Hamsterkäufe: Ein beruhigender Blick auf die Psychologie der Panik

Von prähistorischen Begegnungen mit Raubtieren bis zum panischen Horten von Toilettenpapier: Wann immer wir dem Ungewissen gegenüberstehen, neigen wir zu Kurzschlussreaktionen.

Von Amy McKeever
Veröffentlicht am 19. März 2020, 17:05 MEZ
 Leere Regale im Target-Supermarkt
In einem Target-Supermarkt im US-Bundesstaat Virginia herrscht in den Regalen, in denen sonst Desinfektionsmittel und Toilettenpapier stehen, gähnende Leere. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie horten Hamsterkäufer Vorräte. Aber was genau führt zu diesen Panikkäufen? Psychologen zufolge ist das für manche Menschen eine Möglichkeit, um in Zeiten der Ungewissheit das Gefühl der Kontrolle zurückzugewinnen.
Foto von Win McNamee, Getty Images

Seit der Coronavirus damit begann, sich über die Welt auszubreiten, haben wir viel darüber gelernt, was Menschen für eine Rolle Toilettenpapier, eine Flasche Desinfektionsmittel oder einen Mundschutz tun würden. Mit der steigenden Zahl der bestätigten COVID-19-Fälle verbieten immer mehr Länder das Treffen in Gruppen, ordnen Geschäftsschließungen an und animieren zum Social Distancing. All diese Maßnahmen und Unsicherheiten scheinen die sogenannten Hamsterkäufe zu befeuern. Regelmäßig werden Supermarktregale schneller leergekauft, als sie wieder aufgefüllt werden können.

Solche Panikkäufe sind für die Menschen ein Weg, um zu versuchen, mit ihren Unsicherheiten während Epidemien umzugehen. Das Verhalten ist mindestens seit 1918 bekannt, als die Spanische Grippe wütete. Damals kauften die Leute in Baltimore die Drogerien leer – ähnlich wie heute war alles heiß begehrt, das eine Grippeinfektion verhindern oder zumindest die Symptome abschwächen konnte. Auch beim SARS-Ausbruch 2003 gab es ähnliche Szenen.

Angst ist eine evolutionäre Anpassung des menschlichen Gehirns, die es uns erlaubt, im Angesicht potenzieller Bedrohungen vorauszuplanen. Am 14. März 2020 warteten hunderte von Kaliforniern in einer Schlange vor einem Costco-Laden, um Vorräte einzukaufen.
Foto von Mario Tama, Getty Images

„Wenn man solche extremen Reaktionen sieht, liegt das daran, dass die Menschen das Gefühl haben, ihr Leben sei in Gefahr. Sie müssen dann irgendetwas tun, um das Gefühl der Kontrolle zu bekommen“, erklärt Karestan Koenen, eine Professorin für die Psychologie von Epidemien an der Harvard T.H. Chan School of Public Health.

Aber was genau löst diese Panik aus und wie können wir in Stresssituationen wie einer Pandemie einen kühlen Kopf bewahren? Das hängt davon ab, wie die verschiedenen Hirnareale miteinander interagieren.

Die Evolution von Angst und Panik

Angst und Nervosität waren für die Menschheit im Laufe der Evolution wichtige Werkzeuge zum Überleben. Sie sorgen dafür, dass wir augenblicklich reagieren, wenn wir einer Bedrohung begegnen (beispielsweise einem Raubtier, das hinter der nächsten Ecke lauert). Sie lassen uns aber auch über potenzielle Bedrohungen nachdenken (Wo lauert das Raubtier heute?).

Panik beginnt dann, wenn eine Art „Verhandlung“ im Gehirn schiefläuft. Koenen erklärt, dass die Amygdala – das emotionale Zentrum des Gehirns – uns sofort aus der Gefahrensituation herausbewegen will. Der Amygdala ist dabei egal, wie genau wir dem Raubtier entkommen.

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    Der präfrontale Kortex ist für die situationsabhängige Planung unserer Handlungen zuständig. Er besteht darauf, dass wir die ganze Situation mit dem Raubtier erst mal durchdenken. Wann genau könnten wir wieder auf so ein Raubtier treffen und was tun wir dann?

    Manchmal kommt ihm dabei die Angst in die Quere. Dann hält der präfrontale Kortex keine direkte Rücksprache mehr mit den Teilen des Gehirns, die für Planungen und Entscheidungen zuständig sind. Stattdessen wird er durch die ganze Kommunikation zwischen anderen Teilen des Gehirns verwirrt, die versuchen, alle möglichen Szenarien durchzuspielen, in denen wir als Raubtiermahlzeit enden.

    Panik setzt ein, wenn dieser ganze Prozess durch eine Art Kurzschluss unterbrochen wird.

    Während unser präfrontaler Kortex noch darüber sinniert, wo sich die Raubtiere morgen Abend vielleicht verstecken könnten, löst die Amygdala den Alarmzustand aus.

    „Panik entsteht, wenn der rationalere Teil des Gehirns [der präfrontale Kortex] von den Emotionen überrannt wird“, erklärt Koenen. Die Angst ist dann so stark, dass die Amygdala das Ruder übernimmt und Adrenalin ausgeschüttet wird.

    In manchen Situationen kann Panik unser Leben retten. Wenn wir uns in unmittelbarer Gefahr befinden – ob es nur ein Raubtier ist, das uns fressen will, oder ein Auto, das uns zu überfahren droht – ist die beste Reaktion oft Flucht, Kampf oder Erstarren. Dann wollen wir nicht, dass unser Gehirn zu viel Zeit damit verbringt, darüber nachzudenken.

    Allerdings kann es auch Nachteile haben, wenn einzig die Amygdala unser Handeln steuert. In seiner Abhandlung „The Nature and Conditions of Panic“ schilderte der Soziologe Enrico Quarantelli 1954 den Fall einer Frau, die Hals über Kopf aus ihrem Haus rannte, als sie eine Explosion hörte. Sie dachte, eine Bombe sei darin eingeschlagen. Erst, als sie begriff, dass sich die Explosion auf der anderen Straßenseite ereignet hatte, wurde ihr klar, dass sie ihr Baby im Haus vergessen hatte.

    „Panik ist kein unsoziales, sondern ein non-soziales Verhalten“, schrieb Quarantelli. „Dieser Zusammenbruch sozialer Normen […] resultiert manchmal im Zerfall der stärksten primären Gruppenbindungen.“

    Auch bei langfristigen Bedrohungen ist Panik keine große Hilfe. Gerade dann ist es wichtig, dass der präfrontale Kortex die Kontrolle hat. Er weist uns auf mögliche Bedrohungen hin, nimmt sich aber auch die Zeit, das Risiko einzuschätzen und einen Plan zu machen.

    Ungewissheit begünstigt Panik

    In der aktuellen Pandemiesituation werden wir von Informationen und Nachrichten geradezu überschüttet. Wie kommt es dann, dass manche Menschen Toilettenpapier und Desinfektionsmittel horten, während andere jegliche Risiken ignorieren und sich in Bars und Cafés drängen?

    Menschen sind bekanntermaßen schlecht darin, Risiken im Angesicht der Ungewissheit abzuschätzen. Für gewöhnlich führt das dazu, dass wir unser persönliches Risiko entweder über- oder unterschätzen.

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    Die Psychologieprofessorin Sonia Bishop von der University of California Berkeley hat erforscht, wie sich Angst und Nervosität auf die Entscheidungsfindung auswirken. Ihr zufolge sind solche Fehleinschätzungen auch in der aktuellen Corona-Pandemie erkennbar. Widersprüchliche Berichte von Regierung, Medien und Gesundheitsbehörden – beispielsweise unterschiedliche Empfehlungen zum Social Distancing – begünstigen die Nervosität.

    „Wir sind Situationen nicht gewohnt, in denen sich die Wahrscheinlichkeiten so schnell verändern“, sagt Bishop.

    Panik und kognitive Verzerrung

    Im Idealfall sollten wir Bishop zufolge durch Einsicht lernen, unsere persönlichen Risiken auch unter ungewissen Umständen abzuschätzen. Dieser Ansatz beruht im Grunde auf Versuch und Irrtum: Wir verlassen uns auf unsere persönlichen Erfahrungen und können dadurch im Laufe der Zeit immer besser abschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass etwas passiert, welche Risiken damit verbunden sind und was wir tun müssten, um das zu verhindern.

    Wenn wir für eine gegebene Situation aber kein aktuelles Modell haben, das uns dabei hilft, mit einer Bedrohung umzugehen, versuchen wir es laut Bishop mit Abschauen. Dann helfen uns entweder Ereignisse aus der Vergangenheit oder die beobachteten Erfahrungen anderer Menschen dabei, künftige Möglichkeiten gedanklich zu simulieren.

    An dieser Stelle kann sich eine kognitive Verzerrung einschleichen. Wenn wir besonders häufig von irgendetwas gehört oder gelesen haben – wenn in den Nachrichten beispielsweise ausgiebig über einen Flugzeugabsturz berichtet wird –, fällt es uns leichter, uns selbst in diese Situation hineinzuversetzen. Dann kann es schnell passieren, dass wir die Risiken eines Flugs überschätzen. „Weil es so leicht ist, dieses Szenario zu simulieren, wird unsere Einschätzung der Wahrscheinlichkeit dadurch verzerrt“, sagt Bishop.

    Ähnlich verhält es sich mit Menschen, die zum Optimismus oder Pessimismus neigen. Pessimisten können nicht damit aufhören, sich den Kopf über potenzielle Weltuntergangsszenarien zu zerbrechen. Optimisten glauben hingegen, dass schon nichts Schlimmes passieren wird. Selbst, wenn sie Teil einer Risikogruppe sind, finden sie einen Weg, das irgendwie mit ihrer Weltsicht in Einklang zu bringen. Sie reden sich dann ein, dass sie zu gesund sind, um durch das Coronavirus zu sterben. „Auf diese Weise bewahrt man ein gewisses Gefühl von Kontrolle“, so Bishop.

    Wann ist Panik angebracht?

    Zweifelsfrei gibt es Menschen an beiden Enden dieses Spektrums. Die meisten erleben aber gerade etwas anderes: akute Besorgnis.

    Ein gewisses Maß an Sorge kann im Angesicht einer Katastrophe etwas Gutes sein. Angst kann dazu motivieren, besonders aufmerksam zu sein. Sie erinnert uns daran, dass wir unsere Hände waschen, auf dem neuesten Stand bleiben – und ja, unsere Nahrungsvorräte im Auge behalten sollten.

    Jennifer Horney, die Direktorin für Epidemiologie an der University of Delaware und eine Expertin für die öffentliche Gesundheitsvorsorge, findet, dass ein bisschen mehr Panik in Ländern wie den USA durchaus hilfreich sein könnte. Dort glänzten die Bürger historisch nicht gerade bei der Befolgung von Gesundheitsmaßnahmen wie freiwilliger Isolation und Quarantäne.

    „In dieser Hinsicht könnte ein bisschen mehr Panik vielleicht dabei helfen, zu verstehen, dass sich unser Verhalten auf andere Menschen auswirkt“, sagt sie.

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    Andererseits ist eine langanhaltende Nervosität und Ängstlichkeit eine psychische Belastung. Je ängstlicher wir werden, desto schwerer fällt es unserem Gehirn, nicht in Panik zu verfallen. Studien deuten darauf hin, dass chronischer Stress jene Teile unseres Gehirns verkleinern kann, die uns dabei helfen, rational zu bleiben. Auch das trägt letztlich dazu bei, dass die Panik schneller eintritt.

    Bishop verweist darauf, dass unser Körper einfach nicht dafür gemacht ist, über Wochen und Monate in einem akuten Stresszustand zu existieren. Kurzfristig kann uns Stress zwar einen Energieboost verschaffen, aber auf lange Sicht erschöpft und deprimiert er uns. Das kann sich letztendlich fatal auf Quarantänemaßnahmen auswirken, wenn die Leute das Social Distancing nach einiger Zeit so belastend finden, dass sie sich wieder in Gesellschaft begeben, bevor die Pandemie ihren Höhepunkt erreicht hat.

    Pandemiemaßnahmen

    Horney hat während der H1N1-Pandemie (die „Schweinegrippe“) Krisenteams geschult. Ihr zufolge liegt der Schlüssel für das Funktionieren der Maßnahmen darin, die Ungewissheit zu reduzieren.

    Der aktuelle Coronavirus sei schließlich kein Buch mit sieben Siegeln, wie sie sagt. Die Gesundheitsbehörden wissen durch ihren Umgang mit SARS und MERS bereits einiges über Coronaviren.

    „Viel von dem, was gerade passiert, sind ganz normale Gesundheitsmaßnahmen, auf die wir zur Eindämmung von Krankheitsausbrüchen zurückgreifen. Aktuell passiert das nur in einem viel größeren Maßstab“, so Horney.

    „Kreuzfahrtschiffe stellen wir beispielsweise dauernd unter Quarantäne, wenn dort Krankheiten ausbrechen. Für gewöhnlich ist das dann aber sowas wieder Norovirus oder die Grippe.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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