37 Grad war früher: Warum wir immer kälter werden

Die menschliche Körpertemperatur ist in den letzten 150 Jahren messbar gesunken. Woran liegt das? Und sollten wir uns deshalb sorgen?

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 18. Jan. 2024, 16:05 MEZ
Ein analoges Fieberthermometer zeigt 36,5 Grad an.

36,5 statt 37 Grad: Die Körpertemperatur ist heute deutlich niedriger als im 19. Jahrhundert.

Foto von Iliya Mitskavets / Adobe Stock

Im 19. Jahrhundert setzte der deutsche Arzt Carl Reinhold August Wunderlich einen Standard, der bis heute unsere Vorstellung von Gesundheit prägt. Nach Untersuchung von 25.000 Patienten kam der Tübinger Professor damals zu dem Schluss: Die Normaltemperatur des Menschen liegt bei 37 Grad Celsius. Wunderlichs Beobachtungen waren ausschlaggebend für die Etablierung des Fieberthermometers und des Verständnisses der Fieberkurve in der Medizin.

37 Grad müssen es sein. Das zumindest glauben die meisten Menschen. Tatsächlich aber ist der menschliche Körper seit Wunderlichs Messungen deutlich kühler geworden. Mehrere Studien bestätigen das.

Forschende der US-amerikanischen Stanford University haben zum Beispiel herausgefunden: Im Laufe der Industriellen Revolution ist die Körpertemperatur um ein knappes halbes Grad gesunken. Zumindest die der US-Bevölkerung. Für die Studie analysierte das Team 677.423 Temperaturmessungen bei amerikanischen Männern und Frauen aus den vergangenen 150 Jahren.

Körpertemperatur: 36,5 ist das neue 37

Der Stanford-Studie zufolge ist die Körpertemperatur von Männern heute durchschnittlich 0,59 Grad niedriger im Vergleich zu den Geburtsjahrgängen des frühen 19. Jahrhunderts. Bei Frauen sind es 0,32 Grad weniger. Eine britische Analyse von fast 250.000 Temperaturmessungen sei zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Fazit: 36,5 ist das neue 37.

Doch wie ist es dazu gekommen? Müssen wir uns sorgen, dass wir immer kühler geworden sind? Ganz im Gegenteil, so die Einschätzung der Forscherinnen und Forscher aus Stanford. Eine der möglichen Erklärungen für die Entwicklung: Die Lebensumstände vieler Menschen in den untersuchten Ländern haben sich im Laufe der Zeit verbessert. 

Wunderlich habe seine Messungen in einer Zeit erhalten, in der die Lebenserwartung 38 Jahre betrug und große Teile der Bevölkerung von unbehandelten chronischen Infektionen wie Tuberkulose, Syphilis und Parodontitis betroffen waren. Gegen diese und andere Krankheiten wehrt sich der Körper oft mit einer erhöhten Temperatur. 

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    Die Veränderung des Entzündungsniveaus in der Bevölkerung scheint die plausibelste Erklärung für den beobachteten Temperaturabfall im Laufe der Zeit zu sein, schreibt das US-Team. Aber auch der Wandel von Arbeitswelt und Ernährung könnte sich auf die Körpertemperatur ausgewirkt haben. 

    Nur noch wenige Menschen müssen heute so schwere körperliche Arbeiten verrichten wie vor 150 Jahren. Die Folge: Die Stoffwechselrate, also die Geschwindigkeit, in welcher der Energiestoffwechsel abläuft, ist niedriger als früher. Hitze ist ein Nebenprodukt von Stoffwechselprozessen. Wird weniger Energie verbraucht, ist der Körper kühler, als wenn er auf Hochtouren läuft.

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