Die letzten wilden Rotwölfe der Welt

Schon zweimal wäre Amerikas am stärksten gefährdeter Wolf fast ausgestorben. Vor allem Konflikte mit Menschen bedrohen die kleine Population von Rotwölfen, die mühevoll gezüchtet und ausgewildert wurde.

Eine Rotwölfin namens Ruby im Reflection Riding Arboretum & Nature Center in Tennessee. Jedes Jahr treffen sich Biologen, um mögliche Wolfspaarungen für die kommende Zuchtsaison zu besprechen. Mit einem begrenzten Genpool von 14 Gründungstieren ist es unerlässlich, die Genetik der Art zu diversifizieren.

Foto von Jessica Suarez
Von Meaghan Mulholland
Veröffentlicht am 8. Juni 2021, 12:11 MESZ

Die weltweit einzige wildlebende Population von Rotwölfen hat im Mai 2021 acht neue Mitglieder bekommen. Vier erwachsene Rotwölfe und vier in Gefangenschaft geborene Jungtiere wurden in einem Wildschutzgebiet im östlichen North Carolina freigelassen. Mit ihnen wächst die Hoffnung, dass diese einzigartige Spezies vom Rande der Ausrottung zurückgeholt werden kann – zum zweiten Mal.

Rotwölfe sind eine vom Aussterben bedrohte Art, die außer im US-Bundesstaat North Carolina nirgendwo sonst auf der Welt vorkommt. Ihr Verbreitungsgebiet umfasst zwei Wildschutzgebiete und einen Flickenteppich aus Bundes-, Staats- und Privatland. Die Gesamtpopulation in freier Wildbahn wird derzeit auf etwa 20 bis 25 Tiere geschätzt, inklusive der acht im Mai 2021 ausgewilderten Tiere.

Die Freilassung dieser acht Rotwölfe wurde durch einen Gerichtsbeschluss angeordnet. Das Southern Environmental Law Center (SELC) verklagte im Herbst 2020 im Namen mehrerer Naturschutzgruppen den U.S. Fish and Wildlife Service. Dieser hatte es versäumt, mehr Rotwölfe in die Freiheit zu entlassen. Die SELC argumentierte, dass die Untätigkeit eine Verletzung des Endangered Species Act sei, dem wichtigsten US-Gesetz zum Schutz gefährdeter Arten. Im Januar wies ein Richter des US-Bezirksgerichts den Fish and Wildlife Service daher an, einen überarbeiteten Plan für die bevorstehenden Freilassungen zu erstellen.

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Ron Sutherland von der Umweltgruppe Wildlands Network nennt die jüngsten Auswilderungen „einen großen Schritt in die richtige Richtung“ – auch wenn sich seine Organisation für die Freilassung von noch mehr Wölfen eingesetzt hatte. Er hofft, dass der Fish and Wildlife Service „wieder anfängt, für sein eigenes Programm einzustehen [und] sich wieder darauf besinnt, vor Ort mit den Menschen in North Carolina zu arbeiten, mit dem Ziel, diesen Rotwolfbestand zu retten“.

„Unser Ziel ist es, zusammenzuarbeiten, um einen Umsetzungsplan zu erstellen [...] und die gemeinsam festgelegten Erholungsziele für den Rotwolf zu erreichen“, sagt John Tirpak. Er ist der stellvertretende Regionaldirektor für ökologische Dienstleistungen beim Fish and Wildlife Service.

Rotwölfe: Aufopferungsvolle Eltern

Die vier Rotwolfswelpen, die im Akron Zoo geboren wurden, wurden Anfang Mai im Pocosin Lakes Wildlife Refuge im östlichen North Carolina in die Höhle eines wilden Weibchens gesetzt. Diese Strategie hat sich als äußerst erfolgreich für diese Art erwiesen. Die Erfolgsquote liegt bei fast 100 Prozent, sagt Chris Lasher vom North Carolina Zoo in Asheboro. Er ist der Koordinator des Red Wolf Species Survival Plan, einer Reihe von Erhaltungsmaßnahmen, die das langfristige Überleben und die Sicherheit der Art gewährleisten sollen.

Aber es ist ein heikler Prozess. Die Welpen müssen adoptiert werden, bevor sie zwei Wochen alt sind, während ihre Augen noch geschlossen sind. Die Betreuer versuchen sicherzustellen, dass sie wie ihre wilden Wurfgeschwister riechen, um die Akzeptanz durch ihre Adoptivmutter zu erleichtern. In diesem Fall wurden die Welpen von Akron in Ohio nach North Carolina geflogen, was die Koordination und Teamarbeit zwischen Tierpflegern, Biologen und anderen Mitarbeitern, einschließlich eines ehrenamtlichen Piloten, erforderte.

Joe Madison ist der Direktor des Rotwolfprogramms in North Carolina für den Fish and Wildlife Service. Er berichtet, kurz nachdem die Pflegewelpen in die Höhle gesetzt wurden, verlegte die wilde Wolfsmutter den gesamten Wurf an einen neuen Ort. Das sei ein typisches Verhalten nach jeder Störung des Baus. Wissenschaftler, die ihre Bewegungen mit einem Peilsender überwachen, haben festgestellt, dass sie sich weiterhin in der Nähe des Baus aufhält – ein gutes Zeichen.

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    Ein Rotwolf in North Carolina.

    Foto von Salwan Georges, The Washington Post, Getty Images

    „Alles deutet darauf hin, dass die in Gefangenschaft geborenen Welpen erfolgreich adoptiert worden sind“, sagt Madison.

    „Die Aufzucht von fremden Welpen funktioniert bei dieser Spezies gut, weil sie eine sehr mitfühlende und engagierte Art mit Familienfokus ist“, sagt Lasher. „Rotwolfmütter sind sehr engagiert bei der Aufzucht eines Wurfs von Welpen, unabhängig von der Größe oder der Zusammensetzung.“ Der Prozess ist aus zweierlei Gründen nützlich: Er trägt dazu bei, die Anzahl der Rotwölfe in der Wildnis zu erhöhen. Aber er verbessert auch die genetische Vielfalt der Population, indem neue Gene von in Gefangenschaft gezüchteten Rotwölfen eingebracht werden. 

    Zwischen Artenschutz und Wolfshass

    Rotwölfe sind kleiner als ihre hierzulande heimischen Wolfsvettern (Canis lupus) und etwas größer als Kojoten. Sie durchstreiften einst weite Teile des Südostens der USA – doch Ausrottungskampagnen führten zusammen mit dem Verlust von Lebensraum zum Rückgang der meisten großen Raubtiere in den Vereinigten Staaten.

    Um 1980 wurden Rotwölfe in freier Wildbahn offiziell für ausgestorben erklärt. Kurz zuvor waren einige wenige Exemplare aus der Wildnis in den Point Defiance Zoo und das Aquarium in Tacoma, Washington, gebracht worden. Dort sollten sie in menschlicher Obhut gezüchtet werden, um die Art zu erhalten. 1987 wurden vier Zuchtpaare, die von diesen ursprünglichen 14 Tieren abstammten, im Alligator River Wildlife Refuge im östlichen North Carolina ausgesetzt. Es war die erste experimentelle Wiederauswilderung der einst dort heimischen Art.

    Anfangs gab es einige Herausforderungen. „Wir haben viel Zeit damit verbracht, die technischen Aspekte dessen auszutüfteln, wie man ein Raubtier in der Landschaft freilässt. Dinge wie die Auswilderungsgehege“, erklärt Tirpak. Aber die Population wuchs stetig. Sie erreichte 2012 einen Höchststand von etwa 120 Tieren und blieb zwischen 2004 und 2014 konstant bei etwa hundert Rotwölfen in mehreren Familienrudeln.

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    Zunächst wurde die Wiederansiedlung des Rotwolfs weitgehend als Erfolg betrachtet. Sie war „nicht weniger als ein biologisches, politisches und soziologisches Wunder“, wie es die Autorin T. DeLene Beeland in „The Secret World of Red Wolves“ ausdrückt. Sie sollte als Modell für die spätere Wiederansiedlung von Wölfen im Yellowstone-Nationalpark und in Idaho dienen, sowie für andere Wiederansiedlungen von Raubtieren weltweit.

    Doch der wilde Bestand der Rotwölfe war plötzlich wieder in Gefahr. Dafür gab es gleich mehrere Gründe, die zusammenspielten: die schnell wachsende Kojotenpopulation in North Carolina; die sich verschlechternden Beziehungen zu den Einheimischen; und Änderungen in der lange Zeit erfolgreichen Managementstrategie.

    In den 1990er Jahren begann eine kleine, aber lautstarke Gruppe von Jägern und Landbesitzern, gegen die Rotwölfe Stimmung zu machen. Angeführt wurden sie von einem Immobilienentwickler namens Jett Ferebee, der mehrere tausend Hektar Land besitzt, die an das Pocosin Lakes Refuge angrenzen. Auf Webseiten, Flugzeugbannern und Autobahnplakaten bezeichnete Ferebee das Wiederansiedlungsprogramm als „Skandal“ und als einen föderalen Übergriff, der die Eigentumsrechte der Menschen verletze und den Steuerzahler Millionen koste. Den Rotwölfen wurde auch vorgeworfen, dass sie die lokalen Hirschpopulationen dezimieren – obwohl keine Beweise für diese Behauptungen vorliegen.

    Die fünf Landkreise im Rotwolf-Wiederansiedlungsgebiet gehören zu den ärmsten des Bundesstaates. Ihre Wirtschaft ist auf Jagd, Fischerei und andere Outdoor-Aktivitäten angewiesen ist, zu denen auch Ökotourismus zählen könnte. Aber die Stimmung gegen die Regierung hat sich in der Region verschlechtert. Eine gerichtliche Einigung aus dem Jahr 2014 verbot die nächtliche Jagd auf Kojoten, um die Zahl der fälschlicherweise geschossenen Rotwölfe zu minimieren. Das heizte den Widerstand gegen die Wölfe weiter an. (Junge Rotwölfe sind nur schwer von Kojoten unterscheidbar, und einige Menschen empfanden es als unfair, dass sie Kojoten nicht ohne Einschränkungen jagen konnten.)

    In Online-Jagdforen wurden Rotwölfe als „Hybriden“ und „Mutanten“ gebrandmarkt, was nicht korrekt ist, da Zoos die Tiere sorgfältig züchten, um die genetische Vielfalt zu erhalten. Obwohl sich Rotwölfe mit Kojoten paaren können und das auch manchmal tun, geschieht das typischerweise nur bei einem Mangel an potenziellen Rotwolfpartnern. Eine Zeit lang gab es wissenschaftliche Debatten über die taxonomische Einordnung des Rotwolfs. Aber eine große Studie der Nationalen Akademie der Wissenschaften erklärte sie 2019 zu einer eigenständigen und schutzbedürftigen Art, Canis rufus.

    Im Jahr 2015 verabschiedete die North Carolina Wildlife Resources Commission Beschlüsse, die die Bemühungen der Bundesregierung zur Erhaltung der Population stark behinderten. Die Behörde stellte zu diesem Zeitpunkt die Aufzucht von Jungtieren ein und beendete auch die Sterilisation von Kojoten – eine effektive Methode zur Kontrolle ihrer Zahl.

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    Da die Behörde mit Anfragen zur Entnahme von Wölfen überschwemmt wurde, erteilte sie auch einige Genehmigungen zur Tötung von Wölfen auf Privatgrundstücken – obwohl Rotwölfe im Laufe von 30 Jahren nur sieben Haus- und Nutztiere töteten und die Besitzer entschädigt wurden. Nach 2014 fiel die Population von etwa 100 auf circa 20 Tiere bis Ende 2020, sagt Madison.

    Die SELC-Anwältin Sierra Weaver sagt, bis der Fish and Wildlife Service dem Druck nachgab und seine Richtlinien änderte, „hatten sie einen sehr erfolgreichen Managementplan“. Sie honoriert den neueren Anstoß, die Beziehungen zu den Einheimischen zu verbessern, verweist aber auch auf die Notwendigkeit von mehr Strafverfolgung. Obwohl in den letzten zehn Jahren zahlreiche Rotwölfe geschossen wurden, wurden die Verantwortlichen nie strafrechtlich verfolgt.

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    Genauso wie die Aufzucht von Rotwolfswelpen eine umfangreiche Planung und Koordination mit Partnern erfordert, wird Teamwork in Zukunft essentiell sein, wenn Rotwölfe wieder in der Wildnis Fuß fassen sollen, sagt Lasher. Für die Zukunft hofft Fish and Wildlife, die Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern und die Toleranz für Rotwölfe zu erhöhen. Dazu beitragen soll auch ein gerade gestartetes Anreizprogramm für Landbesitzer, sagt Madison. „Prey for the Pack“ (dt.: Beute für das Rudel) wird Landbesitzern bei der Verbesserung ihrer Habitate helfen, wenn sie im Gegenzug Rotwölfen erlauben, auf ihrem Land zu leben.

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    „Das ist ein aufregender erster Schritt“, sagt Ramona McGee, eine Anwältin bei der SELC, über die jüngsten Veröffentlichungen. „Aber es muss noch mehr getan werden, [weil] die Population noch so klein ist.“ In den Jahren 2019 und 2020 wurden keine Würfe in freier Wildbahn geboren. „Es ist wichtig, [diese] Reproduktion sicherzustellen und zu erleichtern“, fügt McGee hinzu.

    Laut Gerichtsbeschluss wird Fish and Wildlife regelmäßig über seine Arbeit und die Pläne für zukünftige Freilassungen berichten. Im Sommer 2021 wird er am Treffen des Red Wolf Species Survival Plan teilnehmen, bei dem Leiter von über 40 Einrichtungen zusammenkommen, welche die etwa 250 Rotwölfe, die derzeit in menschlicher Obhut leben, schützen und züchten.

    „Wir freuen uns darauf, diese Bemühungen fortzusetzen“, sagt Madison, „und mit den lokalen Gemeinden zusammenzuarbeiten, um Unterstützung für unsere Arbeit und das Überleben dieser bemerkenswerten Art zu gewinnen.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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