Der hai schwimmt in grünem Wasser auf die Kamera zu.

Sind dies die ersten Aufnahmen eines neugeborenen Weißen Hais?

Vor der Küste Kaliforniens haben Forschende einen anderthalb Meter langen Weißen Hai gefilmt. Größe und Körperform legen nahe, dass das Baby erst wenige Stunden zuvor geboren wurde.

Dieser kleine Hai könnte der erste frisch geborene Hai sein, der auf Kameraaufnahmen festgehalten wurde.

Foto von Carlos Gauna
Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 31. Jan. 2024, 08:46 MEZ

Viel Zeit und Geld ist bereits in die Erforschung des Weißen Hais geflossen. Die Geburt eines solchen Raubfisches konnte bisher jedoch nicht beobachtet werden. Darum sind die Filmaufnahmen aus Kalifornien, die nun veröffentlicht wurden, eine echte Sensation.

Entstanden sind sie am 9. Juli 2023 vor der Küste von Santa Barbara. Filmemacher Carlos Gauna und Organismenbiologe Philip Sternes von der University of California in Riverside filmten an diesem Tag eine Gruppe Weißer Haie mit einer Drohne. Sie hatten bereits einige größere Tiere im Bild festgehalten, als sich aus dem trüben Wasser etwas vollkommen Unerwartetes an die Oberfläche bewegte.

„Gegen Ende des Drehtages erschien plötzlich dieser sehr ungewöhnlich aussehende Weiße Hai – wir waren beide komplett aus dem Häuschen“, sagt Sternes.

Die Männer wussten, dass es sich bei dem gedrungenen, etwa anderthalb Meter langen Tier mit rundlichen Flossen um einen sehr jungen Weißen Hai handeln musste – ausgewachsene Tiere der Spezies erreichen Körperlängen von mehr als sechs Metern. Als sie mit der Drohne näher heranzoomten, fingen sie etwas ein, was zuvor noch niemand gesehen hatte: Von der Schwanzflosse des jungen Hais löste sich beim Schwimmen ein milchig-weißer Film.

Zwar könne niemand sicher sagen, was genau diese Substanz ist, Sterne vermutet jedoch, dass es sich um eine Art „Gebärmuttermilch“ handelt, von der sich das Haibaby im Mutterleib ernährt. Eine andere Möglichkeit sei, dass der Hai an einer bislang noch nicht dokumentierten Hautkrankheit leidet.

„Beide Erklärungen wären wissenschaftlich signifikant“, so Sternes. Über ihre Beobachtung berichten er und Gauna in einer Studie, die in der Zeitschrift Environmental Biology of Fishes erschienen ist.

„So eine Sichtung ist extrem selten, denn wo Weiße Haie ihre Jungen zur Welt bringen, konnte die wissenschaftliche Gemeinschaft bisher nicht ermitteln“, sagt Sternes. „Möglicherweise haben wir hier ein wichtiges Puzzlestück aufgedeckt. Sollte der Ort, an dem wir die Aufnahmen gemacht haben, regelmäßig von Weißen Haien für Geburten aufgesucht werden, ist diese Information auch aus Sicht des Artenschutzes äußerst relevant.“

Eine einzigartige Sichtung

BELIEBT

    mehr anzeigen
    Links: Oben:

    Über die Fortpflanzung des Weißen Hais ist bisher erstaunlich wenig bekannt. Die Entdeckung eines Orts, an dem die Tiere regelmäßig Junge zur Welt bringen, würde unser Wissen über sie erheblich erweitern.

    Rechts: Unten:

    Vom Schwanz des jungen Hais, der vor der Küste von Santa Barbara, Kalifornien, gefilmt wurde, löst sich ein milchig-weißer Film, von dem die Forschenden annehmen, dass es sich um eine Art „Gebärmuttermilch“ handelt.

    bilder von Carlos Gauna

    Um zu verstehen, warum die Sichtung eines neugeborenen Weißen Hais so eine Sensation ist, muss man sich bewusst machen, dass es nur wenige konkrete Erkenntnisse zu den Fortpflanzungsprozessen des weltweit größten Raubfisches gibt.

    „Ich finde die Aufnahmen unglaublich“, sagt Greg Skomal, der als Haibiologe für die Division of Marine Fisheries in Massachusetts tätig ist. Er war an der Studie nicht beteiligt, ist aber mit dem Video vertraut. „Den meisten Menschen ist nicht klar, dass einige der grundlegendsten Fragen zur Fortpflanzung dieser Tierart noch immer unbeantwortet sind.“

    Er warnt aber davor, aufgrund der nun veröffentlichten Aufnahmen voreilig große Schlüsse zu ziehen. „Es ist wie bei jeder anderen Beobachtung auch: Man hat eben nur eine beschränkte Menge an Informationen. Wir kennen die Bilder, das Datum, die Uhrzeit, den Ort. Der Rest ist Spekulation“, sagt der Autor von Chasing Shadows: My Life Tracking the Great White Shark. Trotzdem deuten die bisher bekannten Fakten ihm zufolge darauf hin, dass es sich bei dem Hai in den Filmaufnahmen um ein neugeborenes Tier handelt.

    So wird unter anderem schon länger vermutet, dass es sich bei dem Gebiet, in dem die Drohne den Hai gefilmt hat, um eine Art Hai-Kinderstube handelt. Diese Annahme beruht auf dem Umstand, dass hier schon öfter Haie im Alter von unter einem Jahr gesichtet wurden. Auch die Farbe des Hais, seine Körperform und Größe sowie die milchige, weiße Substanz an seinem Schwanz stützen laut Skomal die These.

    „All das lässt Forschende annehmen, dass wir hier einen neugeborenen Weißen Hai sehen – und aller Wahrscheinlichkeit nach ist es tatsächlich einer“, sagt Skomal. „Die Frage ist nun, wann genau er geboren wurde. Ist er wenige Tage oder sogar nur Stunden alt? Das wissen wir nicht.“

    Weil Meerestiere den größten Teil ihres Lebens unterhalb der Wasseroberfläche verbringen, sind Forschende in diesem Feld auf das Glück angewiesen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Das war zum Beispiel der Fall, als im März 2021 zum ersten Mal die Geburt eines Buckelwalkalbs beobachtet wurde.

    „Der Anblick eines lebenden Weißen Hais, der erst wenige Stunden alt ist, ist sehr, sehr selten“, sagt Skomal. „Sollte das hier der Fall sein, handelt es sich wirklich um eine einzigartige Beobachtung.“

    Weiße Haie sind laut der Roten Liste der IUCN eine stark gefährdete Tierart mit schrumpfender Population. Je mehr über diese Spezies bekannt ist, desto effizienter kann in Zukunft für ihren Schutz gesorgt werden.

    Auch darum sagt Sternes, er freue sich auf das Feedback der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu seiner Sichtung.

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie
    • Video

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved