Kaltblütige Nekrophilie: Warum paaren sich Echsen mit Toten?

Im Tierreich wurde ein solches Verhalten bereits bei mehreren Arten beobachtet – und ein Tier hat damit sogar Erfolg.

Von Agata Blaszczak-Boxe
Veröffentlicht am 28. Aug. 2019, 17:16 MESZ
Ein männlicher Schwarzweißer Teju öffnet das Maul und versucht, sich mit einem Weibchen zu paaren, das ...
Ein männlicher Schwarzweißer Teju öffnet das Maul und versucht, sich mit einem Weibchen zu paaren, das seit zwei Tagen tot ist.
Foto von Ivan Sazima

Als der Zoologe Ivan Sazima an einem warmen Septembertag 2013 in einem Park im Südosten Brasiliens spazieren ging, hoffte er durchaus auf ein paar interessante Tierbeobachtungen.

Womit er nicht gerechnet hatte, war ein Fall von Echsen-Nekrophilie. Plötzlich sah er genau vor sich ein männliches Reptil, das versuchte, sich mit einem toten Weibchen derselben Art zu paaren. Bei den Tieren handelte es sich um Schwarzweiße Tejus (Salvator merianae).

„Ich war fasziniert, weil ich ein solches Verhalten noch nie bei Echsen beobachtet hatte, nur bei Fröschen“, sagte Sazima, der am Zoology Museum der University of Campinas in São Paulo arbeitet.

Nekrophilie wurde durchaus schon bei anderen Arten von Echsen dokumentiert. Dies war allerdings der erste belegte Fall, bei dem Schwarzweiße Tejus involviert waren – eine der häufigsten Echsen in Südamerika.

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Sazima beobachtete, wie das Männchen in Richtung des toten Weibchens züngelte – ein typisches Balzverhalten – und etwa fünf Minuten lang versuchte, sich mit ihm zu paaren. Dann tauchte eine Schar Gänse auf und verscheuchte den Verehrer.

Am nächsten Nachmittag kehrte der Wissenschaftler zurück. Mittlerweile war der Kadaver aufgedunsen und hatte begonnen, zu verrotten und zu stinken.

BELIEBT

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    Das hielt einen anderen männlichen Schwarzweißen Teju jedoch nicht davon ab, Paarungsversuche mit dem toten Weibchen zu unternehmen – dieses Mal fast eine Stunde lang.

    Während dieser Zeit umarmte das neue Männchen das tote Weibchen von oben und biss ihm in den Kopf – ebenfalls ein Balzverhalten. Von Zeit zu Zeit legte er auf dem Kadaver eine kleine Pause ein, um sich von seinen erschöpfenden Aktivitäten zu erholen. Schlussendlich züngelte er noch einmal und verschwand dann, wie in der Studie beschrieben wird, die im Fachmagazin „Herpetology Notes“ erschien.

    Leichenbräute

    Sazimas Beobachtungen erweitern eine Liste verschiedener anderer Berichte über Nekrophilie im Tierreich.

    Henrique Caldeira Costa von der Federal University of Minas Gerais im brasilianischen Belo Horizonte berichtete 2010 von Nekrophilie bei männlichen Grünen Ameiven (Ameiva ameiva) in Brasilien. Das tote Weibchen war vermutlich durch einen Zusammenstoß mit einem Fahrzeug auf der Straße verstorben, wie er in „Herpetology Notes“ berichtete.

    Einen weiteren Vorfall beschrieb Kamelia Algiers, eine Biologin am Ventura College in Kalifornien, in „Herpetological Review“. Sie beobachtete einen Leopardleguan der Art Gambelia wislizenii im US-Bundesstaat Nevada, der versuchte, sich mit einem überfahrenen Weibchen zu paaren, deren „Innereien hervorquollen und das von Ameisen befallen war“, sagte Algiers.

    Nekrophilie beschränkt sich aber nicht auf Reptilien oder Amphibien. Auch Enten, Pinguine, Seelöwen, Tauben und Echte Erdhörnchen wurden schon in flagranti ertappt.

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    Weshalb aber paaren sich manche Echsenmännchen überhaupt mit den Kadavern ihrer weiblichen Artgenossen? Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Beobachtungen „weiß man noch immer sehr wenig über Nekrophilie bei Echsen“, sagte Costa, der an der Studie über die Tejus nicht beteiligt war. 

    Sazima, der den schwarzweißen Echsen, die anscheinend blind vor Liebe waren, im Park begegnet ist, hat eine Theorie zu den Ursachen für ihr Verhalten: Womöglich dachten die Männchen tatsächlich, dass das Weibchen noch am Leben war.

    Einerseits war das tote Tier noch warm, denn seine Körpertemperatur ähnelte vermutlich der warmen Umgebungstemperatur. Außerdem konnten die männlichen Verehrer vermutlich noch immer die Pheromone des Weibchens wahrnehmen.

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    Costa von der Federal University hält das ebenfalls für eine mögliche Erklärung und vermutet, dass die hohe Körpertemperatur und die Pheromone auch die nekrophile Echse erklären könnten, die er 2010 selbst beschrieben hat.

    Spannenderweise scheint sich Nekrophilie zumindest für eine Art auszuzahlen: einen kleinen Frosch namens Rhinella proboscidea im brasilianischen Amazonas.

    Eine Studie aus dem Jahr 2013 hat gezeigt, dass die Männchen der Art ihren toten Geschlechtspartnerinnen Eizellen entnehmen und sie befruchten können. Einen solchen Vorgang bezeichnet man als funktionale Nekrophilie.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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