Guter Riecher: Hunde können Coronaviren erschnüffeln

Hunde können riechen, ob ein Mensch einen zu niedrigen Blutzucker hat oder sich ein Krampfanfall anbahnt. Die Riechspezialisten, auch Makrosmaten genannt, können sogar Krebs erschnüffeln. Jetzt sollen sie lernen, auch das Coronavirus aufzuspüren.

Von Jillian Kramer
bilder von Sabina Louise Pierce
Veröffentlicht am 21. Mai 2021, 12:19 MESZ, Aktualisiert am 21. Mai 2021, 15:26 MESZ
Münsterländer erschnüffelt Coronavirus

Toby, ein kleiner Münsterländer, tapst um ein Metallgestell herum. Er sucht nach dem Behälter, in dem ein T-Shirt steckt. Ein T-Shirt, das zuvor eine auf das Coronavirus positiv getestete Person anhatte. „Auch hier war Toby wieder – wie so oft in unseren Studien – eine Art Superstar: Er spürt Gerüche einfach superschnell auf“, sagt Tobys Pflegerin Jennifer Esslert. Sie arbeitet als Postdoktorandin im Working Dog Center, dem Hundetrainingszentrum der University of Pennsylvania. Hunde lernen dort, das Virus zu erschnüffeln.

Foto von Sabina Louise Pierce

Tuuka spielt gern Frisbee. Griz ist ganz verliebt in seinen orangenen Knautschball. Er macht gerne mal ein Nickerchen oder bellt vorbeifahrende Autos an. Aber der Schein trügt, denn diese vermeintlich gewöhnlichen Pelznasen haben eine außergewöhnliche Begabung: Sie gehören zu einem Rudel Forschungshunde, das den speziellen Geruch des Erregers SARS-CoV-2 erschnüffeln kann, dem Auslöser für COVID-19.

Als das Virus begann, sich weltweit auszubreiten, stellten Wissenschaftler schnell Methoden wie PCR-Tests (beruhend auf der Polymerase-Kettenreaktion) bereit, um das Coronavirus im Menschen zu identifizieren. Währenddessen arbeitete ein Forschungsteam im veterinärmedizinischen Institut der University of Pennsylvania an einer alternativen Form des Coronatests: In einer Studie, deren Ergebnisse im April 2021 veröffentlicht wurden, prüften die Forschenden, ob Hunde den Geruch des Coronavirus allein über menschlichen Schweiß in getragenen T-Shirts erkennen können. Wenn das den Tieren gelänge, wäre es denkbar, sie an Orten wie Flughäfen und Fußballstadien patrouillieren zu lassen, so wie es schon mit Drogenhunden gemacht wird.

„Die große Frage ist, ob wir es in der Praxis umsetzen können“, erklärt Cynthia Otto, eine der Hauptautorinnen der Studie und Leiterin des veterinärmedizinischen Working Dog Center der University of Pennsylvania. „Können Hunde Menschen screenen? Ich glaube es gibt einen potenziellen Nutzen.“

Die Leiterin des Hundetrainingszentrums arbeitet gerade mit dem Deutschen Schäferhund Rico. Otto glaubt, dass Hunde darauf trainiert werden können, eines Tages Covid-19 an öffentlichen Plätzen aufzuspüren.

Foto von Sabina Louise Pierce

Der Geruch von Schweiß

Schätzungen zufolge ist der Geruchsinn von Hunden dem der Menschen um das 1.000- bis 10.000-fache überlegen. Somit eignen sich die Tiere für alle denkbaren Aufgaben. Sie können die ersten Anzeichen einer Parkinsons-Erkrankung erschnüffeln und riechen, ob jemand Diabetes, Malaria oder eine Krebserkrankung hat oder sich ein Krampfanfall anbahnt. Und nicht nur das: Hunde unterstützen Such- und Rettungsteams bei der Suche nach Opfern von Naturkatastrophen und werden bei Militäreinsätzen eingesetzt, um versteckten Sprengstoff aufzuspüren. Auch Zollbeamte arbeiten mit den Vierbeinern zusammen, um Schmuggelware zu finden, seien es Drogen oder Elfenbein. Sie sind im Stande, Wilderer aufzuspüren, Frachtschiffe nach Ratten abzusuchen und sind in der Lage, gefährdete oder invasive Tierarten zu erschnuppern.

Forschende der University of Pennsylvania begannen Anfang 2020, Hunde auf das Aufspüren des Coronavirus in Urin- und Speichelproben zu trainieren. Im November kam dann Schweiß hinzu. Alles beginnt damit, dass der Hund an positiven Proben riecht und dann mit einem Leckerli belohnt wird. Verbindet der Vierbeiner den Geruch des Virus mit etwas Positivem, ist er so weit, an den offiziellen Studien teilzunehmen.

BELIEBT

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    In einer dieser Studien platzieren die Forscher T-Shirts in Behältern, die mit luftdurchlässigen Netzen abgedeckt werden.  Einige Shirts sind sauber, andere wiederum verschwitzt oder mit Substanzen wie Franzbrandwein aromatisiert. In einem Behälter befindet sich ein T-Shirt, das von einer Person getragen wurde, die bis zu zwei Tage zuvor positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Die Forschungshunde laufen so lange von Behälter zu Behälter, bis sie die Positivprobe gefunden haben.

    In der April-Studie, in der Urin und Speichel eingesetzt wurden, konnten die Hunde das Virus mit 96-prozentiger Sicherheit erschnüffeln, so Otto. Auch wenn die aktuelle Studie mit T-Shirts und Schweiß noch läuft, berichtet die Forscherin schon von erstaunlichen Erfolgen.

    Roxie ist die schnellste Hündin im Rudel. In weniger als 12 Sekunden kann sie das Gestell mit den Behältern umrunden und eine Positivprobe aufspüren. Rico, ein eher versonnener Vierbeiner, braucht im Vergleich etwa 23 Sekunden, um das richtige T-Shirt ausfindig zu machen.

    Sportmedizinerin und Reha-Assistenzärztin Meghan Ramos arbeitet auch im Working Dog Center. Sie entnimmt einen Abstrich aus Tuukas Mund während Pflegepatin Essler sie festhält. Tuuka steht am Anfang ihrer Schnüffelkarriere. „Es war schon lustig zu sehen, wie sie sich da durchkämpft. Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem normalen Erschnuppern des Hauses und dem Aufspüren von Covid-19. So als müsste man statt einfachen Matheübungen plötzlich Integralrechnung bewältigen“, erklärt Essler.

    Foto von Sabina Louise Pierce

    Bevor es mit der Studie losgeht, werden den Hunden Blut- und Speichelproben entnommen, um sicherzugehen, dass sie sich nicht mit dem Coronavirus infiziert haben.

    Foto von Sabina Louise Pierce

    Die umtriebige gelbe Labrador-Hündin Roxie spielt erst einmal, bevor es mit dem Experiment losgeht. „Sie braucht das Spielen vor den Aufgaben, weil sie voller Energie steckt“, sagt Amritha Mallikarjun, eine weitere Postdoktorandin im Hundetrainingszentrum.

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    Spürhunde im Einsatz

    Hunde spüren das Coronavirus auf, weil sie die flüchtigen organischen Verbindungen riechen – die chemischen Substanzen, die im Stoffwechselprozess des Menschen, in körperlichen Abfallprodukten wie Urin, Speichel und Schweiß ausgeschieden werden.

    Diese Verbindungen sind wie „der Fingerabdruck einer Krankheit“, sagt Mallikarjun. Während menschliche Nasen diese Substanzen nicht ausmachen können, haben die der Hunde einen außerordentlich ausgeprägten Geruchssinn: Zusätzlich zu den vielen Riechrezeptoren sind ihre Nasenflügel mit Duzenden von vernetzten Seitenwegen ausgestattet, in denen Gerüche länger verweilen und gefiltert werden, bevor sie an das Gehirn weitergeleitet werden. „Da drinnen ist viel Platz, in dem die Luft zirkulieren und aufgenommen werden kann“, sagt Mallikarjun über die Rezeptoren der Hundenase.

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    Genau wie menschliche Babys nutzen auch Hunde nonverbale Kommunikation, um zu bekommen, was sie wollen.

    In anderen Teilen der Welt wie beispielsweise Großbritannien und Frankreich wurden ähnliche Studien durchgeführt oder laufen noch. So berichtete Dominique Grandjean, ein Tierarzt und Professor an der Veterinärmedizinischen Hochschule im französischen Alfort, dem National Geographic-Team, dass er damit beginnen würde, zu erforschen, ob Hunde auch die verschiedenen Varianten des Coronavirus erschnüffeln können. Grandjean hatte bereits in einer eigenen Studie herausfinden können, dass Hunde Schweißproben von positiv- und negativ-getesteten Menschen unterscheiden können. Und auch in Finnland wurden Pelznasen schon am Flughafen Helsinki-Vantaa eingesetzt, um infizierte Reisende ausfindig zu machen.

    Einige Verfechter von Covid-19-Spürhunden glauben sogar, dass die Arbeit der Tiere andere langwierige Eindämmungsmaßnahmen wie PCR-Tests, die einen Nasen- oder Mundabstrich erfordern, ersetzen könnte.

    Hunde, die darauf trainiert wurden, das Virus im Schweiß zu erkennen, könnten durch Menschenansammlungen geführt werden und Infizierte schnell und reibungslos erriechen, glaubt Mallikarjun. Wissenschaftliche Studien belegen, dass SARS-CoV-2 nicht durch Schweiß auf Menschen oder Tiere übertragen werden kann.

    Die besondere Fähigkeit der Tiere könnte auch genutzt werden, um mechanische Nasen zu produzieren und zu programmieren: Elektronische Apparate, die ähnlich wie Atemtestgeräte eingesetzt werden könnten, um Menschen zu scannen und Covid-19 festzustellen, fügt sie hinzu.

    Tuuka, eine Mischung aus Deutschem Schäferhund, Husky und Border Collie, übt das Erspüren des Virus am Gestell.

    Foto von Sabina Louise Pierce

    Für die Studie sammelten die Forscher T-Shirts von Freiwilligen im ganzen Land. Diese werden aufgefordert, nachts ein einfaches, weißes T-Shirt zu tragen und einen aktuellen Covid-19-Test – oder eine Kopie ihres Impfnachweises - zusammen mit dem T-Shirt abzuliefern.

    Foto von Sabina Louise Pierce

    Andere argumentieren es sei zu früh, um sicher zu sein, ob Hunde eine Rolle im Kampf gegen die Pandemie spielen können. „Ich denke, dass definitiv Potenzial da ist“, sagt Anna Durbin, Professorin für Internationale Gesundheit an der John Hopkins Bloomberg School of Public Health. Sie glaubt, dass Hunde zusätzlich zu anderen Maßnahmen eingesetzt werden könnten. So sei es denkbar, sie für ein erstes Screening zu nutzen, dessen Ergebnis dann im Labor bestätigt wird. Dies hätte den Vorteil, dass Infizierte sofort handeln und geeignete Schutzvorkehrungen treffen könnten.

    Eins darf jedoch nicht vergessen werden: Nicht jeder Hund eignet sich zum Spürhund. „Viele finden es aufregend, einen Covid-19-Spürhund zu haben. Aber wir müssen darauf achten, dass wir den richtigen Hund für den Job haben, einen, der zuverlässig ist und nicht nach einer Weile das Interesse verliert“, sagt Otto.

    Alexandra Horowitz war als Hundeintelligenz-Spezialistin des Barnard College an der Studie beteiligt. Sie berichtet, dass die Hunde mit der höchsten Motivation, sich ein Leckerli zu verdienen, am geeignetsten für die Schnüffelarbeit sind und den größten Erfolg haben. Diese Hunde „tun alles was von ihnen verlangt wird, um die Belohnung zu bekommen“.

    Auf Griz trifft das definitiv zu, da sind sich die Forscher einig. Der Vierbeiner arbeitet unermüdlich, bis er endlich seinen heißgeliebten orangenen Knautschball bekommt. „Er liebt ihn einfach“, so Mallikarjun. „Am liebsten kaut er darauf herum, dann ist er vollkommen zufrieden“.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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