Wie lebte und starb Edmontosaurus? Forscher lüften Millionen Jahre altes Geheimnis

Senckenberg-Wissenschaftler rekonstruieren ein Ökosystem der späten Kreidezeit – und fühlen dem Urzeitgiganten Edmontosaurus dabei buchstäblich auf den Zahn.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 17. Juli 2020, 10:36 MESZ, Aktualisiert am 9. Apr. 2021, 15:56 MESZ
Edmontosaurus

Mit einem Tempo von bis zu 45 Stundenkilometern durchwanderte Edmontosaurus vor 66 Millionen Jahren riesige Gebiete der heutigen USA.

Foto von Senckenberg Naturmuseum & Die Mondpiloten

Die Erde vibriert. Ein tiefes Grollen tönt durch die weite Ebene. Wie eine dunkle Wand taucht die Herde am Horizont auf. Ihr Ziel: Ein üppiger Wald an einem Flusslauf. Dort gibt es Nahrung in Hülle und Fülle. Mit ihren schnabelartigen Schnauzenspitzen weiden die bis zu 15 Meter langen und vier Tonnen schweren Kolosse selbst harte Sträucher und Bäume großflächig ab. Doch sie müssen auf der Hut sein: Ihre ärgsten Feinde, große Raubsaurier wie Tyrannosaurus rex, sind ihnen auf den Fersen.

Wie Jahrmillionen später die großen Büffelherden zogen Edmontosaurier in der Kreidezeit vor 70 bis 66 Millionen Jahren durch die Ebenen Nordamerikas, ständig auf der Suche nach neuen Nahrungsquellen. Mit einem Tempo von bis zu 45 Stundenkilometern durchquerten die bulligen Pflanzenfresser riesige Gebiete. Darunter auch ein besonders stattliches Exemplar, das seit gut 100 Jahren als Dinosaurier-Mumie „Edmond“ im Frankfurter Senckenberg-Museum zu bestaunen ist.

Edmonds Urzeitreich wird lebendig: Die berühmte Edmontosaurier-Mumie in Frankfurt.

Foto von Janosch Boerckel

Zu Edmonds Lebzeiten bedeckte ein Flachmeer den nordamerikanischen Kontinent von Norden bis Süden: Der Western Interior Seaway. Am Ende der Kreidezeit vor 66 Millionen Jahren fiel das Land von Süden her allmählich vollständig trocken. Wyoming, heute im Herzen der Rocky Mountains, lag direkt an der Küste. Ausgedehnte Flusssysteme trugen Hügel und Berge ab und bildeten weite Ebenen. In diesen Plains breiteten sich artenreiche Mischwälder aus.

Riesiger Gesteinsblock voller Fossilien

„Der nordamerikanische Kontinent war damals eine völlig andere Welt als heute“, sagt Prof. Dr. Dieter Uhl, Leiter der Paläontologie am Senckenberg Institut Frankfurt. Anlässlich der aktuellen Kooperationsausstellung „Edmonds Urzeitreich“ wollen Wissenschaftler aus unterschiedlichen Forschungsgebieten das geheimnisvolle Ökosystem rekonstruieren, in dem Edmontosaurier als häufigste Vertreter der Entenschnabeldinosaurier eine Schlüsselrolle spielten.

Dazu hat ein Senckenberg-Team im vergangenen Jahr in Wyoming einen riesigen Gesteinsblock voller Fossilien geborgen, die jetzt vor den Augen der Öffentlichkeit am Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt freigelegt und untersucht werden. Der Block enthält nicht nur auffällig viele Edmontosaurus-Fossilien und Relikte anderer urzeitlicher Tiere – auch versteinerte Pflanzen, Pollen, Bernstein oder Holzkohle finden sich darin. Als Paläobotaniker hat Uhl vor allem die Flora im Blick.

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    „Einer der häufigsten Bäume war der Nadelbaum Metasequoia, der als Urweltmammutbaum heute mit einer Art nur noch in China vorkommt“, betont er. „Wir haben zahlreiche Metasequoia-Fossilien in unserem Gesteinsblock gefunden.“ Gerade solche vermeintlich unscheinbaren Fundstücke sind es, die den Forschern wertvolle Erkenntnisse liefern können.

    Wütende Waldbrände

    Ein Paradebeispiel hierfür ist der Blütenstaub: Oft bleiben von Pflanzen nur deren Pollen erhalten. Weil diese aber bei jeder Art unterschiedlich aussehen, erhalten die Wissenschaftler anhand dieser Mikrofossilien wichtige Informationen über Vegetation, Klima und Alter des Ökosystems.

    Auch Bernstein und Holzkohle sind Tore in die Vergangenheit, weiß Uhl: „Fossiles Baumharz liefert uns Informationen über die Zusammensetzung der Wälder, versteinerte Holzkohle deutet auf massive Waldbrände hin. Feuer etwa spielte eine gestaltende Rolle in Edmonds Ökosystem.“

    Gingen die weitläufigen Wälder regelmäßig in Flammen auf? Und was bedeutete das für Edmond und seine Artgenossen? Möglicherweise zählten die harzigen Metasequoia-Nadeln zur Leibspeise der Entenschnabeldinosaurier. Zumindest schienen sie bei der Nahrungsaufnahme nicht zimperlich zu sein. Darauf deuten Zähne von Edmontosauriern hin, die das Senckenberg-Team aus dem Gesteinsblock präpariert hat. Uhl: „Mit Hilfe des Rasterelektronenmikroskops haben wir deutliche Kratzspuren entdeckt, die wahrscheinlich von harten Pflanzenteilen stammen.“

    Das Gebiss eines Edmontosaurus bestand aus bis zu 400 Zähnen, die ständig nachwuchsen und in übereinanderliegenden Reihen angeordnet waren. Die meisten Dinosaurier konnten ihre Kiefer nicht seitlich gegeneinander bewegen. Edmond und Co. hingegen zerkauten ihre Nahrung durch seitliche Kaubewegungen – ähnlich wie Kühe und andere Wiederkäuer.

    Was Zähne über Tierwanderungen verraten

    Doch die versteinerten Dino-Zähne verraten noch mehr. Sogar das Migrationsverhalten lässt sich aus ihnen ableiten. Denn die Wanderrouten der Tiere sind in der chemischen Zusammensetzung des Zahnschmelzes gespeichert. Durch Isotopenuntersuchungen werden sie sichtbar.

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    Sogenannte stabile Isotope sind Zustandsformen eines Elementes, die sich nur in ihrem Gewicht unterscheiden. Menschen und Tiere nehmen sie von Geburt an über Nahrung, Luft und Wasser auf. Sie werden in Knochen und Zähnen gespeichert. Der Isotopen-Mix unterscheidet sich allerdings aufgrund von Nahrungsangebot und Klimasituation ein wenig voneinander und gibt dadurch Auskunft über Lebensraum, Umweltbedingungen und Ernährungsweise.

    „Hartsubstanzen wie Zähne haben auch über sehr lange Zeiträume einen hohen Erhaltungsgrad“, erklärt Prof. Dr. Andreas Mulch, Direktor des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt. „Das macht sie zu wichtigen Fossilmaterialien der Paläoklimaforschung“, unterstreicht der Geologe. „Ihre Zusammensetzung speichert Informationen darüber, was der Organismus an Wasser und Nahrung aufgenommen hat – sogar, ob dies an einem Tümpel, einem Fluss oder im Brackwasser geschah.“ So weiß man inzwischen, dass Edmontosaurus-Herden auf der Suche nach Futter die Flusstäler entlanggewandert sind und –wie viele Lebewesen heute auch – spezifische Ansprüche an ihren Lebensraum gestellt haben.

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    Heute entsteht für die Senckenberg-Forscher ein Bild über die Zeit und das Leben von Edmontosaurus, das sie noch vor wenigen Jahrzehnten für nicht möglich hielten. Im Zusammenspiel der verschiedenen wissenschaftlichen Expertisen lasse sich auch das damalige Klima in Wyoming mit Hilfe von Isotopenanalysen rekonstruieren, so Mulch.

    Demnach waren jahreszeitliche Niederschlagsschwankungen typisch und Edmond nutzte die Variabilität der Landschaft im kreidezeitlichen Nordamerika, um sich den jahreszeitlichen Wechseln anzupassen. „Insgesamt herrschte dort ein feucht-warmes Klima, das von jahreszeitlichen Wechseln geprägt war“, fasst Mulch zusammen.

    Allgemein führte die hohe Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre dazu, dass die Temperaturen selbst in den Polarregionen erheblich höher waren als heutzutage. Dinosaurier lebten sogar in der Antarktis.

    Was aber geschah am Ende mit dem prominentesten Edmontosaurus, der Frankfurter Dino-Mumie? Vermutlich ist Edmond am Rande eines Flusslaufs gestorben, dann ausgetrocknet und schnell von Sand bedeckt worden, wodurch er „mumifiziert“ wurde. Der Sand bedeckte den Körper vollständig, wodurch er nicht nur vor Aasfressern geschützt wurde, sondern auch mitsamt der charakteristischen Hautabdrücke die Jahrmillionen überdauerte. Auch wenn etliche Skelette von Edmontosauriern bekannt sind: Edmond zählt bis heute zu den vollständigsten Dino-Mumien weltweit.

    Über Edmonds Urzeitreich – Eine Dinograbung in Frankfurt

    Mehr Infos über die Kooperationsausstellung „Edmonds Urzeitreich – Eine Dinograbung in Frankfurt“ im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt unter: museumfrankfurt.senckenberg.de/de/ausstellung/sonderausstellungen/edmonds-urzeitreich

     

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