Die letzten Riesen unserer Flüsse und Seen verschwinden

Der Bestand der größten Süßwassertiere der Welt ist in 40 Jahren um fast 90 Prozent geschrumpft.

Von Stefan Lovgren
Veröffentlicht am 21. Aug. 2019, 13:47 MESZ
Eine Rundschwanzseekuh schwimmt inmitten blaugrüner Algen, die Floridas Wasserwege zu ersticken drohen und die lokalen Süßwasserarten gefährden.
Foto von Paul Nicklen, Nat Geo Image Collection

Einige von ihnen existieren schon seit hunderten Millionen Jahren. Aber manche Arten der weltweiten Süßwasser-Megafauna – darunter auch gewaltige Rochen, Riesenwelse, massige Schildkröten und riesige Salamander – könnten bald an den Rand der Auslöschung getrieben werden, wie es in einer aktuellen Studie heißt.

Zum ersten Mal haben Forscher den globalen Rückgang der Süßwasser-Megafauna – zu der auch Fische, Reptilien, Amphibien und Säugetiere gehören – in Zahlen ausgedrückt. Die Ergebnisse zeichnen ein düsteres Bild: In den vier Jahrzehnten seit 1970 ist der globale Bestand dieser Süßwasserriesen um fast 90 Prozent geschrumpft. Das ist doppelt so viel wie bei den Wirbeltierpopulationen an Land oder im Meer.

Ein schwarzer Schwan schwimmt auf einem See voller Kois.
Foto von Tyrone Turner, Nat Geo Image Collection

Große Fischarten wie Störe, Lachse und Riesenwelse sind besonders bedroht. Ihre Bestände gingen um 94 Prozent zurück. Auch die meisten großen Süßwasserreptilien und viele Säugetierarten stecken in der Krise. Der Chinesische Flussdelfin wird wahrscheinlich die erste Delfinart werden, die vom Menschen ausgerottet wird. Der chinesische Schwertstör, der bis zu sechs Meter lang werden kann, wurde seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr gesichtet. Auch von anderen Arten könnten derzeit die letzten Exemplare der Welt in unseren Flüssen und Seen schwimmen.

„Das ist eine Krise gewaltigen Ausmaßes, die weitgehend aber gar nicht wahrgenommen wird“, sagt Zeb Hogan, ein Fischbiologe der University of Nevada in Reno und ein National Geographic Explorer, der die Krise der großen Süßwasserfische seit zwei Jahrzehnten erforscht.

BELIEBT

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    Für Hogan, der an der Studie mitgeschrieben hat, die in „Global Change Biology“ erschien, unterstreicht die problematische Geschichte der großen Fische die Umweltkrise, unter der schon heute zahlreiche Flüsse und Seen auf der ganzen Welt leiden. „Sobald die größten Tiere verschwinden, ist das eine Warnung, dass wir schnell etwas unternehmen müssen, um die Gesundheit der Ökosysteme unserer Flüsse und Seen zu verbessern“, sagt er.

    Ein Europäischer Biber läuft an einem Flussufer im französischen Grenoble entlang. Er gehört zu den wenigen großen Süßwasserarten, deren Population wächst. Mittlerweile haben die Biber viele Gebiete zurückerobert, aus denen sie einst verschwunden waren.
    Foto von Laurent Geslin, Nature Picture Library
    Flusspferde sind durch Wilderei und den Verlust ihres Lebensraumes bedroht. Sie sind auf große Süßwasservorkommen angewiesen, um die sie jedoch zunehmend mit Menschen und der Landwirtschaft konkurrieren müssen.
    Foto von Michael Nichols, Nat Geo Image Collection
    Der Letschwe zählt zu den am stärksten auf Wasser angewiesenen Antilopenarten. Er lebt in Feuchtgebieten und ernährt sich hauptsächlich von Sumpfgräsern.
    Foto von Beverly Joubert, Nat Geo Image Collection

    Die Riesen der Flüsse und Seen

    Insgesamt sind die Süßwasserökosysteme schlechter erforscht als ihre marinen Gegenstücke – und das, obwohl in ihnen ein Drittel aller Wirbeltierarten und fast die Hälfte aller weltweiten Fischarten heimisch sind. Während der Populationsrückgang für große Land- und Meereswirbeltiere gut dokumentiert ist, gab es bisher nur wenige globale Studien zu großen Süßwasserarten.

    Für ihre Studie trug ein Team internationaler Forscher Populationsdaten von 126 der 207 Süßwasserarten zusammen, die mindestens 30 Kilogramm wiegen. Die Daten wurden im Zeitraum von 1970 bis 2012 gesammelt und stützen sich teilweise auf den Living Planet Index – eine Datenbank, die von der Zoological Society of London in Kooperation mit dem WWF verwaltet wird. Anhand dieser Informationen errechneten Forscher einen 88-prozentigen Rückgang großer Süßwassertiere.

    Der Hauptautor der Studie Fengzhi He, ein Süßwasserökologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin, wies darauf hin, dass die öffentliche Wahrnehmung der Biodiversitätskrise in den Süßgewässern eher begrenzt ist. Viele Menschen wissen nicht einmal von der Existenz dieser großen Tiere. „Die sind nicht wie Tiger, Pandas, Löwen oder Wale – also jene Arten, die in den Medien und der Schule viel Aufmerksamkeit erhalten“, sagt er.

    Der Riesenotter lebt in den langsam fließenden Flüssen, Seen und Sümpfen des Amazonasbeckens. Durch die Zerstörung seines Lebensraums, Überfischung und die Wasserverschmutzung durch Bergbau und andere menschlichen Aktivitäten gilt die Art mittlerweile als stark gefährdet.
    Foto von Karine Aigner, Nat Geo Image Collection
    Brillenkaimane wurden für ihre Haut einst stark gejagt. Mittlerweile stabilisiert sich ihre Population wieder.
    Foto von Luciano Candisani, Nat Geo Image Collection
    Durch die intensive Bejagung von Nilkrokodilen in der Mitte des 20. Jahrhunderts starb die Art fast aus. In manchen Gegenden hat sich ihr Bestand erholt, aber die Zerstörung ihres Lebensraums, die Verschmutzung des Wassers und Konflikte mit Menschen stellen nach wie vor eine Bedrohung für die Tiere dar.
    Foto von Richard du Toit, Minden Pictures, Nat Geo Image Collection

    Zu den größten Bedrohungen für die großen Süßwasserfische zählen Überbeanspruchung und die Verschlechterung ihres Lebensraums, sagt He. Viele der Tiere werden für ihr Fleisch, ihre Haut oder ihre Eier gejagt. Besonders große Fische sind beispielsweise durch Dämme gefährdet, die ihre Wanderrouten blockieren und ihren Zugang zu den Laichgründen beschränken. Große Tiere erreichen ihre Geschlechtsreife oft später und haben geringere Reproduktionsraten, weshalb sie stärker gefährdet sind.

    Ärger im Mekong

    Laut der Studie sind jene Faunenregionen mit dem größten Rückgang der Süßwasser-Megafauna Orientalis (99 Prozent) und die Paläarktis, zu der Europa, Nordafrika und Nordasien gehören (97 Prozent). Die kritischste Region könnte Hogan zufolge aktuell in Südostasien liegen. Besonders schlimm stehe es um den Mekong, der durch China, Myanmar, Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam fließt. Mehr als 1.000 Arten von Süßwasserfischen leben im Mekong, darunter viele der weltweit größten Arten. Der Mekong-Riesenwels ist beispielsweise der derzeitige Rekordhalter für den größten je gefangenen Süßwasserfisch – das entsprechende Exemplar wog 293 Kilogramm.

    Hogan selbst hat seit 2015 keinen Mekong-Riesenwels mehr in der Wildnis gesehen. Bereits bestehende und noch geplante Dämme am Fluss könnten sich als Sargnagel für die Art erweisen. Er und andere Forscher sind sich nicht sicher, welche ökologischen Konsequenzen das Verschwinden solcher Fische nach sich ziehen wird. Aber im Falle des Mekong könnten sie die Nahrungs- und Lebensgrundlage zahlreicher Menschen gefährden, die am Ufer des Flusses leben.

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    Inmitten dieser düsteren Befunde gab es aber auch einen kleinen Lichtblick: Der Studie zufolge haben sich die Populationen von 13 Arten der globalen Süßwasser-Megafauna stabilisiert oder sind sogar gewachsen. Zu ihnen gehören der Grüne Stör und der Kanadische Biber in den USA. In Europa ist der Europäische Biber in vielen Regionen zurückgekehrt, aus denen er einst verschwunden war. Und in Kambodscha ist die Populationen der Irawadidelfine zum ersten Mal in 20 Jahren wieder gewachsen.

    „Wir wollen nicht, dass das hier nur als Untergangsszenario verstanden wird“, sagt He. „Wir wollen die Leute über diese Biodiversitätskrise aufklären, ihnen aber auch zeigen, dass noch Hoffnung darauf besteht, diese großen Süßwasserarten zu schützen – das ist möglich.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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