Spinnen, Schlangen, Höhenangst: Wie wir unsere Phobien überwinden

Warum entwickeln wir panische Angst vor harmlosen Objekten und Situationen? Und wie besiegen wir unsere Monster im Kopf? Im Gespräch: Dr. Theresa Wechsler vom Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Regensburg.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 16. Feb. 2021, 14:18 MEZ, Aktualisiert am 17. Feb. 2021, 09:49 MEZ
Wenn acht kleine Beine große Panik auslösen: Die Angst vor Spinnen zählt zu den häufigsten Phobien.

Wenn acht kleine Beine große Panik auslösen: Die Angst vor Spinnen zählt zu den häufigsten Phobien.

Foto von AdobeStock

Rund zehn Prozent der Bevölkerung leiden an einer spezifischen Phobie. Experten verstehen darunter eine dauerhafte, unverhältnismäßige Furcht vor bestimmten Objekten oder Situationen. Besonders häufig ist die panische Angst vor Spinnen, Schlangen oder Höhen. Oft ist sie so stark, dass die Betroffenen in ihrem Leben deutlich beeinträchtigt werden: Das Herz rast, die Hände zittern, der Magen scheint sich umzudrehen, eine Schweißattacke jagt die nächste. Manche Menschen verspüren regelrechte Todesangst. Die Regensburger Psychotherapeutin Dr. Theresa Wechsler kennt Ursachen und Lösungen.

Frau Dr. Wechsler, warum verfallen wir oft schon beim Besteigen eines Kirchturms oder beim Anblick winziger Krabbeltiere in Panik?

Angst an sich ist etwas Gutes und Sinnvolles. Sie schützt uns vor realen Gefahren. Wenn Menschen in Australien keine Angst vor giftigen Schlangen oder Spinnen hätten, würden sie sich womöglich in echte Gefahr begeben. Wird die Angst allerdings derart stark, so dass sie sich nicht mehr regulieren lässt und entstehen dadurch erhebliche Leiden oder Beeinträchtigungen für die Betroffenen. Dann sprechen wir von Phobien. Das wäre beispielsweise der Fall, wenn man in Deutschland beim Anblick eines völlig harmlosen Weberknechtes in Panik gerät und das Zimmer so lange nicht mehr betreten kann, bis jemand die Spinne entfernt hat.

Wie Angst die Evolution des Menschen prägte
Angst und Furcht mögen nicht angenehm sein, aber beides sind wichtige Emotionen, die die menschliche Evolution prägten. Unser Gehirn reagiert auf Bedrohungen und bereitet unseren Körper auf das vor, was da kommen könnte – so wie wir es vor Hunderttausenden von Jahren gelernt haben. Aber wie sieht die Wissenschaft hinter dieser angeborenen Reaktion aus und wie gehen wir in der modernen Welt damit um?

Treten solche Phobien häufiger bei Männern oder bei Frauen auf?

Tatsächlich beobachten wir spezifische Phobien häufiger bei Frauen als bei Männern. Spinnenangst beispielsweise tritt bei Frauen sehr häufig auf. Bei Männern ist Höhenangst die häufigste Phobie. Warum das so ist, wird kontrovers diskutiert. Es gibt unterschiedliche Erklärungsansätze. Sicher spielt das Erziehungsverhalten eine Rolle, etwa wenn Geschlechterklischees vorgelebt und weitergegeben werden.

Was sind die Ursachen solcher Phobien?

Wir gehen davon aus, dass jene Reize besonders schnell zum phobischen Objekt werden können, die für den Menschen von evolutionärer Bedeutung waren. Sprich: Der Mensch entwickelt schneller eine Phobie vor Schlangen oder Spinnen als vor Steckdosen oder Autos, die in unseren Breiten aber viel gefährlicher sind. Die Wissenschaft verwendet hier den Begriff der Preparedness, des biologischen Vorbereitetseins.

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Also sind diese Ängste in uns allen genetisch verankert?

Das ist anzunehmen. Babys reagieren beim ersten Anblick einer Schlange nicht unbedingt ängstlich, wenn sie zuvor keine negativen Erfahrungen mit Schlangen gemacht haben. Es braucht theoretisch aber viel weniger experimentelle Durchgänge, ihnen die Angst vor Schlangen anzulernen als die Angst vor einer Steckdose. Diese biologische Preparedness allein führt aber noch nicht zu einer Angststörung.

Was braucht es noch, damit aus unterschwelliger Angst eine Phobie wird?

Grundsätzlich gibt es drei Wege, über die sich eine spezifische Phobie bildet. Der erste Weg führt über die Kopplung des Objekts oder der Situation mit einer aversiven Erfahrung. Das können eigene traumatische Erfahrungen sein, wie ein Autounfall in den Bergen, aus dem eine Höhenangst resultiert. Ein zweiter Weg geht über die so genannte Informationsvermittlung. Schon eine intensiv erlebte Erzählung darüber, wie gefährlich Schlangen seien, kann ausreichen, um bei einem Kind eine Phobie auszulösen. Oder eine Geschichte über jemanden, der aus großer Höhe abgestürzt ist. Drittens lernt der Mensch von Vorbildern. Wenn Eltern also die Angst vor Spinnen bewusst oder unbewusst vorleben, wird sich ein Kind in seinem Verhalten daran orientieren. Wir bezeichnen das als Modelllernen.

Keine Höhenangst

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Deshalb kommt bei der Entstehung von spezifischen Phobien noch ein weiterer zentraler Punkt hinzu: die Aufrechterhaltung der Angst durch Vermeidung. Indem wir versuchen, bestimmte Situationen oder Objekte zu vermeiden oder daraus zu flüchten, anstatt uns mit ihnen rational auseinanderzusetzen, riskieren wir, dass sich die Angst stabilisiert und schließlich chronisch wird. Stürmen wir also beim Anblick einer Spinne einfach aus dem Zimmer oder weigern wir uns grundsätzlich, auf einen Turm zu steigen, fühlen wir uns zwar vordergründig erleichtert, weil die Angst nachlässt oder gar nicht erst auftritt. Tatsächlich aber verschlimmern wir damit unsere Ängste, da wir uns die Chance nehmen, unsere Befürchtungen zu überprüfen und zu widerlegen.

Es braucht also die Konfrontation, um eine Phobie erfolgreich zu bekämpfen?

Ja. Eine professionelle Konfrontationstherapie ist bei einer ausgeprägten Phobie die erste Wahl. Auf sich allein gestellt würden die meisten Patienten gar nicht so weit gehen, beziehungsweise die Konfrontation nicht so durchführen, dass sie Erfolg bringt. Die Angst ist einfach zu groß. Unter therapeutischer Anleitung und Begleitung dagegen lernen sie Schritt für Schritt, ihre Ängste abzubauen, indem sie sich ihnen stellen.

Psychologin Theresa Wechsler empfiehlt eine Konfrontationstherapie, um Phobien wirkungsvoll zu bekämpfen.

Foto von TherESA Wechsler

Und zwar so lange, bis die Angst in Anwesenheit des Objekts – zum Beispiel einer Spinne – oder in der Situation –etwa in der Höhe – von selbst nachgelassen hat oder zentrale Befürchtungen widerlegt werden konnten. Das ist der zentrale Punkt einer erfolgreichen Exposition.

Was bedeutet das zum Beispiel für einen Spinnenphobiker?

Im Falle einer Spinnenphobie bedeutet das, dass man die Konfrontation mit den Tieren allmählich steigern kann, bis man sie schließlich im Idealfall mit deutlich reduzierter Angst berühren oder eben aus der Wohnung entfernen kann.

An wen können sich hilfesuchende Menschen wenden?

Menschen, die sich für eine professionell durchgeführte Konfrontationstherapie interessieren, sollten sich an einen Psychologischen Psychotherapeuten oder einen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit Schwerpunkt auf Verhaltenstherapie wenden und dort nach Expositionstherapie fragen. Adressen findet man zum Beispiel auf der Website der Bundespsychotherapeutenkammer. Bei einer krankheitswertig ausgeprägten Phobie übernimmt die Krankenversicherung die Kosten. Eine spezielle Behandlungsform, die Expositionstherapie in virtueller Realität, bieten wir in unserer Hochschulambulanz für Psychotherapie an der Universität Regensburg im Rahmen von Forschungstherapien als Kompaktbehandlung an.

Wie sind die Erfolgsaussichten?

Sehr, sehr gut. Die Erfolgsquote einer solchen Expositionstherapie ist hoch und liegt bei 77 bis 95 Prozent. Wenn keine komplizierenden Faktoren wie etwa eine zusätzliche Depression oder eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegen, lässt sich die Phobie in einer einzigen gut zweistündigen Konfrontationssitzung behandeln. Zusammen mit der Vor- und Nachbereitung kann die Problematik bei vielen Menschen somit schon an einem halben Tag deutlich reduziert werden. Wichtig für einen langfristigen Erfolg ist allerdings, dass man danach nicht wieder in seine alten Vermeidungsverhalten zurückfällt und stattdessen selbstständig weiter übt.

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