Warum niemand weiß, wie viele Löwen es in Afrika noch gibt

Die Zählung von Löwen ist überraschend schwierig. Aber eine neue Methode verspricht nun größere Klarheit. Ein wichtiger Faktor: Schnurrhaare.

Von Douglas Main
bilder von Alexander Braczkowski
Veröffentlicht am 7. Sept. 2020, 15:50 MESZ
Eine Löwin sitzt auf einer Baumgabel im Queen-Elizabeth-Nationalpark in Uganda. Da die Zahl der Löwen rapide ...

Eine Löwin sitzt auf einer Baumgabel im Queen-Elizabeth-Nationalpark in Uganda. Da die Zahl der Löwen rapide abnimmt, ist es nach Ansicht der Forscher von entscheidender Bedeutung, klare und genaue Populationsschätzungen zu haben, um die Schutzbemühungen steuern zu können.

Foto von Alexander Braczkowski

Der Bestand der wilden afrikanischen Löwen hat einen erschreckenden Rückgang zu verzeichnen – so viel ist klar. In den letzten 120 Jahren sind die Großkatzen aus weit über 90 Prozent ihres historischen Verbreitungsgebiets in Afrika verschwunden. Und allein in den letzten 25 Jahren ist ihr Bestand um etwa die Hälfte geschrumpft.

Doch wie viele Löwen gibt es noch in Afrika? Die Antwort ist überraschend ungenau. Die am häufigsten zitierte Schätzung liegt bei 20.000, aber viele Löwenforscher fühlen sich mit dieser Zahl nicht ganz wohl.

Sie „basiert weitgehend auf Vermutungen und nicht auf Wissenschaft“, sagt Nic Elliot, Löwenforscher an der University of Oxford. „Wir wissen einfach nicht, wie viele Löwen es in Afrika gibt.“

Forscher und Ranger legen einem männlichen Löwen im Queen-Elizabeth-Nationalpark ein neues Satellitenhalsband um. Die Halsbänder liefern Daten über die Bewegungen der Löwen, was dazu beitragen kann, Konflikte mit Viehzüchtern zu vermeiden. Solche Informationen dienen auch als Orientierung für weitere Forschungen zur Überwachung der Population.

Foto von Alexander Braczkowski

Löwen sind schwer zu zählen, da sie eine geringe Bestandsdichte haben, meist nachts aktiv sind, in ihrer Umgebung gut getarnt sind und sich mitunter vor Menschen verstecken – insbesondere dort, wo es häufig zu Wilderei kommt.

Eine genaue Zählung ist aber von entscheidender Bedeutung. Damit Artenschutz wirksam ist, sind verlässliche Populationsschätzungen über einen längeren Zeitraum nötig. Solche Zahlen vermitteln einen Eindruck vom Ausmaß, der Dringlichkeit und den geografischen Bereichen des Rückgangs einer Art sowie für die möglichen Ursachen.

Man müsse wissen, dass es ein Problem gibt und wie es aussieht, bevor man es lösen kann, sagt Alexander Braczkowski. Der Forscher arbeitet am Resilient Conservation Laboratory der Griffith University in Queensland, Australien.

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    Mit einer relativ neuen Technik könne man Warnzeichen besser erkennen und Löwenpopulationen genauer schätzen, argumentieren Elliot, Braczkowski und andere Wissenschaftler in einem Beitrag in „Frontiers in Ecology and Evolution“. Sie wird als spatially explicit capture-recapture (dt.: räumlich expliziter Fang und Wiederfang) oder SECR bezeichnet und bereits routinemäßig für die Zählung anderer Großkatzenarten verwendet. Die Technik nutze Feldbeobachtungen, um ein detailliertes Bild der geschätzten Größe, Dichte und Bewegungsmuster einer Population zu erstellen, sagt Braczkowski. Darüber hinaus kann sie es den Wissenschaftlern ermöglichen, den Entwicklungsverlauf von Löwenpopulationen in einem Detailgrad zu verfolgen, der mit älteren Methoden oft nicht möglich ist.

    Der Ansatz hat sich jedoch bei den Löwenforschern nur langsam durchgesetzt. Er sei zeitintensiver und funktioniere nur bei eigenständigen Löwenpopulationen, die fotografiert werden können, sagen Forscher, die dem Ansatz kritisch gegenüberstehen.

    argumentieren Baczkowski, Elliot und Kollegen in ihrem Beitrag. Die traditionelleren Methoden „können oft falsche Trends in der Populationsdynamik von Löwen erzeugen, die [...] Investitionen in den Naturschutz fehlleiten können“.

    Löwenspuren und Beuteschreie

    In den 1970ern und 1980ern lockten Forscher Löwen oft mit Ködern an, bevor sie sie mit einem Schuss betäubten und mit einem heißen Eisen markierten. Das Brandmal zeigte an, dass sie gezählt worden waren, und half dabei, sie bei künftigen Sichtungen zu identifizieren.

    „Diese Technik ist immer noch eine der besten, um ein relativ begrenztes Gebiet zu überwachen. Aber heutzutage wäre sie eher verpönt“, sagt Paul Funston, der die Löwenforschung für Panthera leitet, eine globale Organisation zur Erhaltung von Wildkatzen.

    Häufiger sind heute Rufzählungen und Spurenzählungen. Bei der ersten fährt man in den Busch und spielt über Lautsprecher Hilferufe einer Beutetierart ab, zum Beispiel eines Kaffernbüffels. Dann wird notiert, wie viele Löwen auftauchen. Die zweite besteht darin, Löwenspuren entlang einer Reihe von Transekten zu zählen.

    Die beiden kostengünstigen Techniken können in einem großen Gebiet eingesetzt werden, aber sie seien „sehr ungenau“, sagt Andrew Loveridge, ein Löwen-Experte der Wildlife Conservation Research Unit.

    „Beide Methoden weisen schwerwiegende methodische Mängel auf und sind statistisch gesehen ziemlich schwach“, sagt Elliot. Löwen können dabei doppelt gezählt werden, und die Methoden erfordern laut Elliot zum Beispiel Annahmen darüber, wie weit der Schall wandert, wie wahrscheinlich es ist, dass Löwen darauf reagieren oder wie sich Löwen in ihrer Umgebung bewegen.

    Aber der Ökologe Frans Radloff von der Cape Peninsula University of Technology in Südafrika verteidigt ihren Einsatz unter bestimmten Umständen, ebenso wie Funston. Wenn sie richtig eingesetzt werden – zum Beispiel in Gebieten, in denen bekannt ist, wo man Löwenspuren finden kann –, können sie vernünftige Schätzungen des Löwenbestands liefern, sagt Radloff.

    (Löwenrudel frisst in Südafrika drei Wilderer.)

    Wie erkennt man ein Löwengesicht?

    Elliot und Braczkowski beharren jedoch darauf, dass SECR die bessere Methode sei: Sie sei präziser, weniger anfällig für Über- oder Unterschätzungen und ermögliche es den Wissenschaftlern, sich ein veränderliches Bild einer Population zu machen, das auch Trends abbildet.

    Damit das gut funktioniert, brauchen die Wissenschaftler jedoch eine Möglichkeit, einzelne Tiere zu erkennen, sagt Braczkowski, ein National Geographic Explorer. Bei Tigern zum Beispiel hat jedes Tier ein einzigartiges Streifenmuster, sodass Forscher sie leichter voneinander unterscheiden können. Im Falle von Löwen fotografieren die Forscher die Individuen entweder aus einem Fahrzeug heraus oder mit Hilfe von Kamerafallen und untersuchen ihre Gesichter auf unverwechselbare Markierungen.

    Ein junger Löwe, der einen Wasserbock frisst, löst eine ferngesteuerte Kamerafalle aus. Indem sie hochauflösende Fotos von Löwengesichtern mit jeweils einzigartigen Schnurrhaar-Markierungen sammeln, können die Forscher eine Datenbank aufbauen, die es ihnen ermöglicht, einzelne Löwen zu identifizieren. Damit die SECR-Arbeit gut funktioniert, sind solche Identifizierungsmöglichkeiten entscheidend.

    Foto von Alexander Braczkowski

    Sechs Monate alte Junglöwen ruhen sich in einem Baum aus. Auch wenn sich die Wissenschaftler über die besten Methoden zur Zählung von Löwen uneinig sind, so stimmen sie doch in einem Punkt alle überein: Ihr Bestand ist rückläufig.

    Foto von Alexander Braczkowski

    Nachdem die Forscher im Laufe der Zeit einen großen Katalog mit GPS-getaggten Bildern zusammengestellt haben, verwendet die SECR-Modellierungstechnik diese Informationen, um die Bestandsdichte, die Gesamtpopulation und andere Parameter mathematisch zu schätzen.

    SECR wurde bereits mehrfach erfolgreich zur Zählung von Löwen eingesetzt. So hat sich Braczkowski beispielsweise mit Musta Nsubuga, einem Biologen der Wildlife Conservation Society, und anderen Forschern zusammengetan, um 2017 und 2018 die Anzahl der Löwen in Ugandas Queen-Elizabeth-Nationalpark zu schätzen. Über drei Monate hinweg fuhren sie um die 8.000 Kilometer weit durch das Gebiet und fotografierten die Gesichter der Löwen.

    Durch die wissenschaftliche Notierung des Aufenthaltsortes jedes einzelnen Tiers zu einem bestimmten Zeitpunkt ermöglichte SECR die Bestimmung der Gesamtpopulation: 71. Diese Forschung, deren Ergebnisse im Sommer 2020 in „Ecological Solutions and Evidence“ veröffentlicht wurde, liefert auch neue Informationen über ihr Verbreitungsgebiet. Männchen zum Beispiel streifen jetzt über ein Gebiet, das fünfmal größer ist als noch vor einem Jahrzehnt – wahrscheinlich, weil sie weiter reisen müssen, um Nahrung zu finden. Es scheine, dass die Zahl der Beutetiere durch die vermehrte Jagd auf Buschfleisch in dem Gebiet zurückgegangen ist, sagt Braczkowski. Diese Erkenntnis wäre mit älteren Techniken wahrscheinlich nicht möglich gewesen, fügt er hinzu.

    Einigen Forschern zufolge sind traditionelle Techniken aber noch immer nützlich, wenn sie richtig gehandhabt werden, und neuere Techniken sind auch nicht überall geeignet. In der Tat ist SECR am einfachsten, wenn man sich einzelnen Tieren mit Kameras nähern oder sie mit Kamerafallen fotografieren kann.

    „Es gibt nicht den einen Ansatz, der überall passt. Löwen können nicht in ganz Afrika auf dieselbe Weise gezählt werden, da jedes Gebiet einzigartig ist“, sagt Radloff. „Die einzige Möglichkeit, eine Schätzung der in Afrika noch verbliebenen Löwen zu erhalten, besteht darin, alle [wissenschaftlich gültigen] Techniken anzuwenden.“

    Was den Gesamtbestand der Löwen anbelangt, so sind sich die Forscher einig, dass eine absolut genaue Zahl weniger wichtig ist als die Frage, ob die Zahl der Löwen steigt oder sinkt. Und derzeit glaubt niemand, dass der Populationstrend nach oben geht. „Was Ihre Frage betrifft, wie viele Löwen es in Afrika noch gibt, kann ich nur den Schluss ziehen, dass es nicht genug sind“, so Radloff.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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