Neue Software soll Maskenverweigerer erkennen
Ein neuer Algorithmus kann Bildmaterial aus Überwachungskameras auf Schutzmasken prüfen. In Irland und den USA wird das System bereits getestet.
Die Software von Tryolabs besteht aus zwei Hauptkomponenten: Die Haltungs-Algorithmen erkennen verschiedene Körperteile, bevor die Klassifizierungs-Algorithmen entscheiden, ob die Gesichtsregion von einer Maske bedeckt wird.
Fast unmittelbar nach Beginn der COVID-19-Pandemie begann die Maskenpflicht – und wie bei jeder Regel gab es Menschen, die sich nicht daran hielten und dafür angeprangert wurden. Im Februar machten einige Provinzen und Gemeinden in China das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit zur Pflicht. Schon bald darauf folgten Nachrichtenberichte über Anwohner und Polizei, die Maskenverweigerer tadelten – ein Trend, der inzwischen weltweit zu beobachten ist.
Als Akash Takyar diese Geschichten aus China hörte, fragte er sich, ob seine Softwarefirma LeewayHertz nicht einen friedlicheren Weg anbieten könnte, um das neue Miteinander während der Pandemie zu gestalten. Takyar erkannte, wie wichtig das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes ist, um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 zu verlangsamen. Doch anstatt die Öffentlichkeit sich gegenseitig überwachen zu lassen, wollte er ein Computerprogramm entwickeln, das über Bilderkennung beurteilen kann, ob Menschen eine Maske tragen.
Sein Unternehmen mit Sitz in San Francisco ist eines von vielen, die derzeit neue Programme zur Maskenerkennung entwickeln. Ihr Ziel: Sie wollen die Menschen dazu bringen, sich im Interesse des öffentlichen Wohls an die Vorschriften zu halten. Bisher haben Masken herkömmliche Gesichtserkennungssoftware eher durcheinandergebracht. Aber die neu entwickelten Machine-Learning-Algorithmen könnten möglicherweise in privaten oder öffentlichen Räumen eingesetzt werden, um die Einhaltung der Vorschriften zu überprüfen und Einzelpersonen diese Verantwortung – zumindest vordergründig – aus der Hand zu nehmen.
Learning-Algorithmen könnten möglicherweise in privaten oder öffentlichen Räumen eingesetzt werden, um die Einhaltung der Vorschriften zu überprüfen und Einzelpersonen diese Verantwortung – zumindest vordergründig – aus der Hand zu nehmen.
Die Software von Tryolabs erkennt, ob Personen einen Mund-Nasen-Schutz tragen, wenn sie an einer Überwachungskamera in der Nähe der Temple Bar in Dublin vorbeigehen. Das CCTV-Material wurde von EarthCam gesammelt; die Analyse wurde mit Genehmigung von Tryolabs durchgeführt.
Derzeit haben 34 US-Bundesstaaten und der District of Columbia eine Maskenpflicht für öffentliche Räume, sowohl im Freien als auch in Gebäuden. Die Einhaltung kann jedoch von einer Reihe von Faktoren abhängen, von der persönlichen Einstellung bis hin zu finanziellen Problemen, die das Kaufen einer Maske verhindern. In den meisten Fällen kommen Menschen, die die Maskenpflicht missachten, ungestraft davon – selbst wenn nichts gegen das Tragen einer Maske spräche. Nur ein paar wenige Berichte aus Nevada, Louisiana und Indiana zeigen, dass die Strafverfolgungsbehörden eingeschritten sind, um Personen festzunehmen, die sich ohne Maske in Geschäften oder Unternehmen aufhielten.
Bei Unternehmen, deren Mitarbeiter nach dem Lockdown wieder in die Geschäftsräume zurückkehren, könnte die Nichteinhaltung der Vorschriften dazu führen, dass sich andere Personen am Arbeitsplatz infizieren. Letztlich könnte es für ein Unternehmen ein großer Verlust sein, wenn es zu einem Ausbruch käme, weil jemand asymptomatisch war und keine Maske trug, sagt Takyar.
Die Analyse von CCTV-Aufnahmen mit Maskenerkennungssoftware könnte einen Eindruck davon vermitteln, wie viele Menschen in einem bestimmten Gebiet – z.B. im Stadtteil Little Italy von New York City – die Gesundheitsempfehlungen befolgen. Das CCTV-Material wurde von EarthCam gesammelt; die Analyse wurde mit Genehmigung von Tryolabs durchgeführt.
Aber „Gesichtsdaten sind ebenso wertvoll wie ein Fingerabdruck“, erklärt Deborah Raji vom AI Now Institute an der New York University. Und all jene, die bereits Vorbehalte gegenüber der Gesichtserkennung hatten, hinterfragen nun, ob Maskenerkennungssoftware – so gut sie auch gemeint sein mag – in der heutigen Gesellschaft einen Platz haben sollte.
Wie Computer eine Maske erkennen
Heutige Gesichtserkennungssoftware untersucht die Merkmale rund um Augen, Nase, Mund und Ohren, um eine Person zu identifizieren, deren Bild bereits vorliegt – entweder von der Person selbst bereitgestellt oder in einer Kriminaldatenbank. Das Tragen einer Maske behindert diese Erkennung; ein Problem, auf das viele Systeme bereits gestoßen sind und das andere gelöst haben. Zum Beispiel verwendet Apples FaceID Gesichtserkennung, damit Benutzer ihr iPhone entsperren können. Kürzlich veröffentlichte die Firma ein System-Update, das im Wesentlichen erkennen kann, ob eine Person einen Mund-Nasen-Schutz trägt. In dem Fall fordert die Software den Benutzer auf, seinen Passcode einzugeben, anstatt die Gesichtsbedeckung abzusetzen.
Den Entwicklern zufolge umgeht die Maskenerkennungssoftware theoretisch Datenschutzprobleme, weil die Programme die Personen nicht wirklich identifizieren. Solche Software wird mit zwei Arten von Bildern trainiert: Eine bringt dem Algorithmus bei, wie man ein Gesicht erkennt („Gesichtserkennung“), und die zweite zeigt ihm, wie man eine Maske auf einem Gesicht erkennt („Maskenerkennung“). Der Algorithmus identifiziert die Gesichter nicht so, dass sie mit einer bestimmten Person in Verbindung gebracht werden können. Das liegt daran, dass er nicht mit Bildern trainiert wird, auf denen mit Identitäten verknüpfte Gesichter zu sehen sind.
Die Haltungs-Algorithmen zeichnen Körperteile und deren Positionen mit farbigen Linien nach. Sobald ein Kopf lokalisiert ist, schneidet die Software ein Bild des potenziellen Gesichts aus.
Unternehmen, die Maskenerkennungssoftware entwickelt haben, sehen einen flächendeckenden Nutzen für ihre Technologie. Sie könne eingesetzt werden, um politische Entscheidungsträger zu unterstützen oder Sensibilisierungskampagnen zu fördern.
„Wenn wir die Anzahl [der Personen, die die Maskenpflicht einhalten] berechnen können, kann man Richtlinien erstellen und im Auge behalten, ob eine weitere Kampagne nötig ist, um zum Tragen von Masken zu motivieren“, sagt Alan Descoins. Er ist der Chief Technology Officer von Tryolabs, einem Unternehmen mit Sitz in Montevideo in Uruguay, das eine Software zur Maskenerkennung entwickelt hat. „Oder wenn die Leute langsam von COVID gelangweilt sind und anfangen, keine Masken mehr zu tragen, dann muss vielleicht mehr Werbung gemacht werden, um die Leute darauf hinzuweisen.“
Der Algorithmus von LeewayHertz kann beispielsweise in Echtzeit verwendet und in CCTV-Kameras integriert werden. Aus den Frames in einem Video isoliert er Bilder und ordnet sie in zwei Kategorien ein: Personen, die Masken tragen, und solche, die keine Masken tragen. Gegenwärtig wird diese Erkennungssoftware in den Vereinigten Staaten und in Europa eingesetzt. Restaurants und Hotels verwenden sie, um sicherzustellen, dass das Personal die Maskenpflicht einhält. Ein Flughafen an der Ostküste der Vereinigten Staaten testet die Technologie ebenfalls vor Ort, sagt Taykar.
Die privaten Unternehmen hätten dann die Kontrolle über diese Daten und ihre Verwendung. Kaufhäuser könnten sie beispielsweise dazu verwenden, Schutzmasken an Kunden zu verteilen, die keine tragen. Ein Unternehmen könnte einen Mitarbeiter entlassen, der sich weigert, am Arbeitsplatz Masken zu tragen.
Während Taykar einen triftigen Grund für den Einsatz von Maskenerkennungssoftware in privaten Räumlichkeiten sieht, könnte die öffentliche Nutzung kritischer sein: „Wenn Sie sich den Times Square ansehen und dort kein Social Distancing betrieben wird, was machen Sie dann mit diesen Daten? Würden Sie die Bilder der Leute dort auf den digitalen Reklametafeln zeigen?“
Eine Frage des Datenschutzes
James Lewis sieht ein, dass die Maskenerkennung während der Pandemie nützlich sein könnte, um die Einhaltung der Regeln zu überprüfen. Als Direktor des Programms für Technologiepolitik am Center of Strategic and International Studies in Washington D.C. ist er jedoch besorgt über den Mangel an Regeln, die vorschreiben, wie diese gesammelten Daten verwendet werden dürfen.
Aktuell gibt es in den USA kein landesweites Gesetz, das den Datenschutz regelt. Stattdessen gibt es einen Flickenteppich von Vorschriften, die sich auf bestimmte Sektoren wie Gesundheit, Finanztransaktionen und Marketing beziehen. Darüber hinaus müssen Unternehmen und Einrichtungen, die personenbezogene Daten sammeln, keine Auskunft darüber geben, was mit diesen Daten geschieht.
Die Klassifizierungs-Algorithmen entscheiden, ob der Bildausschnitt des Gesichts eine Maske enthält. Dieser Vorgang wird während einer Videosequenz mehrmals wiederholt, wobei jedes Mal ein neuer Punkt unter den Gesichts-Thumbnails an der Seite angezeigt wird. Die Punkte sind grün, rot oder gelb gefärbt und bedeuten „Maske“, „keine Maske“ oder „unentschlossen“. Das Programm wählt „unentschlossen“, wenn das Gesicht nicht deutlich sichtbar ist (wenn die Person beispielsweise von der Kamera abgewandt ist) oder wenn es unsicher ist, ob eine Maske vorhanden ist.
Kritiker der Maskenerkennung sind außerdem der Meinung, dass diese neue Technologie für einige der gleichen Probleme wie die Gesichtserkennung anfällig sein könnte. Viele der Trainingsdatensätze für die Gesichtserkennung enthalten hauptsächlich hellhäutige Personen. Im Jahr 2019 untersuchten die Forscherin Joy Buolamwini vom Media Lab des MIT und Deborah Raji vom AI Now Institute die Genauigkeit kommerzieller Datensätze, die von großen Technologieunternehmen verwendet werden. Sie prüften die Leistung von Erkennungssystemen mit Hilfe eines Algorithmus, der mit den Standarddatensätzen trainiert worden war. Danach verwendeten sie einen neuen Satz von Gesichtern, der ethnisch ausgewogener war. Die Wissenschaftlerinnen stellten fest, dass die Genauigkeit des Algorithmus bei der Identifizierung der neuen Gesichter weniger als 70 Prozent betrug.
Ein weiterer Aspekt des maschinellen Lernens, der berücksichtigt werden muss: Niemand weiß wirklich, worauf sich der Algorithmus bei seiner Entscheidung stützt. Raji führt als Beispiel einen Algorithmus an, den man darauf trainieren will, eine Kuh zu erkennen. „Sie denken, Sie zeigen dem Modell eine Reihe von Kühen, aber Sie merken nicht, dass [der Algorithmus] vielleicht die Wiesen im Hintergrund betrachtet, um die Kuh zu kennzeichnen.“
Dieses Prinzip ließe sich auch auf die Gesichts- oder Maskenerkennung anwenden: Es ist möglich, dass Machine-Learning-Modelle andere „Hintergrundmerkmale“ wie Ethnie und Geschlecht erkennen könnten, die eventuell dazu führen, dass die Maskenerkennung fehlerhaft ist. „Es gibt noch andere Merkmale, die die Entscheidung [des Algorithmus] beeinflussen“, sagt Raji – und die Forscher im Bereich des maschinellen Lernens arrangieren sich gerade erst noch mit dieser Einschränkung der Technologie.
Außerdem glaubt sie, dass es vielleicht gar keiner technischen Lösung bedarf, um Menschen zum Tragen von Masken zu bewegen. Auf sie wirkt die Maskenerkennung wie ein „Technologie-Theater“: Software wird eingeführt und Datenschutzdebatten werden losgetreten, um ein Problem anzugehen, während die zugrundeliegende Problematik völlig außer Acht gelassen wird.
Diese Meinung teilt auch Aaron Peskin, der Stadtaufseher von San Francisco. Um die Menschen dazu zu bewegen, sich an die Maskenregelungen zu halten, gebe es bessere Wege als Erkennungssysteme, die bürgerliche Freiheiten potenziell verletzen können, wie er sagt. 2019 brachte er einen Gesetzesentwurf ein, der Strafverfolgungsbehörden die Verwendung von Gesichtserkennungssoftware verbot.
„Mit einem solchen Grad an Invasion [in die Persönlichkeitsrechte] herumzulaufen, ist nicht gerade förderlich für eine gesunde Gesellschaft“, sagte Peskin gegenüber National Geographic. Er verwies auf die Polizei, die in New York City im Washington Square Park stationiert war, um Schutzmaskeen an Passanten zu verteilen.
Erst diese Woche hat Portland in Oregon ein Gesetz verabschiedet, das die öffentliche und private Nutzung von Gesichtserkennungssoftware verbietet. Damit ist es die erste Stadt in den USA, in der die Nutzung dieser Technologie illegal ist. Aber in Oregon herrscht gleichzeitig auch eine landesweite Maskenpflicht. Hector Dominguez, der Smart City Open Data Coordinator für Portland, betrachtet die Maskenerkennung hinsichtlich ihrer Datenschutzrisiken anders als die Gesichtserkennung.
„Wir befinden uns mitten in einer Krise. Wir müssen anfangen, mehr Bewusstsein für den Schutz der Privatsphäre zu schaffen“, sagt er im Hinblick darauf, wie Daten im Allgemeinen verwendet oder weitergegeben werden. Portlands Verbot der Gesichtserkennung hat keine Auswirkungen auf die Verwendung von Maskenerkennungssystemen. Aber Dominguez ist skeptisch, ob Maskenerkennungssysteme am Ende nicht doch mehr Daten erfassen würden. „Masken werden die Gesichtserkennung nicht stoppen“, sagt er.
Letztlich besteht das Risiko der Maskenerkennung darin, dass sie einen gefährlichen Präzedenzfall dafür schaffen könnte, was passiert, wenn die Pandemie vorbei ist, argumentieren ihre Kritiker.
„Es besteht die Bereitschaft, die Regeln zu lockern, wenn es um COVID geht“, sagt Lewis vom CSIS. „Die Frage ist: Wenn das alles vorbei ist, kehren wir dann wieder zum Alten zurück?“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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