Warum es keine Ausreden für den Bau von Wildbrücken gibt

Grünbrücken retten Leben, Arten und Ökosysteme – und sparen dabei Geld. Bei ihrem Bau muss einiges beachtet werden, von der Bepflanzung bis zum Geschlecht der Tiere.

Von Starre Vartan
Veröffentlicht am 8. Jan. 2021, 15:30 MEZ
Wildbrücke am Trans-Canada Highway im Banff-Nationalpark

Die Wildbrücken am Trans-Canada Highway im Banff-Nationalpark lieferten Inspiration und wissenschaftliche Daten, um tödliche Wildunfälle auf der ganzen Welt zu verhindern.

Foto von Joël Sartore, Nat Geo Image Collection

Der rauschende Verkehr hält große Säugetiere wie Elche und Bären nicht davon ab, Highways zu überqueren. Und er schützt auch unzählige kleinere Tiere nicht davor, von Autoreifen zerquetscht zu werden. In nur zwei Jahren wurden entlang eines Highway-Abschnitts in Utah 98 Rehe, drei Elche, zwei Wapitis, mehrere Waschbären und ein Puma durch Autokollisionen getötet – insgesamt 106 Tiere. In den Vereinigten Staaten gibt es 21 bedrohte Tierarten, deren Fortbestehen durch die Gefahren der Straße bedroht ist. Zu ihnen zählt eine Unterart der Weißwedelhirsche, die nur auf den Florida Keys lebt, Dickhornschafe in Kalifornien und Rotbauch-Schmuckschildkröten in Alabama.

Und natürlich gibt es auch unter den Menschen Opfer. Etwa 200 sterben jedes Jahr bei den mehr als eine Million Autounfällen in den USA, erklärt die National Highway Traffic Safety Administration. Diese Kollisionen sind zudem teuer: Zusammenstöße mit Hirschen kosten durchschnittlich 8.190 Dollar, bei Wapitis sind es 25.319 Dollar und bei Elchen 44.546 Dollar. Einberechnet werden die menschlichen Verletzungen bzw. der Tod, das Abschleppen, die Reparatur des Fahrzeugs, die Untersuchung des Unfalls durch die lokalen Behörden und die Entsorgung des Kadavers, so eine Studie des Western Transportation Institute (WTI) der Montana State University.

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Und die Zahl dieser tödlichen Unfälle nimmt zu. „In den letzten 15 Jahren, zu denen Berichte vorliegen, hat die Zahl der Kollisionen zwischen Wildtieren und Fahrzeugen um 50 Prozent zugenommen. Dabei werden jedes Jahr schätzungsweise ein bis zwei Millionen Großtiere von Autofahrern getötet“, sagt Rob Ament, Programmmanager für Straßenökologie beim WTI.

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    Zäune sind ein wichtiger Bestandteil erfolgreicher Wildbrücken. In diesem Fall leiten sie Gabelböcke in Wyoming über den Highway.

    Foto von Joe Riis, Nat Geo Image Collection

    Es gibt jedoch eine Lösung, die sich weltweit als bemerkenswert effektiv dabei erwiesen hat, Kollisionen zwischen Autos und querenden Tieren zu verringern: Wildbrücken. Etliche Studien haben Todesfälle von einheimischen Tierarten auf Highways in Florida, Langnasenbeutlern und Wallabys in Australien, Jaguaren in Mexiko und vielen mehr untersucht. Sie alle kamen zu dem Ergebnis, dass Wildbrücken Geld sparen und Leben retten, sowohl von Menschen als auch von Tieren.

    „Mit Brücken und Zäunen, die Tiere unter oder über Autobahnen leiten, kann man eine Verringerung von 85 bis 95 Prozent erreichen“, sagt Ament.

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    Deshalb gibt es diese verkehrsüberspannenden Brücken und Tunnel mittlerweile weltweit. Die erste europäische Wildbrücke entstand bereits in den 1950ern in Frankreich. Normalerweise sehen sie aus wie normale Überführungen, sind aber mit einheimischer Flora bepflanzt und fallen nicht besonders auf – es sei denn, man sucht gezielt danach.

    Unterführungen, die unter Autobahnen verlaufen, sind für Autofahrer mitunter unsichtbar. Dennoch helfen sie unzähligen scheueren Arten, von Goldenen Löwenäffchen und Pumas in Brasilien bis hin zu Wühlmäusen in London. Ament arbeitet sogar an Wildbrücken für noch nicht gebaute Autobahnen in Entwicklungsländern wie Bhutan, die sichere Bereiche brauchen, in denen Asiatische Elefanten ihr Territorium durchqueren können. Er erklärt, dass es viel einfacher – und billiger – ist, diese Hilfen direkt während der Bauphase zu integrieren, als sie nachträglich einzubauen, wie es in den USA und Kanada gemacht wurde.

    Erfolgsgeschichte: Wildbrücken am Snoqualmie-Pass

    Der Bundesstaat Washington ist einer der letzten in den USA, der sich dem Projekt anschließt. Der Bau der ersten Wildtierbrücke östlich des Snoqualmie-Passes in der Kaskadenkette begann 2015 über die Interstate 90, die von Seattle nach Boston führt. Obwohl die Brücke anfangs nur aus kahlen Bögen bestand und erst im Herbst 2020 mit einheimischen Pflanzen bepflanzt wurde, nutzen sie schon zu Beginn Rehe und Kojoten.

    Zusammen mit sechs Unterführungen, die seit 2013 gebaut wurden, ist dieser Übergang der erste einer Reihe von 20 entlang eines 25 Kilometer langen Abschnitts des Highways auf der I-90. Diese Wildbrücken und Unterführungen ermöglichen es Elchen, Schwarzbären, Pumas, Pfeifhasen und sogar Forellen, die einst praktisch unüberwindbare Barriere der Straße zu queren.

    Ein Blick auf die I-90 durch Washingtons Kaskadenkette. Hier wird im Oktober 2018 gerade an der neuen Wildbrücke östlich des Snoqualmie-Passes gebaut. Seit der Fertigstellung genießen nur noch Tiere diesen Ausblick, da die Brücke für Menschen gesperrt ist.

    Foto von Elaine Thompson, Ap

    Aber bei den Wildbrücken geht es nicht nur um die Rettung einzelner Tiere, sondern auch um das Überleben der Arten. Die I-90 ist eine wirtschaftlich wichtige Ost-West-Verbindung des Bundesstaates und führt über hohe Bergpässe in den Kaskaden, wo es nur wenige andere Straßen gibt. Aber viele der Tiere wollen vor allem von Norden nach Süden ziehen. Diejenigen südlich des Highways sind in einer Art Insel gefangen: Eingeschlossen vom Highway im Norden und dem Fluss Columbia im Süden, würde Inzucht über kurz oder lang ein potenzielles Problem werden.

    „Wenn Populationen einander nicht mehr finden können, kann es lokal zum Aussterben von Arten kommen. Wenn sie keine genetische Vielfalt mehr haben, sterben sie aus – vor allem Arten mit geringer Mobilität, die in alten Primärwäldern leben“, sagt Patty Garvey-Darda. Die Wildtierbiologin beim U.S. Forest Service ist beim I-90-Projekt auch die designierte Kontaktperson für das Ministerium für Transport.

    Wildbrücken sind für große Säugetiere wichtig, um tödliche und teure Autounfälle zu vermeiden. Aber auch kleinere Tiere wie diese bedrohte Gopherschildkröte in Wiggins im US-Bundesstaat Mississippi profitieren von ihnen.

    Foto von Joël Sartore, Nat Geo Image Collection

    Die Snoqualmie-Wildbrücke hilft dabei, diese isolierten Populationen wieder miteinander zu verbinden. Auch die Unterführungen der I-90, die Feuchtgebiete und Bäche mit dem Fluss Yakima verbinden, seien von entscheidender Bedeutung, vor allem für die Verbindung von Wasserwegen und aquatischen Arten, sagt Jen Watkins von Conservation Northwest. Die gemeinnützige Organisation setzt sich für den Erhalt unberührter Landgebiete und einheimischer Wildtiere ein. „Wir haben Stierforellen in neuen Zuflüssen, die sie in der jüngeren Vergangenheit nicht genutzt haben. Wir sind zwar nicht überrascht, dass die Unterführungen funktionieren, aber wie schnell die Tiere darauf reagiert haben, ist schon aufregend“, sagt Watkins. Stierforellen gehören zu den bedrohten Arten und profitieren ebenso von den Unterführungen wie Salamander und andere Reptilien, die artenschutzrechtlich relevant sind.

    Was braucht es für eine erfolgreiche Grünbrücke?

    Eines der meistbeachteten Beispiele für erfolgreiche Wildbrücken befindet sich in Banff, über dem Trans-Canada Highway. Eine Studie zeigte, dass in einem etwa drei Kilometer langen Abschnitt die Zahl der Wildunfälle von durchschnittlich 12 pro Jahr auf 2,5 gesunken ist. Das reduzierte die Unfallkosten um 90 Prozent – um mehr als 100.000 Dollar. Es sind Statistiken wie diese, die dazu geführt haben, dass dort in den letzten zwei Jahrzehnten zusätzliche Wildbrücken gebaut wurden.

    Tony Clevenger, ein leitender Forscher und Wildtierbiologe am WTI, beobachtet seit mehr als 17 Jahren die Tierwelt an den 6 Wildbrücken (und 38 Unterführungen) von Banff. Er fand heraus, dass Tiere unterschiedliche Vorlieben haben, wenn es darum geht, sich auf einer Über- oder Unterführung sicher zu fühlen. Diese Beobachtung vor dem Bau zu machen, sei entscheidend, sagt er.

    „Grizzlybären, Wapitis, Hirsche und Elche bevorzugen weite, offene Bereiche“, sagt er. „Pumas und Schwarzbären bevorzugen kleinere, engere Querungen mit weniger Licht und mehr Deckung.“ Diese Neigungen haben evolutionäre Gründe: Schwarzbären und Pumas haben ihr natürliches Zuhause im Wald und nicht auf einer Wiese, daher fühlen sie sich auf einer großen, offenen Fläche nicht wohl.

    Selbst wenn Tiere keine sicheren Wege haben, um Autobahnen zu überqueren, versuchen es viele Arten trotzdem – so auch diese Schwarzbärenmutter und ihre Jungen in Alberta, Kanada.

    Foto von Barret Hedges, Nat Geo Image Collection

    Das beeinflusste die Landschaftsgestaltung der Banff-Wildbrücken. „Auf der einen Seite haben wir Bäume und Sträucher gepflanzt und auf der anderen Seite gibt es offene, mit Gras bepflanzte Bereiche“, sagt Clevenger.

    Die langfristige Überwachung der lokalen Tierwelt, um herauszufinden, wo Tiere die Straße überquerten – oder es versuchten, dann aber umkehrten –, war der Schlüssel zum Erfolg des Snoqualmie-Projekts. Sie begann fünf Jahre vor Baubeginn und wird bis heute fortgesetzt. Die Statistiken des Washingtoner Verkehrsministeriums zu überfahrenen Tieren wurden mit den Beobachtungen von Bürgerwissenschaftlern vor Ort und den Daten des U.S. Forest Service kombiniert.

    Die Wahl der Querung kann sogar vom Geschlecht eines Tieres abhängen. Eine Studie aus dem Jahr 2014 in Banff untersuchte die DNA aus Schwarzbären-Haarproben und Kameradaten. Das Ergebnis: Paarungsbereite Weibchen bevorzugen Überführungen, während Männchen lieber Unterführungen nutzen. „Jetzt wissen wir, dass wir Überführungen bauen müssen, damit paarungsbereite Weibchen die Straße queren können, wenn wir die Vernetzung [der Populationen] erhalten wollen“, sagt Clevenger.

    Während Tiere wie Kojoten und Rehe, die bereits an menschliche Bauten gewöhnt sind, die Washingtoner I-90-Brücken fast sofort nutzten und sogar zwischen den Baumaschinen umhersprangen, ist die Lernkurve für andere Arten flacher. Wapitis, Grizzlybären und Pumas brauchen ein paar Jahre, um sich an die Querungen zu gewöhnen. Bei Vielfraßen, Luchsen, Wölfen und Fischermardern können es fünf Jahre oder mehr sein. Aber sobald die Routen über oder unter der Straße etabliert sind, werden sie zu generationsübergreifendem Wissen: „Pumas mit Jungtieren und Schwarzbären mit Jungtieren werden diese Übergänge nutzen“, sagt Clevenger.

    Diese Early Adopter sind in zweierlei Hinsicht wichtig. Sie halten sich nicht nur selbst von der Straße fern und reduzieren damit Zusammenstöße zwischen Autos und Tieren, sondern schaffen auch Wege, denen zaghaftere Tiere folgen, sagt Clevenger. Auch Zäune helfen: Sie leiten die Tiere weg von gefährlichen Autobahnkreuzungen und hin zu Über- und Unterführungen.

    Puma stürzt sich auf einen Hirsch

    „Wir wollen nicht nur Verbindungen zwischen den Tieren schaffen – wir wollen ganze Ökosysteme schaffen“, sagt Garvey-Darda. Das bedeutet, dass auch die kleineren Tiere wie Spitzmäuse, Wühlmäuse, Springmäuse und Pfeifhasen berücksichtigt werden. Steinhaufen und Gestrüpp werden eigens angelegt, um diese kleineren Arten zu ermutigen, die Wildbrücken zu nutzen.

    „Wir haben Glück. Im Bundesstaat Washington haben wir noch alle unsere einheimischen Wildtierarten – sogar Grizzlys und Luchse“, sagt sie. „Das können nicht viele Staaten von sich behaupten. Die Wildbrücken werden dazu beitragen, dass das bei uns auch in Zukunft so bleibt.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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