Dominicas Weg zum ersten „hurrikansicheren“ Land der Welt

Als Hurrikan Maria 2017 die kleine Karibikinsel verwüstete, setzten sich die Einwohner ein ambitioniertes Ziel.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 10. Dez. 2019, 16:38 MEZ
Knapp ein Jahr nach Hurrikan Maria waren die Arbeiten zum Wiederaufbau in Roseau immer noch nicht ...
Knapp ein Jahr nach Hurrikan Maria waren die Arbeiten zum Wiederaufbau in Roseau immer noch nicht abgeschlossen. Mittlerweile erstrahlt die Hauptstadt wieder im alten Glanz.
Foto von NAPA, Alamy Stock Photo

Es begann am Abend des 18. September 2017. Der Wind wurde heftiger, die Wellen brachen sich wütend am Strand, der Himmel verdunkelte sich.

Noch wussten die Bewohner des karibischen Inselstaates Dominica nicht, dass der Hurrikan Maria langsam an Kraft gewann und binnen kurzer Zeit mehr als 90 Prozent der Infrastruktur der Insel zerstören, ihre Wirtschaft lahmlegen und ein kleines Land, das wenig Schuld am Klimawandel hat, dazu zwingen würde, sich mit dessen Folgen auseinanderzusetzen.

Wissen kompakt: Hurrikans

Trotz der unheilvollen Vorzeichen waren die Einwohner Dominicas nicht überdurchschnittlich beunruhigt, wie sie später erzählten. Tropenstürme sind auf der kleinen Insel schließlich keine Seltenheit. Die Nation ist Teil einer Inselkette im Osten der Karibik, etwa 800 Kilometer nördlich der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Die Hurrikansaison 2019 hat das Land zwar verschont, aber im nächsten oder übernächsten Jahr mag das schon wieder ganz anders aussehen.

2017 zeigte, wie schnell sich das Blatt wenden kann: In einer einzigen Nacht wurde Dominica vollständig verwüstet. Aber aus dieser Katastrophe erwuchs ein neuer Plan: Dominica will das erste klimaresistente Land werden, das auch in einer neuen Ära besonders heftiger Stürme aufblühen kann.

Der Sturm zieht auf

Als Maria sich der Küste näherte, begriffen die Inselbewohner schnell, dass der Sturm weitaus schlimmer werden würde, als sie erwartet hatten.

„Wir hörten Radio, um herauszufinden, was eigentlich los war“, sagt Ann Aeevieal, eine Köchin des Tamarind Tree Hotel. „Erst sagten sie, er wäre Kategorie 2, dann Kategorie 3.“

Mit dem Anstieg der Treibhausgase in der Erdatmosphäre, die den Planeten aufheizen, werden auch Stürme wie Maria vermutlich an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Studien haben gezeigt, dass sich der Atlantik erwärmt, wodurch Stürme häufiger auftreten, heftiger ausfallen und länger andauern.

BELIEBT

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    Warmes Meerwasser dient einem Hurrikan gewissermaßen als Treibstoff oder Motor. Je wärmer das Wasser ist, desto leistungsstärker ist der Motor: Der Sturm wächst schneller, wird größer und kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, die er andernorts wieder abregnet. Als sich Maria der Karibik näherte, gewann er ganz plötzlich stark an Intensität.

    Stephanie Astaphan, eine Angestellte des Hotels Secret Bay auf der Insel, erinnert sich: „Wenn man in einer Hurrikanregion lebt, stumpft man ab. Und dann sagte Anderson Cooper: ‚Die Insel Dominica wird einen [Sturm der] Kategorie 5 erleben‘ und ich fühlte mich plötzlich, als hätte ich meinen Körper verlassen.“

    Acht Monate nach Hurrikan Maria wird ein Haus im Gebiet Kalinago gebaut, wo die letzten Ureinwohner der Karibik leben. Mehr als 500 Häuser wurden seit dem Sturm errichtet, weitere 1.000 sind im Bau befindlich.
    Foto von Alejandro Cegarra, Bloomberg/Getty Images

    Dann traf der Sturm auf Land. Die einheimische Bäckerin Sheila Jelviel lebt in Scott’s Head, einem Viertel im Südosten, wo der Sturm am heftigsten tobte. Ein kleines Ruderboot durchbrach ihre Eingangstür. „Wir mussten hinten zum Fenster raus fliehen“, erzählt sie.

    Das Ringen um Resilienz

    Obwohl Maria der schwerste Sturm war, der die kleine Inselnation je getroffen hat, litt die Wirtschaft des Landes auch in der Vergangenheit schon unter den Naturgewalten. Große Tropenstürme und Hurrikans verwüsteten 2015, 2013 und 2010 weite Teile Dominicas.

    Der Hurrikan Erica vernichtete 2015 geschätzte 90 Prozent des BIPs der Nation. Im Vergleich dazu schätzte die WHO, dass Maria das Land etwas mehr als zwei Jahre seiner gesamten Wirtschaftsleistung gekostet hat. Finanzexperten vermuten, dass es noch mehr als drei Jahre dauern wird, bis Dominica wieder den Zustand erreicht hat, den es vor Maria hatte.

    Fünf Tage nach dem Sturm wandte sich der Premierminister des Landes an die UN-Generalversammlung.

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    „Ich komme direkt von der Front des Kriegs gegen den Klimawandel zu Ihnen“, erklärte er in seiner Rede. „Früher haben wir uns auf einen heftigen Sturm pro Jahr eingestellt. Mittlerweile bilden sich aus einer einzigen Brise über dem mittleren Atlantik tausende Stürme, die uns nacheinander mit maximaler Härte treffen.“

    Skerrits leidenschaftlicher Appell war auch eine Bitte um finanzielle Hilfe, damit er Dominica in die erste klimaresistente Nation der Welt verwandeln konnte. Das bedeutet aber nicht einfach nur, zu ersetzen, was verloren wurde. Stattdessen soll Dominica für eine Zukunft aufgebaut werden, in der Stürme wie Maria zur Lebensrealität gehören. Das Land will nicht nur hurrikansichere Gebäude bauen, sondern auch eine stabilere Wirtschaft errichten. Dazu soll ein Tourismussektor beitragen, der wohlhabendere Kunden anlocken soll, sowie eine Landwirtschaft, die eine Vielzahl von Obst und Gemüse zum lokalen Verzehr anbaut – anstatt wie derzeit hauptsächlich Bananen für den Export.

    Zehn Tage nach Hurrikan Maria zeigten Luftaufnahmen das gesamte Ausmaß der Zerstörung. Die Schäden waren so schwer, dass die Insel regelmäßig mit einem „Kriegsgebiet“ verglichen wurde.
    Foto von Jose Jimenez Tirado, Getty Images

    Außerdem muss die natürliche Schönheit des Landes erhalten bleiben. Dominicas Wirtschaft ist durch den Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Holz zwar gewachsen, aber das große Produkt, das die Nation an die Welt verkauft, ist die Insel selbst. Auf einer Fläche, die knapp der von Hamburg entspricht, sprudeln 365 Flüsse – genug, um jeden Tag des Jahres in einem anderen zu schwimmen, wie die Bewohner gerne sagen. Es gibt aktive Vulkane, üppige Regenwälder, atemberaubende Korallenriffe und schwarze Sandstrände. Auf Reisewebsites wird sie gern als „Nature Island“ beworben, ein Reiseziel für sportliche Abenteurer oder wohlhabende Yogis auf der Suche nach einem Retreat.

    „Die Herausforderungen betreffen nicht nur die Infrastruktur. Bei Resilienz geht es unserer Ansicht nach darum, wie anfällig man überhaupt ist“, sagt Pepe Bardouille, die Leiterin der Climate Resilience Execution Agency of Dominica (CREAD).

    Neben den neuen Regelungen und Strategien gibt es laut Bardouille auch ein neues kollektives Bewusstsein dafür, sich auf Hurrikans wie Maria vorzubereiten.

    „Es obliegt jeden Bürger, zu wissen, was er für sich selbst tun kann“, sagt sie. „Die Entscheidung darüber, was man baut und ob man sich versichern lässt – das sind individuelle Entscheidungen und nichts, was die Regierung tun kann.“

    „Dominica strong“

    CREAD wurde Anfang 2018 gegründet, um sicherzustellen, dass jeder Sektor, der nach Maria wiederaufgebaut wurde, den Faktor der Klimaresistenz berücksichtigte. Einheitliche Bauvorschriften, vielfältige landwirtschaftliche Erzeugnisse, neue Erdwärmeanlagen, verbesserte Gesundheitseinrichtungen, verlässliche Transportinfrastrukturen zu Land und auf See – CREADs Job besteht darin, Wege zu finden, um alles so hurrikansicher wie möglich zu machen.

    „Wie kann man eine Gesellschaft und eine Wirtschaft mit einer begrenzten Steuergrundlage und einer Menge klimatischer Herausforderungen mit wenig Geld am Laufen halten? Das sind die Herausforderungen“, sagt Bardouille.

    Zu Dominicas Plan für mehr Klimaresistenz gehört auch ein Plastikverbot. Der letztendliche Grund dafür ist in der Infrastruktur zu finden. Das staatliche Abfallsammelsystem sorgt dafür, dass der gesammelte Müll in bereits überfüllten Deponien gelagert wird. Was aber, wenn die Einwohner ihre Einwegprodukte stattdessen im feucht-tropischen Klima der Karibik selbst kompostieren könnten? Könnte man damit den Bedarf an Recyclinganlagen, die beim nächsten großen Hurrikan vielleicht ausfallen, verringern oder gar eliminieren?

    Acht Monate nach Hurrikan Maria sitzt Dominicas Premierminister Roosevelt Skerrit in seinem Büro in der Hauptstadt Roseau über Stapeln von Papieren. Nur wenige Tage nach der Katastrophe versprach er, das Land wiederaufzubauen und zum ersten klimaresistenten Land der Welt zu machen.
    Foto von Alejandro Cegarra, Bloomberg/Getty Images

    In Resorts und Nationalparks wird Dominica seinem Ruf als Nature Island bereits gerecht. Dort findet man kaum herumliegenden Müll. In den Städten, an den Straßen und in den Abflussgräben sieht die Sache aber anders aus: Hier ist Plastikmüll allgegenwärtig.

    Wenn weniger Müll sichtbar wäre, sähe die Insel sauberer aus – und eine saubere karibische Insel ist ein Ort, an dem Touristen gern Urlaub machen und Geld ausgeben.

    „Es wäre zu vereinfacht, wenn man sagen würde, dass es nur um den Wiederaufbau geht“, so Bardouille.

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    „Das Trauma, der posttraumatische Stress und die Auswirkungen [des Sturms] auf unsere Gesellschaft werden meiner Meinung nach ernsthaft unterschätzt. Wir müssen uns jetzt auf die wirtschaftliche Stärke unseres Landes besinnen“, sagt sie.

    Im Jahr 2018 verabschiedete Dominica den Climate Resilience Act, der am 1. Januar 2019 in Kraft trat. Bei einer Ansprache im letzten Jahr fasste der Premierminister die Fortschritte zusammen, die bereits erreicht wurden: Die Wirtschaft verzeichnete ein Wachstum von 9 Prozent, der Tourismussektor wuchs, alle Schulen waren wieder geöffnet und ein brandneues Krankenhaus öffnete im August seine Türen für die ersten Patienten. Außerdem wurden 500 Wohnhäuser errichtet, mehr als 1.000 weitere waren noch im Bau befindlich.

    Die Regierung rechnet damit, dass die Bananenproduktion wieder auf das Niveau vor dem Hurrikan Maria ansteigen wird. Um die Ernährungssicherheit zu garantieren, wurden Samen für andere Feldfrüchte wie Taros, Yams, Kartoffeln und Maracujas an Bauern verteilt.

    Fortschritt und Stagnation

    Es ist Ostern in Scott’s Head und der Himmel ist wolkenlos. Das Meer schwappt mit geradezu meditativer Regelmäßigkeit an den Strand, gelegentlich weht ein laues Lüftchen. Es ist schwer vorstellbar, dass die Insel vor einiger Zeit so verwüstet war, dass sie weithin als Kriegsgebiet bezeichnet wurde.

    Jelviel, in deren Haus der Sturm ein Boot geschmettert hatte, zeigt mir ihr Zuhause, das größtenteils wiederaufgebaut ist. Die Regierung hat ihr mit zwei Fenstern und einer Tür ausgeholfen, aber die 64-Jährige verweist größtenteils auf ihre Nachbarn, die ihr beim Wiederaufbau geholfen haben. Die Gemeinde in Scott’s Head hält zusammen, sagt sie, und nach dem Sturm haben sich alle gegenseitig unterstützt.

    Nur zwei Häuserblocks weiter südlich lehnt Hidjes Adams, der PR-Beauftragte einer örtlichen Fischereigenossenschaft, an einem Hebewerk für Fischerboote. Er kämpft mit den Tränen, als er sich an die Tage nach dem Sturm erinnert.

    „Das war ein Monster“, sagt der über den Hurrikan Maria. „Die Schäden sind immer noch da. Ich habe Menschen gesehen, die am Verhungern waren und um Wasser und Nahrung kämpften. Auch jetzt sind immer noch Menschen obdachlos.“

    Gerade in diesem Bereich kommt es mitunter zu Konflikten zwischen der Regierung und den Bürgern. Der Wiederaufbau ist teuer – umso mehr, wenn man ein Gebäude oder Ladengeschäft errichten will, das einem Hurrikan der Kategorie 5 standhalten kann. Viele Luxushotels und Resorts haben von dem Citizenship by Investment Program des Landes profitiert. Dabei erhalten Ausländer einen zweiten Pass, wenn sie im großen Maß in lokale Unternehmen investieren.

    Zehn Tage nach dem Hurrikan zeigten Luftaufnahmen, dass Hurrikan Maria die Blätter von den Bäumen des Regenwaldes gerissen hatte. Mittlerweile ist ein Großteil wieder nachgewachsen, auch wenn einige Äste nach wie vor kahl sind.
    Foto von Jose Jimenez Tirado, Getty Images

    Die Menschen in den kleinen, ärmeren Gemeinden wie Scott’s Head fühlen sich abgehängt. Jelviel sagt, dass sie mit etwas Hilfe einen größeren Ofen kaufen und morgens dann mehr Brot backen könnte. So könnte sie mehr Geld verdienen und ihr Zuhause sturmfester machen.

    „Wir können nicht wiederaufbauen“, sagt sie über ihr Viertel. „Aber es gibt hier eine Menge Potenzial.“

    Das gemeinsame Trauma hat das Land allerdings in einem Gefühl des Patriotismus vereint. Bestickte T-Shirts und Schriftzüge an Häuserwänden wiederholen ein allgegenwärtiges Mantra: Dominica strong.

    So scheint jeder einzelne Einwohner das Land zu beschreiben – stark im Angesicht der Katastrophe.

    „Die Menschen nehmen die Sache jetzt ernster. Sie bauen robuster“, sagt Aeevieal vom Tamarind Tree Hotel. „Ich glaube, das ist ein gutes Comeback. Wir haben gute Arbeit geleistet.“

    Das Leben kehrt zurück

    Auch die Natur heilt ihre Wunden.

    Als Hurrikan Maria 2017 über Dominica hinwegfegte, rissen die heftigen Winde sogar die Blätter von den Bäumen.

    Das machte dem führenden Vogelexperten der Insel, Bertrand Jno Baptiste – auch Dr. Birdy genannt –, Sorgen. Würden die Wälder in diesem Zustand noch ein guter Lebensraum für die Kaiseramazone sein? Die auch als Sisserou bekannte Papageienart ist der Nationalvogel Dominicas und gilt als stark gefährdet – er kommt ausschließlich auf der Insel vor. Baptiste suchte stundenlang nach den Vögeln, horchte auf ihre lauten Rufe und versuchte, ihre bunten Federn in den Baukronen zu entdecken.

    „Ich habe nicht mehr daran geglaubt, dass sie wiederkommen. Es war einfach so schlimm“, sagt er. Aber nach 13 Stunden entdeckte er schließlich einen Vogel, dann noch einen und noch einen. Mittlerweile sind die Papageien wieder regelmäßig über dem Blätterdach des Regenwalds zu beobachten.

    Knapp ein Jahr nach Hurrikan Maria waren die Arbeiten zum Wiederaufbau in Roseau immer noch nicht abgeschlossen. Mittlerweile erstrahlt die Hauptstadt wieder im alten Glanz.
    Foto von NAPA, Alamy Stock Photo

    Die Bäume am Rande des Regenwalds sind noch von den Spuren des Sturms gezeichnet. Kahle Äste ragen in Richtung Meer und versuchen nachwachsen zu lassen, was binnen Sekunden abgerissen wurde.

    „Niemand hier glaubt, dass das nicht noch mal passieren wird“, sagt Baptiste.

    Genau wie die berühmten Papageien und der Regenwald erwacht auch Dominica als Ganzes wieder zum Leben – wenn auch mit den Narben, die die Einwohner daran erinnern werden, dass Stürme wie Maria immer Teil ihres Lebens sein werden. Um wirklich hurrikansicher zu sein, muss das Land genauso funktionieren wie sein tropisches Ökosystem: Nach einer Katastrophe muss es sich erholen können – und wieder aufblühen. 

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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