Warum wackelt der Wackelwald?

In Oberschwaben wackelt bei jedem Schritt ein ganzer Wald. Das Waldphänomen hat seinen Ursprung in der letzten Eiszeit.

Von Anna-Kathrin Hentsch
Veröffentlicht am 3. Feb. 2021, 14:31 MEZ, Aktualisiert am 5. Feb. 2021, 10:05 MEZ
Warum wackelt der Wackelwald?

Das Federseemoor bildet ein einmaliges Ökosystem. Auf den Pfaden im Wackelwald schwingt der Boden bei jedem Schritt zurück. 

Foto von Dieter Ruoff

Im Wald findet man Ruhe, ebenso wie Stöcke und Moos. Forest-Bathing ist eine hippe Wochenendbeschäftigung geworden. Ein ganz besonderes Waldphänomen können Besucher am Ortsrand von Bad Buchau in Baden-Württemberg erleben: Im sogenannten Wackelwald federt jeder Schritt zurück und die umliegenden Bäume schwingen mit.

Das Phänomen des wackelndes Waldes ist auf den Torfboden des Gebietes zurückzuführen, auf dem sich eine tragfähige Wurzelschicht ausgebildet hat. Der Wackelwald bei Bad Buchau ist Teil des Naturschutzgebiets Federsee. Gemeinsam mit fünf weiteren Naturschutzgebieten liegt er im Federseemoor, dem größten Moor in Südwest-Deutschland. Hier befinden sich auf fast 3.000 Hektar schutzwürdige Lebensräume. Darunter kalkreiche Sümpfe, regenerationsfähige Hochmoore, Übergangsmoore und ursprüngliche Moorwälder - und der Wackelwald.

Entstehung des Wackelwaldes

Für die Entstehung eines solchen Moorphänomens müssen ein paar Grundvoraussetzungen erfüllt sein. „Grundsätzlich ist die Moorentstehung davon abhängig, dass wir einen Wasserüberschuss in der Landschaft haben“, erklärt Vegetationsökologe Prof. Dr. Matthias Drösler von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf in Freising. „Der Voralpenbogen ist eiszeitgeprägt, die Moore dort sind circa 12.000 Jahre alt. Nach der letzten Eiszeit ging die Moorbildung los: Das startet in der Regel damit, dass sich die nacheiszeitlichen Mulden in der Landschaft mit Wasser füllen. Dann wachsen dort Pflanzen, die nasse Bedingungen aushalten. Weil die Pflanzen mit den Wurzeln im Wasser stehen, sinken die Blätter unter die Wasseroberfläche, wo das organische Pflanzenmaterial aufgrund des geringeren Sauerstoffanteils sehr langsam abgebaut wird. Der Grund für die Moorentstehung ist im Prinzip ein Zeitunterschied zwischen dem Aufbau der Biomasse und dem Abbau der Biomasse - der Abbau geht viel langsamer als der Aufbau. Dadurch baut sich sukzessive ein Torfboden auf, der demnach aus alten Pflanzen besteht. Durch diese Moorbildung schliesst sich die Wasserfläche sukzessive.“

Die Verlandung des eiszeitlichen Schmelzwasserstausees ist im Fall des Naturschutzgebietes Federsee nicht komplett eingetreten, der Bereich des Federsees ist noch offen. Doch im gesamten Federseemoor – also auf etwa 30 km² – schwingt der Boden, wenn man in den Knien federt. Dass man beim Betreten des Moores nicht einsinkt, liegt an den flachen Wurzeltellern der Bäume: „Die Wurzeln der Bäume bilden ein tragfähiges Geflecht. Weil der Torfboden recht nah an der Oberfläche bereits wassergesättigt ist, wollen die Pflanzen nicht tief einwurzeln, sondern bilden eine ganz flache Wurzelschicht aus, die wie ein Teller oben auf dem Boden liegt“, erklärt Dr. Drösler. Dazu kommt die Kalkmudde: Im Wackelwald, der aufgrund der beiden Seefällungen in einem sehr jungen Niedermoorbereich liegt, war noch nicht genügend Zeit, als dass sich über der Mudde eine dicke, durchwurzelungsfähige Torfauflage hätte bilden können. In anderen Bereichen ist der durchwurzelungsfähige Horizont aufgrund der großflächigen Abtorfung nur dünn.

Angepasste Baumarten

Im Wackelwald bei Bad Buchau wachsen neben den natürlicherweise an solchen Standorten vorkommenden, feuchtigkeitsangepassten Baumarten wie Moorbirke, Faulbaum, Weide oder Moorkiefer, auch viele Fichten mit einem flachen Wurzelhorizont. Fichten kommen in der Regel in Monokultur nicht in Niedermooren vor, der Grund für den hohen Fichtenanteil im Feedermoor liegt in einer einst vorgenommene Aufforstung: Der Wackelwald steht auf einem ehemaligen Eisweiher, aus dem im Winter einer Brauerei Eis zur Kühlung des Bierkellers gewann. Der Bereich wurde mit Fichten aufgeforstet und schließlich aus der forstwirtschaftlichen Nutzung genommen. Die Flora wurde sich selbst überlassen und Pflanzenarten, die unter nassen Bodenbedingungen zurecht kommen, konnten einwachsen. Der so entstandenen Mischwald mit flachem Wurzelhorizont auf Weichboden sorgt für die Oberflächenbewegung im Wackelwald. „Der Torfboden unter den Wurzeln gibt ein bisschen nach. Steigt man darauf oder springt, bewegt sich die Oberfläche und die Wurzeln übertragen die Schwingung auf die Bäume, die dann mitwackeln“, so der Vegetationsökologe.

Angst vor umstürzenden Bäumen braucht man aber selbst bei einer springenden Schulkasse nicht haben. „Das Netz ist sehr belastbar. Der Flächendruck des Menschen ist mit ungefähr 180 Gramm pro Quadratzentimeter absolut harmlos. Ein Baum muss dem Winddruck standhalten und bildet aus Stabilitätsgründen ein breites Wurzelgeflecht aus, das ihn auch den Schwung springender Gruppen aushalten lässt. Das flache Wurzelwerk hat zwei positive Effekte für den Baum: Er kann in den durchlüfteten, obersten Schichten wurzeln und hat eine sehr breite Standfläche. Ein flexibles, aber sehr stabiles System.“

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    „Wie auf einer Puddinghaut“

    Selbiges berichtet auch Kerstin Wernicke vom NABU Naturschutzzentrum Federsee aus ihrer praktischen Erfahrung vor Ort: „Es hat noch nie eine Besuchergruppe geschafft, einen Baum zum Stürzen zu bringen. Das NABU Naturschutzzentrum veranstaltet Gruppenführungen, auch mit einer Schulklasse oder einer Erwachsenengruppe mit 30 Leuten. Je mehr Personen es sind, umso besser wackelt es. Aber die Bäume halten. Der gut erschlossene Naturerlebnispfad durch den Wackelwald ermöglicht ein hautnahes Naturerlebnis, ohne die Schutzbestimmungen zu verletzen. Man kommt sich vor wie auf einer Puddinghaut.“

    Ökologische Serviceleistung

    Während der Wackelwald in erster Linie bei Tagesausflüglern die gute Laune in Schwingung bringt, hat das Naturschutzgebiet am Federsee aber noch einen viel interessanteren Effekt auf die Menschen, wie Dr. Drösler abschliessend erklärt: „Das Phänomen Wackelwald ist für die Natur nichts Besonderes. Doch die seltenen Ökosysteme des Niedermoors und der Moorlandschaften sind mit ihren besonderen Standortbedingungen nicht nur ein Lebensraum für Spezialisten der Fauna, also für Tiere die nur hier vorkommen. Darin besteht der naturschutzfachliche Wert von Mooren. Zusätzlich stehen Moore seit einiger Zeit auch aus Klimaschutzsicht im Fokus: Der Wert dieser Landschaften wird wieder neu entdeckt, denn Moore binden extrem viel Kohlenstoff. Wenn wir es schaffen, wieder eine Bilanz zu entwickeln, bei der oben mehr aufwächst als unten abgebaut wird, werden Moore wieder zu einer Stoffsenke und wir haben eine tolle ökologische Serviceleistung dieses Ökosystems für den Menschen.“ Ganz in diesem Sinne wurden am Federsee mit EU-Hilfe bereits rund 450 Hektar wiedervernässt.

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