Bote des Todes: Kanadas neuer Tyrannosaurus

Der Tyrannosaurier mit der vernarbten Schnauze war ein echter Zufallsfund und liefert Hinweise darauf, wie die Tiere an die Spitze der Nahrungskette aufsteigen konnten.

Von Maya Wei-Haas, Michael Greshko
Veröffentlicht am 14. Feb. 2020, 17:20 MEZ
Für einen Laien sehen sich viele Arten von Tyrannosauriern zum Verwechseln ähnlich. Thanatotheristes hatte aber einige Merkmale, die ihn von seinen Verwandten unterscheiden.
Foto von Julius Csotonyi (Illustration)

Jared Voris hat dem Tod ins Auge gesehen. Anfang 2018 hatte der Masterstudent der kanadischen University of Calgary bereits mehr als ein Jahr damit verbracht, die Knochen in Museumssammlungen zu untersuchen. Er wollte herausfinden, wie Tyrannosaurier im Laufe der Evolution von winzigen Echsen zu gewaltigen Raubtieren heranwuchsen. Als er zu diesem Zweck das Royal Tyrrell Museum of Palaeontology in Alberta besuchte, fiel ihm eine Vitrine mit Fossilien auf, die er nicht ganz einordnen konnte.

Nach zwei Jahren sorgfältiger Recherche haben Voris und seine Kollegen nun den ersten neuen kanadischen Tyrannosaurier seit 50 Jahren identifiziert. Dem gut acht Meter langen Tier gaben sie den Namen Thanatotheristes, was so viel wie „Schnitter des Todes“ bedeutet.

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Thanatotheristes degrootorum wandelte vor rund 79,5 Millionen Jahren auf der Erde. Zu dieser Zeit standen die Tyannosaurier kurz davor, zu den Spitzenräubern ihres Ökosystems zu werden. Die Schädelfragmente – darunter Ober- und Unterkiefer, Zähne und ein Teil des Jochbeins – lassen bereits erste Anzeichen jener Merkmale erkennen, die der Dinosaurierfamilie später zu ihrem Spitzenplatz in der Nahrungskette verhalfen.

„Ich habe versucht, wirklich sehr sorgfältig dabei vorzugehen, einzigartige Merkmale an [dem Fossil] zu identifizieren“, sagt Voris, der an der University of Calgary mittlerweile Doktorand ist. „Die Gelegenheit, eine neue Art zu benennen, ist eine spannende Erfahrung. Ich hoffe, das war noch nicht der Höhepunkt meiner Karriere.“

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    Bislang sind Schädelfragmente alles, was vom Thanatotheristes gefunden wurde. Falls noch weitere Knochen an seiner Fundstelle lagen, wurden sie vor Kurzem vermutlich durch heftige Regenfälle weggespült.
    Foto von Jared Voris

    Als die Tyrannosaurier vor 165 Millionen Jahren die Bühne betraten, waren sie noch weit davon entfernt, als „Tyrannen“ der Kreidezeit über Asien und Nordamerika zu herrschen. Einige von ihnen waren mit gerade mal anderthalb Metern Länge sogar ziemlich klein und jagten im Schatten größerer Räuber wie den Allosauriern.

    Vor etwa 80 Millionen Jahren verschwanden die massigen Raubsaurier dann langsam aus der Geschichte. So erhielten die Tyrannosaurier die Chance, an die Spitze der Nahrungskette zu klettern und sich zu wahren Giganten zu entwickeln. Vor 66 Millionen Jahren, direkt vor seinem Aussterben, brachte es der berüchtigte Tyrannosaurus rex bei bis zu zwölf Metern Länge auf über neun Tonnen Gewicht. Im Gegensatz dazu war Thanatotheristes, der am 23. Januar 2020 in „Cretaceous Research“ vorgestellt wurde, kein solches Schwergewicht und auch kleiner als T. rex. Damit zeigt sich auch die Vielfalt der Spitzenräuber jener Zeit.

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    „Wie es scheint, hatten die Tyrannosaurier eine dynamische Evolutionsgeschichte“, schrieb der Paläontologe Steve Brusatte von der University of Edinburgh in einer Mail. Er selbst war an der Studie nicht beteiligt. „Das waren nicht allesamt monströse Superprädatoren wie T. rex. Es gab viele kleine Untergruppen, die ihr eigenes Gebiet und ihren eigenen charakteristischen Körperbau hatten.“

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    Tyrannosaurier waren wahrscheinlich selten – und umso seltener sind sie im Fossilbericht. Aber das ist nicht einzige Faktor, der die Rekonstruktion ihrer evolutionären Geschichte aus Knochenfragmenten erschwert. Ihre pflanzenfressenden Zeitgenossen hatten allerlei Nackenfalten und Hornplatten, mit denen sich die Arten untereinander identifizierten, Rivalen einschüchterten oder potenziellen Partnern imponierten. Die Tyrannosaurier hingegen verzichteten auf diese Art der Außenwerbung.

    Zudem lässt sich nur schwer feststellen, wann neue Arten in den Fossilbericht Einzug hielten, sagt der Paläontologe Scott Persons vom College of Charleston, der kein Teil des Studienteams war. „Da geht’s richtig ans Eingemachte und man muss bei seinen taxonomischen Beobachtungen ganz genau aufs Detail achten.“

    Jeder noch so kleine Dinosaurierknochen enthält wichtige Hinweise – auch jene, die durch Zufall gefunden werden, wie es beim Thanatotheristes der Fall war. John und Sandra De Groot stolperten 2010 sprichwörtlich über die Knochen, als sie mit ihrer Familie einen Spaziergang am Bow River im Süden Albertas unternahmen. Die beiden kontaktierten das Royal Tyrrell Museum, das Paläontologen losschickte, um die Fossilien einzusammeln und nach weiteren Knochen zu suchen. Zu Ehren der Familie gab Voris’ Team dem Dinosaurier den Artnamen degrootorum.

    „Sie haben wirklich einen unschätzbaren Beitrag geleistet“, sagt Voris über die De Groots. „Das zeigt, dass man kein Paläontologe sein muss, um der Paläontologie zu helfen.“

    Fast ein Jahrzehnt, nachdem die Fossilien gereinigt, katalogisiert und eingelagert worden waren, begannen Voris und seine Kollegen damit, das Paläopuzzle zusammenzusetzen. Dabei konzentrierten sich die Forscher auf die Kieferknochen: An ihnen zeigten sich einzigartige, auffällige Rillen, die auf Strukturen im Gesicht des Tieres hindeuteten. Außerdem war das Jochbein im Querschnitt oval geformt, was bei nah verwandten Tyrannosauriern nicht der Fall ist.

    Dafür ähnelte Thanatotheristes seinen Verwandten –  die nicht gerade friedliche Tiere waren –  auf andere Weise. Tyrannosaurier-Schnauzen sind oft von Narben überzogen, die von Auseinandersetzungen mit anderen Tieren zeugen. Auch Thanatotheristes ist da keine Ausnahme: Seinen rechten Oberkiefer ziert eine etwa zehn Zentimeter lange, helle Narbe. „Er ist ein Scarface“, sagt Persons.

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    Das Fossil ist ein Beleg für die Vielfalt der nordamerikanischen Tyrannosaurier. Viele von ihnen lebten und starben am westlichen Ufer eines gewaltigen Binnenmeeres, das sich vom heutigen Arktischen Ozean bis zum Golf von Mexiko erstreckte.

    T. degrootorum stammt aus einer bisher wenig erforschten Gesteinsformation. Aufgrund seines Alters liefert das Fossil Hinweise darauf, wie sich die frühen Tyrannosaurier zu solchen Giganten entwickelten. „Er ist der älteste bekannte Tyrannosaurus aus dem Norden Nordamerikas“, sagt die Co-Autorin Darla Zelenitsky, eine Paläontologin der University of Calgary und Voris’ Promotionsberaterin.

    Zusammen mit Thanatotheristes scheinen sich für die Tyrannosaurier aus den USA zwei verschiedene Abstammungslinien zu ergeben: eine nördliche Gruppe mit langer Schnauze und eine südliche Gruppe mit kürzerer Schnauze. Womöglich zeugt dieser Unterschied von verschiedenen Nahrungspräferenzen, die an die verfügbare Beute und Umgebung angepasst waren.

    Unklar ist, was genau dieses Muster in Nordamerika bedingt hat. Eine Möglichkeit wäre die Größe der Beutetiere. Die asiatische Tyrannosaurier-Gruppe, aus denen auch die großen Arten wie T. rex hervorgingen, lebte neben pflanzenfressenden Kolossen wie den langhalsigen Sauropoden. Womöglich wurden diese Tyrannosaurier so groß, um auch solche Titanen der Urzeit erlegen zu können.

    Nach wie vor gibt es viel über die unterschiedlichen Tyrannosaurus-Formen zu lernen – und der Fossilbericht weist noch viele Lücken auf, insbesondere für Thanatotheristes. Abgesehen von einem kleinen Kieferfragment, das 2018 an einer anderen Grabungsstelle in Alberta entdeckt wurde, sind die Knochen vom Bow River bisher die einzigen bekannten Fossilien des Raubtiers. Folgeexpeditionen an die Stelle, an der die De Groots die Knochen fanden, blieben erfolglos. Falls noch irgendwo Überreste des Tieres lagen, wurden sie vor Kurzem wahrscheinlich durch heftige Regenfälle weggeschwemmt.

    Wenn es nach Voris geht, bleibt Thanatotheristes aber nicht lange einsam: Er möchte im Süden Albertas andere Bereiche derselben Gesteinsformation nach weiteren Fossilien der Art absuchen.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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