Wie man mit Kindern über Rassismus sprechen kann

Mit Kindern über Diskriminierung und Rassismus zu sprechen, ist für Erwachsene oft nicht einfach. Mit welchen Herangehensweisen sich antirassistische Haltungen fördern lassen, könnt ihr hier lesen.

Von Heather Greenwood Davis
Veröffentlicht am 3. Juni 2020, 17:13 MESZ
Wenn ein junges Kind zum ersten Mal die Unterschiede zwischen den Hautfarben anspricht, lässt sich darüber ...

Wenn ein junges Kind zum ersten Mal die Unterschiede zwischen den Hautfarben anspricht, lässt sich darüber relativ einfach reden. Das Thema Rassismus ist verständlicherweise schwieriger zu erklären.

Foto von Photography by Yellow Dog Productions / Getty Images

Am letzten Maiwochenende 2020 entflammten in den USA Proteste über den Tod des Afroamerikaners George Floyd, der starb, weil ein weißer Polizist in Minneapolis ihm minutenlang das Knie auf den Hals drückte. Egal, wie sehr wir unsere Kinder vielleicht vor diesen aufwühlenden Bildern schützen wollen – sie werden sehr wahrscheinlich Gespräche über Hautfarbe und Rassismus hören. Und sie werden Fragen darüber stellen. Wie wir ihnen antworten, kann Experten zufolge die Einstellung von Kindern zum Thema Ethnien und Rassismus auf Jahre prägen.

„Dieser Moment bietet Menschen eine Gelegenheit“, sagt Candra Flanagan, die Leiterin der Museumspädagogik am National Museum of African American History and Culture (NMAAHC). „Die Erwachsenen wollen vielleicht lieber den Fernseher ausstellen oder schweigen. Aber Kinder holen sich ihre Informationen und ihre Einsichten aus anderen Quellen. Deshalb ist es umso wichtiger, diese Gespräche zu führen, damit die Kinder nicht so sehr von äußeren Einflüssen geprägt werden, die sich von dem unterscheiden, was ihre Eltern für sie wollen.“

Für manche Eltern werden die Proteste, die durch den Tod von George Floyd ausgelöst wurden, vielleicht der Anlass für die ersten Fragen ihrer Kinder über Rassismus sein. Diese ersten Gespräche können zermürbend sein, aber Pädagogen ermutigen Eltern, davor nicht zurückzuschrecken – selbst wenn die Kinder noch sehr jung sind. Es sei ein Fehler, ihre Fähigkeit zu unterschätzen, Thematiken wie Rassismus und Ungerechtigkeit zu begreifen, sagt Caryn Park. Die Professorin der Antioch University in Seattle erforscht, wie Kinder Hautfarben und Ethnien begreifen.

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„Schon Kinder im Alter von drei Jahren erkennen Hautfarben und Ethnien und scheuen sich nicht, Fragen zu stellen“, sagt Park. „Ihre eigene Identität ist für sie wichtig, und Ethnie ist ein wichtiger Teil ihrer Gesamtidentität. Außerdem begreifen sie die Macht, die darin liegt, über Ethnien und Rassismus zu sprechen – und dass sie die Aufmerksamkeit von Erwachsenen und anderen Kindern erhalten können, wenn sie diese Themen ansprechen.“

Wenn ein junges Kind zum ersten Mal die Unterschiede zwischen den Hautfarben anspricht, lässt sich darüber relativ einfach reden. Das Thema Rassismus ist verständlicherweise schwieriger zu erklären. Nur wenige Eltern würden sich selbst oder ihre Kinder als rassistisch betrachten, da sie Menschen unterschiedlicher ethnischer Gruppen nicht absichtlich schlecht behandeln oder schlecht über sie denken. Aber laut Ibram X. Kendi, dem Direktor des Antiracist Research and Policy Center der American University in Washington, D.C, ist Absicht nicht immer ein Teil von Rassismus.

Damit meint Kendi, dass die meisten Menschen zwar nichts Böses wollen, aber trotzdem aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit urteilen. Laut der Assistenzprofessorin Maggie Beneke von der University of Washington stammen diese Urteile oft von einem impliziten Racial Bias – eine kognitive Verzerrung auf Basis der Ethnie, die wir durch tagtägliche Interaktionen verinnerlichen. Daraus können Ansichten entstehen, von denen uns gar nicht klar ist, dass sie unbeabsichtigtes rassistisches Verhalten zur Folge haben. „Wenn ein Kind zum Beispiel Filme ansieht, in denen fast nur weiße Prinzessinnen vorkommen, könnte es so etwas sagen wie: Ich mag nur Prinzessinnen, die wie Elsa aussehen, und mir gefallen Moanas braune Haut und ihre braunen Haare nicht“, sagt Beneke, die Bildungsgerechtigkeit erforscht.

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    Das Ziel ist es laut Kendi, Kinder großzuziehen, die antirassistisch sind. „Als Eltern sollten wir Kinder aufziehen, die Ansichten zum Thema Gleichbehandlung ausdrücken können, die Ungerechtigkeit aufgrund von Hautfarbe als Problem sehen und die ihren eigenen kleinen Teil dazu beitragen können, dieses große Problem des Rassismus zu bekämpfen.“ Und das bedeutet auch, dass man rassistische Vorstellungen erkennt, die Kinder absichtlich oder unabsichtlich internalisiert haben, und sie stattdessen zu antirassistischem Verhalten motiviert.

    Wenn Kinder schon früh Empathie, Mitgefühl und einen Sinn für Gerechtigkeit entwickeln, hilft ihnen das dabei, die Welt als Erwachsene zu einem besseren Ort machen zu wollen. Für die Eltern bedeutet das nicht selten: tief durchatmen und ein paar schwierige Gespräche über Rassismus führen. „Egal, wie das Gespräch beginnt: Eltern sollten vermitteln, dass es in Ordnung und wichtig ist, darüber zu reden“, sagt Beneke.

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    Mit Kindern über Rassismus und die damit verbundenen Emotionen reden

    Wenn die aktuellen Ereignisse Kinder dazu veranlassen, Fragen über Hautfarbe und Proteste zu stellen, kann dieser Moment als Ausgangspunkt für eine umfassendere Unterhaltung dienen, so Flanagan. Das kann teils auch für Erwachsene anstrengend sein.

    „Es geht nicht nur um das Kind, sondern auch um die Arbeit, die der Erwachsene dabei leisten muss“, sagt Anna Hindley, die Direktorin für Früherziehung am NAAMHC. Wenn man versteht, wie die Verhältnisse zwischen den Ethnien im eigenen Land aussehen und in welcher Form protestiert wird, ist es einfacher, diese Themen mit Kindern zu besprechen.

    Die Antidiskriminierungsstelle des Bunds stellt online kostenlose Materialien zu Themen wie Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zur Verfügung. Viele davon sind zwar auf ältere Zielgruppen zugeschnitten, können aber einen thematischen Leitfaden für Gespräche mit jungen Kindern liefern.

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    Hindley und Beneke sind beide der Meinung, dass eine offene Kommunikation der beste Ansatz ist. Wenn man versucht, Informationen vor Kindern zurückzuhalten, mindert das am Ende nur ihre Fähigkeit, die komplexen Themen rund um Rassismus und Unterdrückung zu begreifen.

    „Wir wissen, dass Kinder in der Lage sind, das zu verstehen. Aber sie brauchen vielleicht etwas Hilfe, wenn man all die Informationen und Botschaften bedenkt, die sie über sich selbst und andere erhalten“, so Beneke.

    „Wir reagieren emotional auf viele der Ungerechtigkeiten, die wir weltweit und in der Geschichte sehen“, sagt Flanagan. „Man sollte Kindern den Raum für ihre eigene emotionale Reise und Aufarbeitung geben.“

    Vorsicht bei wertenden Aussagen über Ethnien

    Wenn ein Kind sagt „Die Frau da ist braun“ und es stimmt, dann sollte man einfach zustimmen. „Es ist nicht rassistisch, die Ethnie einer anderen Person zu bemerken“, sagt Park. „Wenn man sich weigert, auf diese Beobachtung zu reagieren, könnte das dem Kind ein falsches Signal senden.“

    Worauf Eltern aber achten müssen, sind wertende Urteile, die Kinder mit diesen Unterschieden unterbewusst vielleicht verbinden. Diese sollte man sachte korrigieren. „Antworten Sie mit offenen, nicht wertenden Fragen, um zu verstehen, warum das Kind solche Annahmen hat“, sagt Beneke. „Einfache Fragen wie ‚Warum glaubst du das?‘ oder ‚Warum sagst du das?‘ können ein guter Anfang sein.“ Man kann erklären, was Stereotype sind, und mit dem Kind nach Beispielen suchen, die diese Stereotype widerlegen.

    Kindern verstehen helfen, welchen Schaden rassistische Ideen anrichten

    Wenn ein Kind ein Vorurteil über eine bestimmte Gruppe von Menschen zum Ausdruck bringt, sollte man ein dem Alter angemessenes Gespräch darüber führen. Für jüngere Kinder könnte sich die Unterhaltung darum drehen, warum diese Worte verletzend sind und wie sich jemand fühlen könnte, der sie hört.

    Die meisten älteren Kinder wurden darauf sozialisiert, keine offen rassistischen Bemerkungen zu äußern. Trotzdem kann so etwas mal passieren. Park empfiehlt, dem Kind dabei zu helfen, sowohl die Absicht hinter der Bemerkung als auch die ungewollten Konsequenzen zu erörtern. Beispielsweise könnte das Kind sagen „Auch People of Color können rassistisch sein“, was eine gute Gelegenheit für ein Gespräch ist. „Fragen Sie das Kind, ob etwas vorgefallen ist, das es zu dieser Ansicht brachte. Sprechen Sie darüber, was das Kind bei dieser Aussage gefühlt hat“, so Park. „Wer gewinnt und wer verliert durch so einen Kommentar? Hören Sie zu, ob sich das Kind verletzt, abgelehnt oder ausgeschlossen fühlt, und denken Sie darüber nach, wie das Kind mit diesen Gefühlen umgehen kann.“

    Je älter das Kind ist, desto komplexer darf auch das Gespräch sein. „Wir sollten nie davor zurückschrecken, unsere Kinder auf rassistische Äußerungen aufmerksam zu machen“, sagt Kendi. „Und wir sollten nie davor zurückschrecken, unsere Kinder mit antirassistischen Konzepten zu beschützen.“

    Natürlich soll man Gespräche über diese Themen nicht als feste Termine im Kalender planen. Es reicht völlig, auf die Aussagen und unbewussten Vorurteile des eigenen Kindes zu achten und diese Dinge zu thematisieren, wenn sie direkt oder indirekt zur Sprache kommen.

    Medienkonsum überdenken

    Ein genauer Blick auf die Bücher, Filme und Serien, die das Kind konsumiert, wird vermutlich offenbaren, dass bestimmte Gruppen darin häufiger repräsentiert sind als andere. Es bietet sich also an, darüber nachzudenken, ob man der Familie nicht auch ein paar Medien vorstellt, die das typische Bild eines Helden, Nachbarn oder Freundes erweitern.

    „Wir wissen, dass die Mehrheit der Bilderbücher sich um weiße Charaktere dreht. Schwarze und andere People of Color kommen darin sogar noch seltener vor als Tiere oder andere Cartooncharaktere“, sagt Beneke. Vor allem sollte man nach Büchern suchen, die Menschen anderer Ethnien in ganz normalen Situationen zeigen – nicht nur, wenn es thematisch um Ungerechtigkeit geht.

    Haltet nach Büchern und Illustrationen und Geschichten Ausschau, die Vielfalt unterstützen, und lasst eure Kinder verschiedene Perspektiven entdecken. Habt ihr etwas gefunden, das euch richtig begeistert? Holt doch ein zweites Exemplar als Spende für die Schulbibliothek.

    Vielfalt leben

    Damit Kinder antirassistische Konzepte verinnerlichen, müssen sie auch Menschen treffen, die anders sind als sie selbst. Wenn ihre Freundesgruppe ein bisschen zu einheitlich aussieht, kann es von Vorteil sein, zu etwas mehr Vielfalt zu motivieren.

    Auch für die Eltern kann das eine gute Gelegenheit sein, ein bisschen mehr Vielfalt in ihr eigenes Leben zu bringen. Die Professorin Manka Varghese der University of Washington ist auf multilinguale Bildung spezialisiert. Sie empfiehlt, die eigenen sozialen Netzwerke zu erweitern, um Kontakt zu unterschiedlichen Ethnien, Geschlechtern, Menschen mit Einschränkungen und Religionen zu pflegen. Damit dient man auch als antirassistisches Vorbild für seine Kinder und kann darüber sprechen, welchen Wert Unterschiede haben. „Das hat einen Trickle-Down-Effekt für Kinder, weil es impliziert, dass Unterschiede gut sind“, sagt Park. „Und es gibt Kindern Zugang zu einer Reihe verschiedener Perspektiven, kulinarischer Gerichte, Geschichten und Ansichten.“

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    Das heißt natürlich nicht, dass man einfach loszieht und sich nur mit jemandem anfreundet, weil er einer anderen Ethnie angehört. Stattdessen sollte man überlegen, welche unbewussten Entscheidungen man trifft, die den Kontakt zu anderen Menschen auf bestimmte Weise limitieren. „Denken Sie darüber nach, worin Sie als Eltern oder Familie ihre Zeit und Ressourcen investieren“, sagt Beneke. Vielleicht kann man nach Aktivitäten in Stadtvierteln suchen, die man sonst nicht aufsucht, oder sich neue Aktivitäten erschließen, um die Möglichkeit zu haben, neue Beziehungen zu knüpfen.

    Sucht nach Aktivitäten, die eure Kinder mit unterschiedlichen Perspektiven in Berührung bringen. Besucht Events in der Stadtbibliothek oder Kulturveranstaltungen in der Umgebung. Je mehr Vielfalt Kinder erleben, desto besser kann ihnen das dabei helfen, ihr Konzept von Inklusion zu erweitern.

    Niemand hat eine Antwort auf alles

    Vor allem sollte man sich bewusstmachen, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt, um über diese Themen zu sprechen. Wie bei anderen wichtigen und schwierigen Themen wünscht man sich im Nachhinein vielleicht, dass man einige Fragen anders beantwortet hätte. Auch das ist in Ordnung.

    „Das braucht Übung“, sagt Beneke. „Zeigen Sie, dass Sie selbst sich auch immer noch mit diesen Themen beschäftigen, obwohl Sie erwachsen sind. Zeigen Sie, dass das schwierige Gespräche sein können – aber dass sie auch wichtig sind.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

    Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels war statt von People of Color von „farbigen Menschen“ die Rede. Wir haben diese Formulierung angepasst.

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