller Bejagung, die die Tierart an den Rand der Ausrottung getrieben hatte. Es war der perfekte Jäger – und ich hatte die Befürchtung, dass ich seinen Tod auf gewisse Weise feierte.

Ich hatte dieses Foto aufgenommen, um an eine denkwürdige Jagd zu erinnern – und an die Männer, die daran beteiligt waren. Manch einer mag annehmen, dass die beiden Männer, die neben dem Krokodil stehen, keinen Respekt für das Tier haben, weil sie ihm das Leben nahmen. Ich hingegen habe gelernt, dass Jäger die Tiere, die sie töten, durchaus schätzen und lieben können und sich als Teil einer Lösung für die Rettung der Art begreifen. Genau das ist die komplexe Situation, die ich ergründen wollte, als ich beschloss, die Krokodiljagd für National Geographic zu dokumentieren.

Artenschutzkonzept für das Leistenkrokodil

Jaguar vs. Krokodil

1971 wurden Leistenkrokodile im Northern Territory unter Schutz gestellt. Der Erlass war Teil einer Regierungsstrategie, den Artenschutz über gewisse Anreize zu lenken. Eine festgelegte Menge an Eiern darf aus der Wildnis entnommen und zur Produktion von Krokodilleder ausgebrütet werden. Zusätzlich dazu darf eine festgelegte Menge an Tieren – darunter auch solche, die für Menschen zur Gefahr wurden – gejagt werden. Selbst mit diesen Maßnahmen zur Populationskontrolle haben sich die wilden Leistenkrokodile im Northern Territory beträchtlich vermehrt. Aus den 5.000 Tieren, die es Ende der Sechziger noch gab, sind mittlerweile schätzungsweise 100.000 geworden – eine Zahl, die Wissenschaftlern zufolge nahe an die ursprüngliche Populationsgröße heranreicht. Zum Vergleich: Vor 50 Jahren, zur Hochzeit der kommerziellen Jagd, schwammen die Einheimischen noch in den Flüssen und Lagunen der Region. Heute würde das niemand mehr wagen.

“1.200: Die Zahl der Leistenkrokodile, die pro Jahr im Northern Territory gejagt werden dürfen. Das entspricht weniger als 2 Prozent der Gesamtpopulation. Zusätzlich dürfen bis zu 90.000 Eier aus der Wildnis entnommen werden.”

Im Laufe von vier Jahren bin ich achtmal in das Northern Territory gereist und verbrachte mehrere Monate mit den professionellen Krokodiljägern auf diesem Foto: Roger Matthews links und Aaron Rodwell rechts. In dieser Zeit lernte ich mehrere Dinge. Beide Männer lieben Krokodile. Wenn sie eines töten, ist das für sie kein Grund zur Freude, auch wenn sie zugeben, dass sie dabei jedes Mal einen Nervenkitzel spüren. Die Gefahr für die Jäger ist in etwa so groß wie die Gefahr für das Krokodil. Die Jäger müssen nah an das Tier herankommen, da sie es nicht auf Entfernung erschießen können. Wenn der Schuss nicht perfekt sitzt – ungefähr ein Zentimeter hinter dem Ohr und direkt ins Gehirn –, wird das Krokodil abtauchen und unter Wasser zu Tode bluten, was für alle Jäger, die ich kenne, eine grauenvolle Vorstellung ist. Also riskieren die Jäger ihr eigenes Leben, um genau das zu verhindern.

Foto von NGM Maps

Jagd auf das „Problemkrokodil“

Das besagte Tier auf dem Foto war ein „Problemkrokodil“, wie es in offiziellen Kreisen heißt. Es hatte eine Aborigine-Frau in Arnhem Land angegriffen, die am Ufer eine Lagune Arafura-Warzenschlangen gesammelt hatte. Ihr Ehemann Samuel Nayinggul hatte die Entfernung des Tieres beantragt, und so hatte sich Aaron eine Notfallgenehmigung von der Wildtierbehörde geholt.

Die Jagd begann kurz vor Sonnenuntergang und dauerte ungefähr bis 3 Uhr morgens. Roger lenkte sein kleines Aluminiumboot durch die Lagune, während Aaron die Wasseroberfläche mit einem Halogenstrahler absuchten. Samuel diente als Führer. Ich saß auf der Rückbank des Bootes. Vier Stunden nach Beginn der Suche entdeckten sie das Krokodil endlich. Aaron traf es mit einer selbstgebauten Harpune an einer Schnur, aber das Krokodil schüttelte den Haken ab und tauchte unter. Eine weitere Stunde verging.

Dann sagte mir Roger, dass ich mich hinsetzen sollte. Aaron begab sich an den Bug des Bootes und stand dort, in der einen Hand den Scheinwerfer und in der anderen seine improvisierte Waffe. Die Harpune war nicht dazu gedacht, das Tier zu töten, sondern sollte sich nur an ihm festhaken. Aaron richtete den Scheinwerfer auf das Krokodil, während Roger das Boot langsam vorwärtssteuerte. Als wir uns dem Tier auf etwa einen Meter angenähert hatten, stieß ihm Aaron die Harpune in den Nacken. Das machte das Krokodil so richtig wütend. Das Boot machte einen Ruck zur Seite, sodass Aaron das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel.

“Was dann geschah, wirkte wie eine Szene aus einem Hollywood-Film: Das Krokodil begann, das Boot zu ziehen.”

Was dann geschah, wirkte wie eine Szene aus einem Hollywood-Film: Das Krokodil begann, das Boot zu ziehen – nicht sehr schnell oder heftig, aber genug, um seine Stärke zu demonstrieren. Es zog uns mehr als zwei Stunden durch die Lagune. Als es schlussendlich wiederauftauchte, war es eindeutig erschöpft. Roger schnappte sich ein Seil, das er um seine Schnauze wickeln wollte, um das Tier zu bändigen.

Wieder hatte das Krokodil andere Pläne. Es stürzte sich auf das Boot, biss in dessen Seite und schüttelte unser mehr als fünf Meter langes Gefährt wie ein Hund sein Spielzeug. Aber wir hatten Glück: Das Boot überstand den Angriff und wir landeten nicht im Wasser. Nach einem langen Kampf mit dem Seil gelang es Roger und Aaron schließlich, den Kopf des Krokodils auf die Seitenwand des Bootes zu ziehen. Roger umwickelte die Schnauze des Tieres mit Panzertape. Als das Krokodil gesichert war, legten sie ein Stück Stoff über seine Augen, um es zu beruhigen. Roger beendete das Leben des Tieres mit einem Revolver. Ich verspürte ein überwältigendes Gefühl der Trauer ob der Tatsache, dass dieses prächtige Geschöpf nun tot war.

Im Tod kann neben einer großen Tragik auch eine gewisse Schönheit liegen. Ich habe viel Zeit darauf verwendet, ein Foto zu machen, das genau das zeigt. Ich weiß, dass mir das nicht gelungen wäre, wenn Roger oder Aaron glücklich oder triumphierend gewirkt hätten. Das haben sie aber nicht. Stattdessen erlebten wir alle einen gemeinsamen Moment der unheimlichen Stille.

Nachdem ich das Foto aufgenommen hatte, wurde das Krokodil zerteilt. Roger und Aaron entfernte seinen Kopf, seine Haut und seinen Schwanz. Aaron salzte die Haut, rollte sie ein und legte sie zusammen mit dem Kopf in eine Kühltruhe. Später wurde der Kopf in Darwin, der größten Stadt im Northern Territory, chemisch behandelt, um das Fleisch von den Knochen zu trennen. Der Schädel wurde für etwa 2.500 Dollar verkauft. Die Haut ging an eine Gerberei in South Australia und brachte etwa 5.000 Dollar. Das war Aarons und Rogers Bezahlung.

Der Mann, der um die Entfernung des Tieres gebeten hatte, konnte wieder ruhig schlafen – und bekam den Schwanz des Krokodils für sein Fleisch.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

Krokodile

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