Von der Ostsee bis zum Mittelmeer – wie steht es um Europas Wale?

Die Ernennung des Gewöhnlichen Schweinswals zum „Tier des Jahres“ 2022 in Deutschland rückt die Meeressäugetiere und die Bedrohungen, denen sie ausgesetzt sind, in das Bewusstsein der Menschen. Doch auch in anderen Teilen Europas sind Wale in Gefahr.

Jagd

Foto von Jemma Craig / Adobe Stock
Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 11. Feb. 2022, 15:24 MEZ, Aktualisiert am 11. Feb. 2022, 19:39 MEZ

Der Gewöhnliche Schweinswal ist „Tier des Jahres“ 2022. Anlass zur Freude bietet diese Auszeichnung allerdings nicht. Die Deutsche Wildtier Stiftung, die den Titel verleiht, will dadurch auf Tierarten aufmerksam machen, die besonders gefährdet sind, deren Lebensraum bedroht ist oder die in Konflikt mit dem Menschen stehen. Der Schweinswal (Phocoena phocoena), die einzige in deutschen Küstengewässern heimische Walart, erfüllt alle drei Kriterien. 

Drei Populationen gibt es vor deutschen Küsten: jeweils eine in der Nordsee, in der Dänischen und Deutschen Beltsee und in der zentralen Ostsee. Letztere besteht inzwischen aus weniger als 500 Tieren und ist vom Aussterben bedroht.

„In der Ostsee hat sich der Bestand dramatisch verschlechtert. Wissenschaftliche Studien schätzen, dass die Population in der zentralen Ostsee seit den Fünfzigerjahren um 99,8 Prozent zurückgegangen ist“, sagt Nadja Ziebarth, Leiterin des Meeresschutzbüros des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND). Zudem sinkt die durchschnittliche Lebenserwartung der Tiere in dem Meeresgebiet: Schweinswale werden normalerweise zwischen acht und zehn Jahren alt. Die Tiere in der zentralen Ostsee erreichen meist nur noch ein Alter zwischen drei und vier Jahren.

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Unterwasserlärm und Stellnetze: Bedrohung in der Ostsee

Wie überall auf der Welt macht den Walen in dieser Meeresregion neben der Belastung des Wassers durch Schwermetalle und Umweltgifte vor allem der Unterwasserlärm zu schaffen. Er stört ihren Orientierungssinn, behindert sie bei der Jagd und erschwert die Kommunikation untereinander und damit auch die Partnersuche. 

Dabei ist der größte Übeltäter die Schifffahrt: In viel befahrenen Meeren hat sich der Lärmpegel, dem die Tiere ausgesetzt sind, zwischen den Jahren 1960 und 2000 alle zehn Jahre verdoppelt. Doch auch der Bau von Offshore Windanlagen birgt Probleme. Zwar trat im Jahr 2013 das sogenannte Schallschutzkonzept für den Offshore-Ausbau in der Nordsee in Kraft, das einen Spitzenschalldruckpegel vorsieht. Damit es aber greifen kann, muss die Anlage erst einmal gebaut werden. Der Lärm der Bauphase führt laut Nadja Ziebarth dazu, dass die Tiere die Baustellen meiden. Heißt: Lebensraum geht verloren. 

Zudem liegen am Boden der deutschen Nord- und Ostsee noch immer 1,6 Millionen Tonnen Weltkriegsmunition. Werden diese Altlasten ohne Maßnahmen zur Lärmminderung wie zum Beispiel Blasenschleier, die wie eine Schallbarriere wirken, gesprengt, hat das katastrophale Folgen für die Tiere. „In 2019 sind 24 Schweinswale an den Folgen einer Sprengung gestorben“, sagt Nadja Ziebarth. Tiere, die sich in unmittelbarer Nähe zu Sprengungen dieser Art aufhalten, sterben meist sofort. Doch selbst Wale, die sich in zehn Kilometern Entfernung befinden, weisen in der Folge Frakturen, Blutungen und Hörschäden auf.

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    Pinger doch keine Lösung?

    Todesursache Nummer eins für die Schweinswale der Ostsee ist jedoch die Fischerei. Regelmäßig ertrinken Tiere, nachdem sie sich in Stellnetzen verfangen haben. An den Netzen befestigte akustische Vergrämer, sogenannten „Pinger“, sollten dem ein Ende setzen, doch 2021 blockierte die Deutsche Marine das Vorhaben mit der Begründung, die Pinger-Frequenzen störten die militärischen Sonarsysteme und die Unterwasserkommunikation und -navigation. Die Kompromisslösung, die Tierschutz und Fischerei unter einen Hut bringen sollte, ist somit erst einmal vom Tisch. 

    Retten könnte die Schweinswale ein Verbot von Stellnetzen in den von ihnen bewohnten Gebieten. Da es bisher jedoch selbst in ausgewiesenen Schutzgebieten nicht gelungen ist, dieses umzusetzen, ist die Hoffnung darauf gering. „Es gibt ausgewiesene Schweinswal-Schutzgebiete vor Sylt und Meeresschutzgebiete in der ausschließlichen Wirtschaftszone. Allerdings findet in diesen Gebieten weiterhin Fischerei statt“, sagt Nadja Ziebarth. „Der BUND fordert seit Jahren insbesondere die Stellnetzfischerei aus den Schutzgebieten zu entfernen. Wozu sonst ein Schutzgebiet für Schweinswale, wenn die Tiere dort nicht geschützt werden?“

    Wal und Schiff: Auf Crashkurs im Mittelmeer

    Auch in Südeuropa haben es die Wale schwer. Ende Januar 2022 kämpften Helfer fieberhaft um das Leben eines verletzten Cuvier-Schnabelwals, der vor dem Athener Stadtstrand entdeckt worden war. Zwei Tage dauerte es, bis die Versuche, ihn in tiefere Gewässer zu locken, erfolgreich waren. Außerhalb der Gefahrenzone war es Veterinären möglich, das Tier zu untersuchen. Hierbei stellten sie Schnittwunden an Kopf und Körper des Wals fest, die er sich vermutlich bei einem Zusammenstoß mit einem Schiffspropeller zugezogen hatte.

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    „Die Wale, die mit Wunden von Propellern oder Kollisionen an der Küste gefunden werden, markieren nur die Spitze des Eisbergs“, erklärt Dr. Alexandros Frantzis, wissenschaftlicher Leiter des griechischen Pelagos Cetacean Research Institute. „Bis zu zwanzigmal so viele sterben auf See und werden niemals registriert.“

    Dass die Dunkelziffer solcher Zusammenstöße derartig hoch ist, liegt daran, dass sie meistens unbemerkt verlaufen. Die Tiere sterben entweder sofort oder ziehen sich Verletzungen zu, an denen sie später verenden. Die Kadaver, die an den Küsten des östlichen Mittelmeers angespült werden, sind oft der einzige Hinweis auf das Ausmaß des Problems. Besonders gefährlich ist der Schiffsverkehr für die mit schätzungsweise 200 bis 300 Tieren nur noch sehr kleine Population der Pottwale im östlichen Mittelmeer, die laut der Weltnaturschutzorganisation (IUCN) als stark gefährdete eingestuft werden muss.

    Doch es bewegt sich etwas im Mittelmeer: Ebenfalls Ende Januar 2022 meldete die weltweit führende Reederei Mediterranean Shipping Company (MSC), dass sie zum Schutz der Tiere ihre Schiffsrouten entlang der griechischen Westküste verlegen will. Die Entscheidung traf das Unternehmen nach Beratungen mit einem Zusammenschluss verschiedener Nichtregierungsorganisationen, darunter der griechische WWF und der International Fund for Animal Welfare. Die Hoffnung besteht, dass auch andere Reedereien diesem Beispiel folgen: Würde der gesamte Schiffsverkehr in der Region in dieser Art angepasst, könnte dadurch die Gefahr von Kollisionen von Pottwalen und Fracht- und Kreuzfahrtschiffen um etwa 75 Prozent reduziert werden. Für die Pottwale im östlichen Mittelmeer könnte dies den Unterschied zwischen Überleben oder dem endgültigen Verschwinden aus diesem Teil der Welt bedeuten.

    Der Zwergwal: Im Visier der Jäger

    Während in anderen Teilen Europas die Gefahren für die Walpopulationen ungewollte Nebenerscheinungen menschlichen Handelns sind, wird das Leben der Zwergwale in norwegischen Gewässern durch den Walfang aktiv bedroht. 

    Neben Japan und Island ist Norwegen das dritte Land auf dieser Welt, das nach wie vor kommerziellen Walfang betreibt – und das seit den Neunzigerjahren wieder mit steigenden Quoten. Eigentlich gilt für den kommerziellen Walfang seit 1986 ein Stopp durch ein internationales Moratorium, trotzdem töteten norwegische Walfänger in den vergangenen zehn Jahren mehr Tiere als Japan oder Island, in drei dieser Jahre sogar mehr als beide Nationen zusammen. In der aktuellen Jagdsaison 2021 wurde ein neuer Rekord aufgestellt: Insgesamt 575 Zwergwale wurden getötet, etwa fünf pro Tag – der höchste Wert seit 2016. 

    Der Zwergwal ist keine bedrohte Tierart, trotzdem wird die Frage der Notwendigkeit der norwegischen Jagd kontrovers diskutiert. Sie ist in erster Linie durch die Tradition motiviert, wirtschaftliche Gründe, die Tiere zu töten, hat das reiche Land nicht – zumal die Nachfrage nach Walfleisch seit Jahren sinkt.

    Tatsächlich gab es auch am Ende der Jagdsaison 2021 einen Überschuss an Walfleisch, der laut einem Bericht von PETA Deutschland e.V. zu Hundefutter verarbeitet wurde. Die Regierung Islands zieht aus der geringen Nachfrage nun Konsequenzen: Im Februar 2022 kündigte die Fischereiministerin Svandis Svavarsdottir an, dass das Land die Jagd auf Wale im Jahr 2024 beenden werde.

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